Wien. Im Bezirk Josefstadt sind die Menschen schön. Sie sind schlank, fit und frei von Pickel. In dem flächenmäßig kleinsten Wiener Bezirk sind selbst kleinste Hautirritationen ein dezenter Hinweis für den schleichenden sittlichen Verfall eines Individuums. Achselschweiß gibt es hier nicht, weil man in der Josefstadt nicht zu schwitzen hat. Wehe jenem Emittenten-Frevel, der hier das gasförmige Endprodukt eines „burgenländischen Bohnensterz“ durch die gepflasterten Gassen dröhnen lässt!
Die Flatus-Affäre ereignete sich in der Nacht auf den 5. Juni. Auf der Anklagebank: Ein Wiener Student, angehender Sprachwissenschaftler. Ihm wird zur Last gelegt, „den öffentlichen Anstand verletzt“ zu haben. Unscheinbar, doch mit übelsten Absichten auf einer Parkbank sitzend, soll der 22-jährige Olfaktorik-Extremist einen „massiven Darmwind“ in die Josefstädter Wohlfühlatmosphäre emittiert haben. Damit nicht genug: Das Vergehen geschah laut Wiener Polizei „in voller Absicht“. Die Beamten verhängten ein Bußgeld von 500 Euro. Ja, so ein Anal-Fauxpas kann teuer werden. Für die weniger betuchten Pupser haben die uniformierten Verdauungstotalitaristen alternativ fünf Tage Knast im Angebot.
Merke: Wiener Polizisten lassen sich nicht gerne anfurzen
Auch eine Mittäterin war schleunigst ausgemacht: Die Oma des pfurzenden Rüpels. Lebensmotto: „Wenn’s Oaschal brummt, is Herzal g’sund“. Deren „burgenländischer Bohnensterz“, so gab der Hauptangeklagte in der „Causa Flatus“ zu Protokoll, habe bei ihm „Verdauungsprobleme“ verursacht. Der Einspruch des Socialmedia-Teams der Polizei Wien, „Abteilung Darmwind“, folgte via Twitter: „Natürlich wird niemand angezeigt, wenn einmal versehentlich einer auskommt.“ Aber das olfaktorische Attentat sei eben „in voller Absicht“ geschehen – „und anfurzen lassen sich die Kollegen dann doch eher ungern“.
Natürlich wird niemand angezeigt, wenn einmal versehentlich „einer auskommt“. Der Angezeigte verhielt sich jedoch während der gesamten vorangegangenen Amtshandlung bereits provokant und unkooperativ. Er erhob sich leicht von der Parkbank, (1/2)
— POLIZEI WIEN (@LPDWien) June 16, 2020
Nun mag man über das Ausmaß der dem Enddarm vermeintlich unabsichtlich entwichenen Luftströme nur spekulieren können. Bei einer 500-Euro-Strafe bzw. fünf Tage Knast kann man aber wohl getrost von Windstärke 11 auf der Beaufortskala ausgehen. Die Szenerie darf man sich dann in etwa so vorstellen: Die zwei Beamten konnten sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten, mindestens einem kam dabei die Mütze abhanden, dem anderen das Gebiss. Im Hintergrund biegen sich die Eichen, Motorräder fallen um wie Dominosteine. Augenzeugen berichten, nur die dicksten Kinder am Spielplatz hatten genügend Kraft, um sich am Klettergerüst festzuklammern. Der Rest sei irgendwo in Richtung St. Pölten entwichen. Bis heute werden acht von ihnen vermisst. Nachdem nun das Schlimmste vorüber ist, beginnt Greenpeace (Sektion Josefstadt) bereits an einer Protestaktion zu arbeiten, um auf die Zunahme von Extremwetterereignissen im Bezirk aufmerksam zu machen.
Aktien-Schaas und ewige Jugend
Gut, ganz so arg war‘s dann womöglich doch nicht. Aber man macht sich halt so seine Gedanken. Noch dazu, wenn jemand für eines der letztverbliebenen Vergnügen auf Erden so derart unverhältnismäßig bestraft wird. „Es kann doch 2020 kein Problem sein, einen Schas zu lassen“, verteidigte sich der Flatusgate-Hauptprotagonist. Eben. Mal richtig einen raushauen – und zwar so, dass die Härchen rund um den Enddarm im Wind peitschen. Das sollte im Jahr 2020, nach rund 300 Jahren Aufklärung, doch wohl möglich sein. Wer will, kann parallel dazu laut „Freiheit!“ rufen. Sie werden sehen, das erzeugt dann so ein wohliges Gefühl: das sanfte Vibrieren des libertär-lüsternen Sehnsuchtsschreis in der Brust fügt sich dezent an das ungleich sanftere Kribbeln, das die kurz vor ihrer Anal-Ejakulation stehenden Gase erzeugen, während diese sich voll Wonne Richtung Enddarm winden.
Wie sinnlos und schnöde muss so ein Leben sein, wenn selbst der anale Lapsus zum gesellschaftlichen Tabu, zum Darmwind non grata erklärt wird? Dagegen wirkt ja selbst die personifizierte Biedermeier-Renaissance, der gestrauchelte CSU-fast-Aktionär Philipp Amthor noch wie ein hartgesottener Revoluzzer – und so jung wie der ist (so blutjung sogar, dass er in seinem jugendlichen Leichtsinn versehentlich Korruption und Demokratie durcheinander brachte, ups), durfte der sich vor noch nicht allzu langer Zeit mit dem antagonistischen Widerpart der übelriechenden Enddarmströme rumschlagen, dem Bäuerchen.
Egal, ob oben oder unten
Und aufgepasst: Unweit des Pups-Ground Zero in der Josefstadt ereignete sich 2016 die Rülpsgate-Affäre. Am Wiener Praterstern kassierte ein Barkeeper 70 Euro Strafe für ein etwas übermotiviertes Aufstoßen. Kurze Zeit darauf fand am Tatort ein Laut-Rülps-Flashmob „gegen den öffentlichen Anstand… für die Befreiung der Magengase…“ statt. Vielleicht ließe sich das zu einer Art Kombi-Protest ausdehnen, mit und für all jene, denen – egal, ob oben oder unten – gelegentlich der Bohnensterz entweicht. In diesem Sinne: Viva la Revolution!
Glosse mit mächtig viel Druck: Johannes Greß