Wien. Wir schreiben den 17. Dezember 2017. Es ist ein sonniger, aber eisig kalter Montagvormittag, an dem die neue österreichische Regierung angelobt werden soll. Die Koalition aus der rechtskonservativen ÖVP und der rechtsradikalen FPÖ sorgt in weiten Teilen der Gesellschaft für Unmut. Trotz der winterlichen Temperaturen und einer eher demo-unüblichen Zeit sammeln sich an diesem Montagvormittag zigtausende Menschen auf den Straßen, um gegen die Angelobung der Rechtsaußen-Regierung zu demonstrieren. Vor allem Studierende, Jugendorganisationen der Oppositionsparteien und Gewerkschaften machen an diesem Tag mobil. Und ein paar Omas.
„Wir sind alt, aber nicht zu alt“, erklärt Monika Salzer, die die Aktion im November 2017 via Facebook initiierte. Ein Jahr später sind die Omas mit den Wollmützen aus der österreichischen Protestkultur nicht mehr weg zu denken. Mit je einem Smartphone in der Hand wischen die drei Gründerinnen der „Omas gegen Rechts“, Monika Salzer, Susanne Scholl und Caroline Koczan, noch schnell über ihre Bildschirme, bevor sie sich den wartenden Journalisten – in einem reichlich überfüllten Raum – erklären. Seit ihrer Gründung im November 2017 sind sie daran gewöhnt, im Rampenlicht zu stehen. Selbst die BBC und die New York Times interessierten sich bereits für die protestierenden Großmütter. Wöchentlich bekommen sie Medienanfragen aus ganz Österreich und Deutschland, aus Spanien oder Portugal, heißt es.
„So nett er auch aussieht – seine Agenda macht mir Angst!“
„Wir Omas“, erklärt Susanne Scholl, „haben das ‚Nie wieder!‘ quasi mit der Muttermilch gefüttert bekommen. Der Faschismus, die Ausgrenzung von Minderheiten, die Missachtung der Menschrenrechte, „dürfen nie wieder passieren – aber sie passieren. Und da dürfen wir nicht zusehen“, fordert die ergraute Frau mit dem roten Schal. Ihre Kritik richten die „Omas gegen Rechts“ vor allem gegen die amtierende Regierung Österreichs.
„So nett unser Bundeskanzler aussieht“, sagt Monika Salzer – „seine Agenda macht mir Angst“. Sie kritisiert: „Seit diese Regierung im Amt ist, tut sie alles, um diese Gesellschaft zu spalten.“ Es würden die Ärmeren gegen die noch Ärmeren ausgespielt, während sich die Reichen – oftmals unbemerkt vom medialen Getöse um die sogenannte „Flüchtlingskrise“ – immer mehr bereichern.
„Worte, die früher unmöglich waren, werden heute ausgesprochen – auch von der Regierung“, erklärt Salzer weiter. „Das wirklich Gefährliche“, ergänzt Oma Scholl, sei, „dass es zwischen den beiden Regierungsparteien keinen Unterschied mehr gibt“. Aus dem Antrieb heraus, diese Art von Politik der Ausgrenzung und der Spaltung, der Feindbild- und Sündenbock-Politik nicht tolerieren zu wollen, habe man sich im November 2017 dazu entschlossen aktiv zu werden – Alter hin oder her. Auch, „weil es in Österreich heute keine wirklich arbeitsfähige Opposition gibt“.
„Omas, Omas – uns braucht das ganze Land!“
Begonnen hatte alles mit einer einfachen Facebook-Gruppe, die die Psychotherapeutin Monika Salzer am 16. November ins Leben gerufen hatte. Als Mitglied der ersten Stunde gilt auch die Journalistin Susanne Scholl. Nach ihrem ersten gemeinsamen Auftritt im Dezember kam der Rubel am 13. Januar – der Tag der ersten großen Antiregierungsproteste mit rund 70.000 Teilnehmern in Wien – dann so richtig ins Rollen. Mit ihrem Protestsong, dem OMA-Lied, konnten sie zahlreiche aufbegehrende Herzen für sich gewinnen – darunter die von zahlreichen Journalisten.
Omas, Omas,Uns braucht das ganze Land,Wir kämpfen für die KinderUnd machen Widerstand.Omas, Omas,Die Wölfe dieser WeltVerkaufen uns’re ZukunftHeut‘ schon für das große Geld
Seit diesem Tag vergeht keine Demo, die sich gegen die Regierung richtet oder für mehr Solidarität einsetzt, ohne Anwesenheit der Omas. Sie gehören zum Demo-Inventar. Nicht nur, dass sie sich altersmäßig von der – meist deutlich jüngeren – Masse etwas abheben. Erkennungszeichen sind vor allem ihre selbstgestrickten Mützen, angelehnt an die Pussyhats der Trump-Proteste. Innerhalb eines Jahres ist die Omas-Facebookgruppe auf rund 3.500 Mitglieder angewachsen – 17 Prozent davon sind Männer. Auch bei Twitter und Instagram sind sie bereits zu finden.
Der Kampf um Demokratie kennt keine Altersgrenze
Das Konzept der „Omas gegen Rechts“ trägt mittlerweile auch außerhalb Wiens Früchte: In sechs weiteren österreichischen Bundesländern sind die Pensionsaktivistinnen vertreten. Mittlerweile gründeten sich auch deutsche Ableger in Berlin, Bremen, Chemnitz, Dachau, München und zahlreichen weiteren Städten. „Wir kommen vor allem bei den Jungen gut an“, sagt Monika Salzer und grinst. „Wo immer wir Omas sind, fallen wir auf“, so die Psychotherapeutin. Selbst Mitglieder mit Rollator und Rollstuhl seien bereits auf Demos unterwegs gewesen. Und so tragen mittlerweile auch Studierende weiße Buttons mit der Aufschrift „Omas gegen Rechts“ .
Auf die Straße zu gehen, die Stimme zu erheben, zu demonstrieren, das sei nicht nur ihre eigene Pflicht – man habe ja „noch Ressourcen“ -, sondern insbesondere eine Verpflichtung gegenüber ihren Kindern und Enkelkindern. „Ich selbst will nicht das erleben, was meinen Großeltern passiert ist“, erklärt Scholl. „Das Wichtigste“, weiß Salzer, „ist der Kampf gegen den Faschismus“. Und diese Gefahr sei derzeit – mit der Regierung aus ÖVP und FPÖ – nur allzu präsent.
„Alt sein, heißt nicht stumm sein!“
Am 16. November feiern die Omas gegen Rechts ihr einjähriges Bestehen – auch wenn es derzeit aus deren Sicht nur wenig zu feiern gibt. Jeden Donnerstagabend sind sie auf der Straße unterwegs, um zusammen mit Tausenden anderen ihren Unmut gegenüber ihrer Regierung kundzutun.
Im kühlen Novembernebel sind von weitem meist nur ihre Mützen zu erkennen. Seite an Seite marschieren sie neben linken Gruppierungen, Studierenden- und Umweltschutz-Organisationen sowie all denjenigen, denen die derzeitigen Entwicklungen nicht mehr ganz geheuer sind. Merkwürdig findet dies – nach einem Jahr – keiner mehr. Die Omas gehören nun mal zum Bestand.
Konfrontiert man sie mit Problemen unserer Zeit, mit Fragen zum tagespolitischen Geschehen, antworten sie mit einer Überzeugungskraft und einer analytischen Schärfe, dass so manch‘ Junger nur mit den Ohren schlackern kann. Von islamistischen Terrorgruppen in Afghanistan und falschen medialen „Framings“ über die österreichische Sozialpolitik bis hin zum Verhältnis zwischen Europa und Russland scheint es so gut wie kaum ein Thema zu geben, über das sie nicht aus dem Stegreif – ganz locker aus der Hüfte – referieren könnten. Ganz getreu ihrem Motto: Alt sein, heißt nicht stumm sein!