Wien. „Es gibt eine türkis-blaue Einigung“, verkündete der österreichische ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz als er mit FPÖ-Obmann und Koalitionspartner Heinz-Christian Strache vor die Presse trat. Nach 61 Verhandlungstagen zwischen der rechtskonservativen ÖVP und der rechtsnationalistischen FPÖ wolle man den Wählern künftig eine Politik bieten, „die beim System spart und nicht bei den Menschen“. Ein Blick ins Regierungsprogramm der Neu-Koalitionspartner verspricht Entlastungen für mittlere und große Unternehmen, eine rauere Handhabe im Umgang mit Geflüchteten sowie ein klares Bekenntnis zur Leistungsgesellschaft. Der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt ORF wolle man künftig ganz genau auf die Finger schauen. Der „kleine Mann“, um dem man sich im Wahlkampf so sehr bemühte, wird am Ende nicht viel von dem Programm haben. Die kleine Frau noch weniger…
31 Jahre alt ist er, der neue Bundeskanzler der Volksrepublik Österreich, Sebastian Kurz. Als jüngster Kanzler der Europäischen Union verhalf er seiner Partei nicht nur zu einem neuen Image, sondern auch zu Wahlergebnissen, von denen die Volkspartei bis vor kurzem nur zu träumen wagte. Vorausgegangen war den 31,5 Prozent bei der Nationalratswahl eine radikale Reorganisation sowie eine völlige Neuausrichtung auf den Spitzenkandidaten Kurz. Aus der Parteifarbe Schwarz wurde Türkis, die Konservativen wurden mit etwas Hippness versehen – „Zeit für Neues“ plakatierte man im ganzen Land. Als Mitgift zur Hippness kam ein ordentlicher Ruck nach rechts, insbesondere was die Themen Migration und politischer Islam anbelangt. Als Quasi-Alleinherrscher und im Stile eines CEO prangt der 31-Jährige seit Juli an der Spitze der „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“. Seit 18. Dezember befindet sich der einstige Staatssekretär für Integration auch an der Spitze der Alpenrepublik.
Ihm als Vizekanzler zur Seite steht der rechtsnationale FPÖ-Chef, Heinz-Christian Strache. Als Sympathisant mit ultrarechten und deutschnationalen Vereinigungen erhob man gegen ihn als Jugendlichen Anzeige wegen des Verdachts der nationalsozialistischen Wiederbetätigung. Bei einer Neonazi Veranstaltung in Deutschland wurde Strache einst festgenommen. Heute steht er unbestritten an der Spitze der Partei – er war es, der die Freiheitlichen nach den Haider-Jahren aus der rechten Schmuddelecke zurück ins bürgerliche Milieu brachte.
„Völkischer“ Anteil im Nationalrat so hoch wie nie zuvor
Auch ein Blick auf die Vergabe der einzelnen Ressorts und Ministerposten lässt aufhorchen: Mit Verteidigungs- (Mario Kunasek), Innen- (Herbert Kickl) und Außenministerium (Karin Kneissl) gehen die Schlüsselressorts in Sachen Exekutive allesamt an die FPÖ. Womit die Rechtsnationalen auch die Kontrolle über alle drei Geheimdienste Österreichs (Außen, Verteidigung, Verfassungsschutz) innehaben. Sämtliche Ressorts mit Relevanz im wirtschaftlichen Bereich liegen dahingegen in den Händen der ÖVP.
Sowohl Kunasek und Kickl als auch Kneissl fallen in die Kategorie „nicht unumstritten“. Der Neu-Verteidigungsminister setzt Asylbewerber gern mal mit „Kriminaltouristen“ oder „Asylschwindlern“ gleich, fordert im selben Atemzug auch eine nächtliche Ausgangssperre für Geflüchtete. Neu im Außenministerium ist Kneissl zwar als unabhängige Expertin, jedoch auf Zuruf der FPÖ. Umstritten ist die „Nahost-Expertin“ vor allem ob ihrer kritischen Aussagen in Zusammenhang mit Flüchtlingen und dem Thema Asyl. Der sexuelle Frust arabischer Männer sei so mitverantwortlich für den arabischen Frühling gewesen, Europa müsse sich vor einem zukünftigen „Männerüberschuss“ schützen, denn „80 Prozent“ der Geflüchteten seien junge Männer und vollkommen „testosterongesteuert“. Mit Kickl ist der jahrelange Chef-Ideologe der Freiheitlichen Partei ins Innenministerium eingezogen. Für den einstiegen Partei-Messias Jörg Haider schrieb er die Reden, für diverse Aufreger um FPÖ-Wahlplakate war der heute 49-Jährige bereits zuständig. Er gilt als „rechte Hand“ und als „Hirn“ von Partei-Chef Strache. „Wiener Blut – zu viel Fremdes tut niemandem gut„, „Daham statt Islam“ sowie etliche weitere rassistische wie antisemitische Statements gehen auf Kickls Konto.
Verbindungen zu ultrarechten Gruppierungen und diversen Burschenschaften sind offenbar keine Hürde mehr, um in den österreichischen Nationalrat einzuziehen oder gar ein Ministerium überantwortet zu bekommen. Der „völkische“ Anteil im Nationalrat sei „so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Zweiten Republik“, meldete der österreichische Kurier. Dass Kunasek, Kickl und Kneissl nun die gesamte Exekutivmacht im Land kontrollieren, sorgte bereits vor der Angelobung für massive Kritik.
Das Regierungsprogramm
Wohin die Reise geht, wurde schon im Wahlkampf und während der Koalitionsverhandlungen einigermaßen deutlich: „Neue Gerechtigkeit“ wolle man im Lande schaffen. „Vor allem kleine Einkommensbezieher sollen mehr zum Leben haben“, heißt es von Seiten Kurz.
„Zusammen. Für unser Österreich.“ So lautet der Titel des 182 Seiten starken Regierungsprogramms, das unverkennbar die Handschrift einer rechtskonservativen Regierung trägt, die sich nach eigenen Aussagen „beide zu je 75 Prozent“ darin wiederfinden. Besonderen Wert legt man auf einen möglichst kleinen Staatshaushalt, einen wettbewerbsfähigen Standort Österreich sowie die Koppelung von erhaltener Leistung an die erbrachte Leistung. Auch ein – mehr oder minder – klares Bekenntnis zu Europa und zur Europäischen Union findet sich im Pakt wieder.
Wie diese „neue Gerechtigkeit“ aussehen soll, wird bereits auf den ersten Seiten des Regierungspapiers deutlich: Um der „Staatszielbestimmung Wirtschaftsstandort“ („Die Republik bekennt sich zu Wachstum, Beschäftigung und einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort“) gerecht zu werden, werde man sich – wohl mit der zur Verfassungsmehrheit nötigen Unterstützung der wirtschaftsliberalen Partei NEOS – dafür einsetzen, eine Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern. Ziel sei eine Reduktion der Staatsschuldenquote. Um dieser Vorgabe gerecht zu werden, werden vor allem die ärmeren und weniger wohlhabenden Menschen der Republik kürzer treten müssen.
Kürzungen bei Arbeitnehmern und Flüchtlingen
Die Höhe des Arbeitslosengeldes soll künftig – so sieht es das Programm vor – mit der Dauer des Bezugs sinken. 800 Millionen Euro will man einsparen, indem man von der Vorgängerregierung beschlossene Arbeitsmarktprogramme dies umfasste etwa ein Beschäftigungsprojekt für über 50-Jährige) gar nicht oder nur noch rudimentär umsetzt. Die Mindestsicherung soll zudem gedeckelt werden: 1.500 Euro maximal wird es monatlich pro Familie geben – unabhängig von der Anzahl der Bedarfspersonen.
Besonders gespart wird in den Bereichen Asyl und Integration: Asylbewerber erhalten „nur noch Sachleistungen“. Bereits Anerkannte müssen sich auf eine Kürzung der Sozialleistungen einstellen. 365 statt bisher üblichen 840 Euro soll es monatlich geben, dafür aber eine „obligatorische Beratung zur Rücksiedlung in das Heimat- oder Herkunftsland“.
Noch massiver beschränkt sollen die Leistungen für Neuzugewanderte werden: Diese sollen von bestimmten Sozialleistungen gänzlich ausgeschlossen und mit einem „umfassenden Arbeitsverbot“ belegt werden. Laut Standard-Journalistin
Zwölf Stunden pro Tag, 60 Stunden pro Woche
Im Bereich der Bildung sollen Studiengebühren an Universitäten wiedereingeführt werden und österreichische Schulen einer „leistungs- und ergebnisorientierten Besoldungssystematik“ unterliegen. Interessant ist auch, dass der politische Einfluss der linksgerichteten „Österreichischen Höchschüler_innenschaft (ÖH)“, der Vertretung der Studierenden an österreichischen Hochschulen, „stark konkretisiert“ werden soll. Im Zuge dessen sollen der Regierung erweiterte „Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten“ zur Verfügung stehen.
Für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wird unter dem Schlagwort „Flexibilisierung“ die maximale Arbeitszeit auf zwölf Stunden pro Tag bzw. 60 Stunden pro Woche erweitert werden können. Arbeitsrechte und Entlohnung sollen zudem auf innerbetrieblicher Basis geklärt werden können – was in weiten Teilen als Angriff auf die Kollektivverträge angesehen wird. Außerdem behalte man sich bei hoher Arbeitslosigkeit vor, den Arbeitsmarkt für Ausländer sektoral zu beschränken. Und wer in Österreich Anspruch auf eine Sozialwohnung hat, darf sich zudem bald auf regelmäßigen Besuch einstellen: Die Anspruchsberechtigung auf eine günstige Wohnung soll in regelmäßigen Abständen geprüft werden, heißt es im Papier.
Familien dürfen sich künftig über einen „Familienbonus plus“ von bis zu 1.500 Euro pro Kind in Form einer Steuerentlastung freuen. Zumindest die wohlhabenderen unter ihnen. Da ein Drittel der Österreicher und Österreicherinnen ohnehin keine Einkommenssteuer bezahlt, ein weiterer Teil nur sehr wenig, dürfte diese Maßnahme vor allem einkommensstärkere Familien freuen. Im Gegenzug werden die Anrechnung der Kinderbetreuungskosten und der Kinderfreibetrag (insgesamt bis zu 2.740 Euro) gestrichen. Vor allem einkommensschwache Frauen werden dem „Familienbonus plus“ wohl wenig abgewinnen können.
Finanzierbarkeit fragwürdig
Mehr Grund zur Freude dürften hingegen Unternehmer und Unternehmerinnen haben: Der Koalitionsvertrag sieht eine Senkung der Gewinnbesteuerung, eine bessere Abschreibemöglichkeit sowie eine Senkung der Körperschaftssteuer für Unternehmen vor. Großunternehmen im Land werden von der türkis-blauen Regierung um mehrere Milliarden Euro erleichtert werden. Jene 1,5 Millionen Österreicherinnen und Österreicher, welche weniger als 15.500 Euro pro Jahr verdienen, haben vom vielgepriesenen Steuergeschenk genau genommen – gar nichts.
Auch österreichische Medienanstalten dürfen sich künftig wärmer anziehen. „Die Bundesregierung bekennt sich […] zur Weiterentwicklung und Schärfung des öffentlich-rechtlichen Auftrags“. Dies umfasse „neben österreichischen Inhalten […] auch die Leistungen österreichischer Künstler, Sportler und Produzenten für die nachhaltige Identitätssicherung entsprechend im öffentlich-rechtlichen Auftrag als Schwerpunkt zu verankern. Österreichische Künstler sind in den Programmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verstärkt und nachhaltig zu fördern. Der Österreichische Rundfunk (ORF) wird sich also gemäß diesem Auftrag mit besonderer Sorgfalt dieser Thematik widmen.“
Offene Fragen ergeben sich auch im Bereich der Finanzierbarkeit. Zwar wolle man eine Milliarde Euro in den einzelnen Ministerien einsparen. Weitere 140 Millionen bei ausgegliederten wie der Bundesbahn ÖBB oder den Universitäten, 800 Millionen versuche man, wie bereits angesprochen, bei Arbeitsmarktprogrammen der Vorgängerregierung einzusparen. Insgesamt, so tat man im Wahlkampf regelmäßig kund, würden so zwölf Milliarden an Überschuss entstehen. Wenn diese Rechnung am Ende tatsächlich aufgehen soll, wird die ÖVP-FPÖ-Koalition noch an einigen Ecken Einsparungen vornehmen müssen.
Sündenböcke und soziales Abseits
„Wir wollen eine neue Gerechtigkeit schaffen, durch eine Reform der Mindestsicherung, aber auch durch flexiblere Arbeitszeiten“, verlautbarte Neu-Kanzler Kurz bei der Präsentation des Regierungsprogrammes. Von dieser „Gerechtigkeit“ profitieren werden vor allem jene, die sich in Einkommens- und Vermögensberichten eher „weiter oben“ einreihen. Geringverdiener – auch wenn man das von Seiten der neuen Regierung immer wieder anders darzustellen versucht – haben vom neuen Programm vor allem eins: Zugewanderte als Prügelknaben und Sündenböcke, die noch mehr ins soziale Abseits gedrängt werden als die Geringverdiener selbst.
Analyse: Johannes Greß
- Das gesamte 182-seitige Regierungsprogramm „Zusammen. Für unser Österreich.“ lesen Sie hier.
- Der österreichische „Standard“ hat das gesamte Programm (inklusive einzelner Unterpunkte) einer ausführlichen (und lesenswerten!) Analyse unterzogen. Diese können Sie hier einsehen.
- Einen Überblick über einzelne Minister und Ministerinnen gibt es außerdem hier.
- Mehr zum Thema gibt’s ebenfalls bei der „Zeit“ zu lesen.
Ruheständler in Österreich bekommen im Schnitt 60 Prozent mehr Rente als deutsche.
Die Zahlen sind eindeutig: Bei 1231 Euro liegt die monatliche Durchschnittsrente in der Alpenrepublik. Rechnet man ein, dass sie zudem 14 Mal ausbezahlt wird, kommt man sogar auf 1436 Euro. Dem gegenüber stehen in Deutschland nur 909 Euro. Zudem gibt es – anders als in Deutschland – eine Mindestrente.
Im Gegensatz dazu Deutschland, kürzlich war zu lesen:
Nur noch 53 Prozent der Beschäfrigten mit Tarifvertrag: „Gesellschaftlicher Skandal“.
Aufgrund der Politik der letzten Jahre insbesondere die Agenda 2010 bzw. die Hartz-Reformen ( z.B. Streichung von Rentenbeiträgen im Zuge des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 für Arbeitslosengeld-II-Bezieher) ist in Zukunft mit einem Zunami an Altersarmut zu rechnen! Was die verantwortlichen Politiker nicht mehr interessieren wird, da sie sich mit königlich, kaiserlich feudalen Altersversorgungen in den Ruhestand schon verabschiedet haben bzw. verabschieden werden.
Durchschnittshöhen der Altersbezüge 2012
Altersversorgung in Deutschland (brutto)
Euro/Monat
Rente
West
Männer 985
Frauen 484
Witwer 223
Witwen 579
Ost
Männer 1079
Frauen 715
Witwer 268
Witwen 616
Beamten-Pensionen
Bund
Ruhegehalt 2750
Witwengehalt 1580
Länder
Ruhegehalt 2940
Witwengehalt 1690
Gemeinden
Ruhegehalt 2840
Witwengehalt 1060
Bahn
Ruhegehalt 1930
Witwengehalt 1060
Post
Ruhegehalt 1900
Witwengehalt 1050
Abgeordneten-Pensionen
Bundestag
Pensionäre 3011
Witwen 1996
Minister-Pensionen
Bund
Pensionäre 5673
Witwen 3369
Quelle: Alterssicherungsbericht des Bundessozialministeriums