Schönau. „Theaterspielen ist gut für unsere Sprache – ich liebe Dich, alles.“ Khaled Ahmed Qurane, 24 Jahre jung, geflohen aus Somalia und (manchmal) der Dorfwirt in dem immer bekannter werdenden Laientheaterstück „Mitten in Niederbayern„, zog dieses spontane wie ehrliche Fazit voller Enthusiasmus an der Bühnenkante gegenüber den begeisternd applaudierenden Zuschauern.
Und das sicher Überraschende dieses von Sebastian Goller (39) geschriebenen Stückes ist der bewusst gespiegelte Blickwinkel. Alle 20 Schauspieler aus Somalia, Eritrea, Syrien, Sachsen, Niederbayern und dem Senegal haben keinerlei Bühnenerfahrung. Alle Asylbewerber im Theaterstück werden von Niederbayern gespielt – und umgekehrt die (Rottaler) Niederbayern von den Silbe für Silbe Deutsch lernenden Asylbewerbern. Nach fünf Monaten Übungszeit entstand dabei ein Leuchtturmprojekt, das im Augenblick volle Säle zu langem Applaus antreibt, jeden Auftritt mit weiteren Terminwünschen beendet und alle Zuschauer – egal ob Stadt- oder Landbevölkerung, Grüne, Sozis CSU-ler oder Asylbewerber vor Ort – lebhaft diskutierend in ihren Alltag mit vielen neuen Gedanken entlässt.
Die Brücke Empathie hilft hier viel – sollte sie zumindest
Doch gehen wir kurz zurück in die jüngere Geschichte: In vielen bayerischen Dörfern und Städten sind – mehr oder weniger kritisch beäugt – in den letzten Monaten „andersfarbige, anderssprechende“ Menschen als Kriegsflüchtlinge mit in sich eingeschlossenen, teils furchtbaren Erlebnissen im Gepäck in Niederbayern angekommen. Aus der engen räumlichen Situation eines direkt neben dem Schönauer Kulturprojekts „Posthalterstadl“ stehenden Asylbewerberheims entstanden dann schnell persönliche Kontakte. Zuerst spontan, immer neugierig, mehr und mehr freundlich, da und dort auch schon vertraut.
Der im Posthalterstadl arbeitende Regisseur Goller kommentierte sein Theaterprojekt so: „Diese oft traumatischen Fluchtsituationen, das Überlegen, was ich in irr-stressigen Situationen von jetzt auf sofort mitnehmen würde, das gleichzeitige Zurücklassen aller Bindungen und hart erarbeiteter Werte sind ja völlig außerhalb unseres deutschen Vorstellungsvermögens. Die Brücke Empathie hilft hier viel – sollte sie zumindest. Und seien wir ehrlich: Wie oft verstehen wir Deutsche uns untereinander auch nur äußert mühsam?“
„Das tut einem selbst doch gut, das ist einfach sautoll“
Die Darstellerin und „Flüchtlingsfrau“ Claudia Weislmeier (Schönau) wurde nach einer Aufführung aus dem Publikum gefragt, was ihr das Stück bedeute. Ihre Antwort: „Wir hatten einfach viel spontanen Spaß, die Schauspieler waren oft minutenlang fühlbar glücklich – das tut einem selbst doch gut, das ist einfach sautoll.“ Weislmeier ist auch diejenige, die nach der Ankunft der 30 Asylbewerber in dem 2.000 Seelen-Ort Schönau einen Helferkreis für die Neuankömmlinge mitbegründet hat und nun als Sicherheit suchende, geflohene Frau auf Bühnen steht.
Der 53 Jahre alte Senegalese Baye Abdu Wahab beispielsweise spielt den Bürgermeister – und er spielt ihn so vehement und authentisch, dass das Publikum sicher oft den aus eigenem Erleben dörflichen, über Generationen eingespielten Verhaltensbrei in wenigen Sekunden in neuem Licht wiedererkennt: diese kleinen Hochnäsigkeiten der dörflichen Hierarchien zwischen dem (somalischen) Pfarrer Said Muhumed, Dorfschullehrer Mohamed Bayazid oder dem senegalesischen Bäcker Samba Diop Papa und der Bürgermeistersekretärin Fatou Coy N Deye. Und dann, oh Gott, da kommen Flüchtlinge – nicht aus Norddeutschland als Touristen, nein, sogar „bis von Afrika“! Richtige, bayerische Flüchtlinge. Ja, und nun?
Mantraartig wiederholt sich der Zustand des Wartens…
Der inhaltliche Spannungsbogen umfasst das weite Spektrum typischer Fluchtsituationen. Das Stück beginnt mit dem quälenden Warten der Flüchtlinge auf Neuigkeiten vorauseilender Schicksalsgenossen am Fußboden eines Bahnhofs. Es setzt sich fort mit ihrem Eintreffen in einer verkrusteten, ländlichen Gemeinde und der fiebrigen Erkrankung einer der Flüchtlingsfrauen. Und dann brennt auch noch die Unterkunft. Die Zuschauer erleben bei den Asylbewerbern eine wahre Achterbahnfahrt der Gefühle – dabei wechseln sich einander Erschöpfung, Rechthaberei, Sarkasmus, Neid, Enttäuschung, Mut und Solidarität ab. Und mantraartig wiederholt sich dieser zehrende Zustand des Wartens, des Wartens, des Wartens…
Hermann Schoyerer
Das Theaterstück von Sebastian Goller wird in den kommenden Wochen mehrfach in Niederbayern auf die Bühnen gebracht, so z.B. am 11. Juni um 19 Uhr im Zeughaus Passau (Schießgrabengasse 12). Weitere Termine erfragbar über: lebensraumrottal@gmail.com
Kommt nach Straubing, spielt für uns!
Sehr gerne liebe Ilse,
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Hermann