Kollnburg. Sie müssen bei Turnieren Preise gewinnen, ihre Effektivität bei der Milcherzeugung unter Beweis stellen und dazwischen ihr Dasein in beengten Verhältnissen fristen. Sobald sie dann nicht mehr rentabel sind, wartet der Schlachter auf sie. Die Rede ist von sogenannten Nutztieren, die, nachdem sie „ihr Soll“ erfüllt haben, gnadenlos aussortiert werden. Der Erdlingshof in der Gemeinde Kollnburg im Landkreis Regen hat es sich zur Aufgabe gemacht, aktuell rund 50 dieser Tiere ein dauerhaftes und vor allem sicheres Zuhause für ihr weiteres Leben zu bieten.
Da Hog’n hat den Hof vor Kurzem besucht – und sich ein Bild von all den Zwei- und Vierbeinern gemacht, die das Schicksal vereint, dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen zu sein. Viele von ihnen stammen aus Beschlagnahmungen, aus Befreiungsanstalten oder sind so genannte Findelkinder, die allesamt viel Leid erlebt haben. Auf dem Hof von Johannes Jung und Birgit Schulze soll ihnen nun ein lebenswerteres Dasein ermöglicht werden. Beide widmen all ihre Energie und Leidenschaft den Tieren, die sie aufgenommen haben – und das bereits seit eineinhalb Jahren. So lange gibt es den Erdlingshof in seiner jetzigen Form nämlich schon. Dessen Name ist zurückzuführen auf seine Bewohner, denn: Dort leben sowohl Menschen als auch Tiere. „Sie alle sind Erdlinge oder Erdenbewohner“, wie Jung betont.
Bullen werden als „Abfall der Milchindustrie“ gerettet
Jüngster Bewohner des Erdlingshofs ist Bulle „Ben“. Auch er konnte in letzter Minute vor dem Schlachter gerettet werden. Da Bullen bekanntermaßen von Natur aus keine Milch geben können, sind sie für die Milchgewinnungsindustrie nutzlos. Dieser Umstand sei besonders tragisch, sagt Jung, „wenn man bedenkt, dass rund die Hälfte aller geborenen Kälber männlich sind“. Sie werden meist nach nur kurzer Mastdauer getötet. „Daher gilt es sich bewusst zu machen, dass man mit dem Milchkonsum auch unweigerlich die massenweise Tötung von Bullen unterstützt“, konstatiert der Erdlingshof-Begründer. Ähnlich verhalte es sich beim Federvieh: „Da die männlichen Küken keine Eier legen und sich zuchtbedingt nicht für die Fleischproduktion rentieren, werden sie direkt vergast oder zerschreddert.“
Auch „Carsten“, ein Schwein, das seit Ende vergangenen Jahres auf dem Erdlingshof lebt, ist äußerlich von den Grausamkeiten gezeichnet, die ihm widerfahren sind. Ein Loch im Ohr weist noch immer auf die Marke hin, die ihm damals im Zuchtbetrieb verpasst worden ist. „Carsten“ wurde, wie Jung berichtet, bei vollem Bewusstsein kastriert. Dem Schwein wurde – ebenfalls bei vollem Bewusstsein – ein Eckzahn nach dem anderen abgeschliffen und der kleine Ringelschwanz mit einem heißen Eisen abgetrennt. Ohne Narkose.
„Tiere werden profitgerecht zusammengeschustert“, ist sich Johannes Jung mit verbitterter Miene bewusst – und verweist dabei auf das in der Gesellschaft vorherrschende Zweiklassen-Denken: „Die Menschen unterteilen Tiere in zwei Kategorien: in die, die uns nahestehen und denen wir uns mit Fürsorge widmen – wie zum Beispiel Hunde, Katzen oder Pferde. Und in die, die wir töten, um sie zu essen.“
Vegane Lebensweise wird als Auftrag an die Menschen weitergegeben
Ähnlich ergangen wie Schwein Carsten ist es auch all den anderen Tieren, die heute auf dem Hof leben. Daher erachten es Johannes Jung und Birgit Schulze als wichtig, den Menschen klar zu machen, dass Tiere keine Lebensmittel, sondern ebenso fühlende Lebewesen wie sie selbst sind. Mit ihrem Hof wollen sie ein Umdenken herbeiführen – und gleichzeitig zu einer „tierfreundlichen Lebensweise“ ermutigen.
„Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist in so vielen Lebensbereichen modern und weiterentwickelt. Nur in der Ernährung ist er von der Steinzeit nich allzu weit entfernt“, ist Hofbetreiber Jung überzeugt. Er selbst ist in einer vegetarisch lebenden Familie aufgewachsen und pflegt bereits seit seiner Kindheit einen innigen Kontakt zu Tieren. Der 27-Jährige arbeitet als Campaigner für die Albert-Schweitzer-Stiftung und ist dort für die Aufklärungsarbeit zuständig. Außerdem hat er ein Jahr lang die landwirtschaftliche Berufsschule besucht, um sich entsprechendes Wissen anzueignen.
Als Jung im Alter von 13 Jahren begriff, dass Tiere nicht nur für den Fleischkonsum getötet werden, sondern auch im Zuge der Milchproduktion bzw. Eierlegung ihr Leben unter grausamsten Bedingungen lassen müssen, sei er einen Schritt weitergegangen und habe sich bewusst für ein veganes Leben entschieden. „Heute besteht keine Notwendigkeit mehr, Tiere zu töten“, ist er sich sicher und verweist dabei auf die Vegane Bewegung, die mehr und mehr Zulauf erfährt. In Amerika würde bereits ein beachtlicher Teil aller Studierenden vegan leben, weiß Jung. Mit einer veganen, pflanzenbasierten Ernährung biete sich dem Menschen heute zudem eine Vielfalt an Alternativen, sich gesund und abwechslungsreich zu ernähren – und auch ohne tierisches Produkte ein gutes Leben zu führen.
Erdlinge sind auf Patenschaften und Spenden angewiesen
Der Hof habe sich mittlerweile gut etabliert. Das Interesse der Menschen sei sogar so groß, dass Leute hin und wieder außerhalb der Besuchszeiten den Erdlingen einen Besuch abstatten wollen. Daher wurde jeweils der erste Sonntag im Monat als Besucherstag eingerichtet, an dem sich Menschen aus Nah und Fern von 15 bis 17 Uhr (nach Voranmeldung) einen Überblick über den Hof, die Idee dahinter – und natürlich dessen Bewohner verschaffen können.
David Salimi
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Wer den Erdlingshof unterstützen möchte, kann dies etwa mit einer Patenschaft machen. Denn um die Versorgung und Betreuung der Zwei- und Vierbeiner künftig gewährleisten zu können, ist der Erdlingshof auf Patenschaften angewiesen. Daneben kann man aber auch mit Einzel- oder Sachspenden, einem Privatkredit oder einer Berücksichtigung des Hofes im Testament den Erdlingen etwas Gutes tun.