Passau. Wer Geschichtsforschung betreibt, um in seiner eigenen Heimat Nazi-Verbrechen an Juden aufzudecken, stößt auf Widerstände und gilt als „Nestbeschmutzer“. Als Beispiel dafür, wie unbequeme Aufdecker verfolgt und diskriminiert werden, trat die 53-jährige Anna Rosmus vor Kurzem am Lehrstuhl für Südostasienkunde an der Universität Passau auf. Die Dreiflüssestadt, so belegte sie anhand von Mitgliederzahlen der Partei, war eine Keimzelle der NSDAP. Spannender Stoff für die jungen Studenten, schwere Kost für die älteren Bürger – beide Gruppen saßen im Publikum.
Anna Rosmus: „Heute hat sich die Stimmung völlig gewandelt“
Als 20-Jährige galt die Passauerin Anna Rosmus als das „schreckliche Mädchen“. Das Stadtarchiv versuchte, ihr die Akteneinsicht zu verweigern. Sie drohte vor Gericht zu klagen. Mit Erfolg. „Heute hat sich die Stimmung völlig gewandelt“, erzählt sie. Der alte Amtsgerichtsdirektor habe ihr die Archivarbeit erschwert, der neue sie gestern freundlich empfangen und zu einer Tasse Kaffee eingeladen.
Trailer – „Das schreckliche Mädchen“ Anna Rosmus:
http://youtu.be/3FFU4dwhMqA
Passau war zeitweise die Heimat von „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler und Hitlers Familie. Auch später hätten diese regen Kontakt zu den Passauern gepflegt. „Das zeigt schon, was Passau für eine Rolle damals gespielt hat“, sagt Rosmus. Die Zahl der NSDAP-Mitglieder lag im Vergleich zum gesamtdeutschen Durchschnitt in der niederbayrischen Provinzstadt 30mal höher.
… und jemand sagt: „Danke, dass sie es erzählt haben“
Anna Rosmus erzählte, häufig klingele bei ihr das Telefon und jemand sagt „Danke, dass sie es erzählt haben!“ Es seien oft Angehörige von Opfern, die es wichtig finden, dass die Wahrheit festgehalten und verbreitet wird. Das Besondere an Rosmus‘ Veröffentlichungen ist: Die Autorin bewertet nicht, sie schreibt einfach, was war. Sie zitiert Bewerbungsschreiben von Parteitreuen, Gepäcklisten der Flüchtlinge oder lässt Überlebende zu Wort kommen. Eine heute 91-jährige Vilshofenerin erinnere sich noch sehr detailliert an jenen Tag, an dem ein Sammelbus zum KZ Dachau sie und ihre Familie abholte. Heute lebt diese Frau in San Francisco.
Dokumentarfilm von Michael Verhoeven über „Das schreckliche Mädchen“:
http://youtu.be/gqc82Tgbzws
„Es ist mehr, als dass sie die alten Gespenster aus dem Schrank holen. Es ist ein Akt der Befreiung“, beschrieb der Gastgeber, Professor Dr. Rüdiger Korff vom Lehrstuhl für Südostasienkunde, die Arbeit der aus Amerika angereisten Referentin. Rosmus hatte ihr aktuelles Buch „75 Jahre Reichskristallnacht in Niederbayern“ dabei. Seit 30 Jahren sammelt die Historikerin Stimmen von Zeitzeugen und Dokumente, um die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten.
Dieser Beitrag wurde als Übung „Online-Bericht“ von Studentinnen und Studenten eines Medienkurses für journalistische Darstellungsformen der Uni Passau erstellt.
Vor Jahrzehnten habe ich Anja Rosmus kennengelernt, als sie ihr erstes Buch über Passaus NS-Vergangenheit vorstellte. Ich bin in Passau geboren und lebe in Dachau. Hier konnte man ähnliche Erlebnisse verzeichnen, wenn man es als junger Mensch wagte, in der NS-Vergangenheit zu rühren. Die Beschimpfung als Kommunist war noch harmlos.
Inzwischen hat man sich auch in Dachau zur Vergangenheit bekannt. Diese Debatten habe ich Jahrzehnte im Stadtrat miterlebt und mitgekämpft.
Edgar Forster
Mutig, mutig. Es ist Wahnsinn und tief erschreckend, wie in Bayern heute noch mit der Nazivergangenheit ihres Landes der Städte und Gemeinden umgegangen wird und ist. Vieles soll verschwiegen werden. Gerade in Passau was auch Nazihochburg gewesen ist. Ich hoffe und wünsche mir sehr, dass sich auch junge Leute endlich gut informieren, was hier in unserem Land zur damaligen Zeit passiert ist.