Wolfram Fleischhauer führt den Leser in dunkle Abgründe der Geschichte. Es ist ein Roman, soviel steht auf dem Umschlag – aber das Buch ist mehr als das. Es ist ein spannender Krimi, in dem die Polizei – das eigentliche Rechtsorgan – die Seiten wechselt. Wo es nicht darum geht, zu verurteilen, sondern die Wahrheit ans Licht zu schaffen. Wie so oft im Leben liegt sie tief verborgen, im Schutze der Verschwiegenheit. Doch die Erinnerung verblasst nicht. Und das ist die Chance der Hauptprotagonistin Anja. Ein Krimi-Roman, der ganz nebenbei ein weitgehend unbekanntes Stück deutscher Geschichte aufarbeitet – unheimlich, spannend und nichts beschönigend. Ein Buch, das im Gedächtnis bleibt und nicht auf dem Level seichter Unterhaltung schwebt. Genau das macht es so gut…
OPTIK
Ein fest gebundenes Buch mit Schutzumschlag. Ganz ehrlich – das hat was Feierliches. Schaut der Leser unter die Hülle, wiederholt sich das Rot des Titels im Einband. Das Umschlagbild zeigt einen ganz besonders dichten Fichtenwald, der kahl und undurchdringlich daliegt. Da wird sichtbar, wie viel Zeit der schweigende Wald hat. Da kommt nichts zurück – und magst Du auch noch so laut hineinrufen. Das Innenleben untergliedert sich in angenehm lange Kapitel. Hinten sehe ich Wolfram Fleischhauer auf einem Foto, schön, sich ein Bild machen zu können. Was vielleicht fehlt, ist eine Karte. Wo sind die Orte, die im Buch auftauchen?
INHALT
Der Wald sagt nichts. Er lebt, ist grün und kann Geheimnisse bestens für sich behalten. Auch dunkle – und die gibt es im nördlichen Bayerischen Wald bei Weiden. Anja möchte diesem Geheimnis auf die Spur kommen. Als Kind machte sie mit ihren Eltern Urlaub hier – und dabei verschwand ihr Vater spurlos. Warum? Eigentlich ist Anja Forstamtsstudentin, aber in ihr wird die Detektivin wach. Dabei gerät sie immer tiefer hinein ins sprichwörtliche Unterholz und deckt am Ende nicht nur das Verbleiben ihres Vaters auf, sondern ein kollektives Dorfgeheimnis, das dem Grauen des Zweiten Weltkriegs entwuchs. Musste der Vater sterben, weil er damals in den 70ern ein „Öko“ war, der die wirtschaftlichen Ideen der Waldbauern zunichte machen wollte? Nein, das ist nicht der Grund … Er musste sterben, weil er das Dorfgeheimnis entlarvt hatte. Damals, als nach Kriegsende die Häftlinge des nahegelegenen Konzentrationslagers Flossenbürg befreit wurden, zerstreuten sie sich in alle Winde – wurden aber zuhauf von den Dorfmilizen aufgehalten, zusammengetrieben und hingerichtet. So geschah es auch in Faunried … Und nun? Hat Anja mehr Glück als ihr Vater und kann die Wahrheit endgültig ans Licht bringen?
STIL
Wolfram Fleischhauer schreibt angenehm. Seine Sätze sind nie zu lang, nie theatralisch. Und dennoch schafft er es, die Spannung mehr und mehr aufzubauen, die Kurve zu halten, die nach einer beträchtlichen Länge eine ganz andere Richtung einschlägt, als erwartet. Er beschreibt seine Figuren so, dass man sie sich vorstellen kann – keine überzeichneten Klischee-Menschen mit Alleinstellungsmerkmalen, sondern Leute, wie sie tatsächlich leben könnten. Angenehm wechselt er die Erzählperspektiven der dritten Person. So kann sich der Leser Bilder von jeder Figur machen, kommt jedem nahe, lernt es, jede in seiner Motivation zu verstehen.
SEX
Anja trifft auf Lukas, den sie noch aus den Ferien ihrer Kindheit kennt. Da funkt es ganz gewaltig. Wolfram Fleischhauer beschreibt aber keine wilden Sexszenen, vielmehr nähert er sich dem Thema behutsam. Und bleibt damit wohltuend im realistischen Bereich. Sex spielt für eine junge Frau wie Anja natürlich eine Rolle. Aber der Autor baut den erotischen Faktor nicht als festes Element in seinen Roman. Kein Wunder – so aufregend, wie es hier zugeht, rückt die Libido schon mal in den Hintergrund.
CRIME
Hier wird nicht geschossen! Es geht um einen Verschwundenen, der durchaus durch kriminelle Energie zum Schweigen gebracht wurde. Und es geht um einen als verrückt Geltenden, salopp würde man ihn Dorftrottel nennen. Der ist jedoch halb so trottelig – vielmehr war er Opfer des Dorfgeheimnisses. Er musste als Kind mitansehen, wie die Dorfmiliz die Häftlinge hinrichtete und anschließend in einem Massengrab verschwinden ließ. Da soll einer mal nicht verrückt werden … Anja weckt seine Erinnerungen wieder und er tickt aus, erschlägt seine bettlägrige Mutter, die ebenfalls ein grausiges Geheimnis verbirgt und erhängt sich. Und die ehemalige Dorfmiliz steht auch heute noch zusammen, verdeckt, vertuscht, verschleiert. Da geht es um falsche Identitäten, um Freunderlwirtschaft mit der Polizei – es darf nur ja nicht die Wahrheit herauskommen. Und darum kommt Anja auch nur haarscharf mit dem Leben davon, während es Lukas und sein Bruder lassen müssen. Kein Happy-End. Nur das dunkle Nachhallen der endlich entblößten, stinkenden Wahrheit …
DA WOID
Dieser Bayerische Wald ist zu weit weg, um vertraut zu sein. Aber das macht nichts. Immerhin geht es auch weniger um den Wald als Region. Vielmehr spielt der Wald die Rolle des Verbergenden, des Geheimnishüters. Dass so ein Wald die Menschen prägt, ist klar. Klar wird aber genauso, dass dieser Wald und die Menschen zusammengehören, auch wenn die Natur dabei vom nackten Affen instrumentalisiert wird. Der „Waidler“ – ist das in der Weidener Region überhaupt noch ein „echter“? – wird nicht klischeehaft präsentiert. Er menschelt nur einfach. Und darum könnte der Roman auch im Harz, in der Eifel, im Schwarzwald oder sonstwo spielen.
DER HINTERGRUND
Wolfram Fleischhauer kommt ja nun nicht aus dem Woid, auch nicht aus dem oberpfälzischen, er ist gebürtiger Karlsruher. Im Interview verrät er, warum er sich dennoch für diesen Schauplatz entschieden hat – seine Figuren seien Spurenleser. So wie Anja, die junge Forststudentin, die den Wald lesen kann, den Boden… Und in diesem Text erzählt der Autor, warum ihm sein achter Roman wie sein erster vorkam – nicht nur, weil der Schauplatz etwas wahrhaftig Bodenständiges hat.
PREIS-LEISTUNG UND VERLOSUNG
Ein fest gebundenes Buch kostet mehr als ein Taschenbuch, das ist klar. 398 Seiten kosten 19,99 Euro. Dafür erhält der Leser eine voll- und hochwertige Lektüre, die Spannung und Geschichte in einem bietet. Ein ideales Geschenk – oder ein idealer Gewinn! Macht mit, liebe Hog’n-Gemeinde! Schickt bis zum 24. April eine E-Mail mit dem Stichwort „Fleischhauer“ (inklusive Kontaktdaten) an info@hogn.de und gewinnt eins von drei Exemplaren von „Schweigend steht der Wald“. Viel Glück!
Eva Müller