Grafenau/Neudorf. In Grafenau wird ein Technologiecampus für „Einkauf und Logistik“ geschaffen. Das wurde am vergangenen Dienstag in Passau vom Ministerrat beschlossen. Der neue Campus, der von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Deggendorf getragen wird, erhält in den kommenden fünf Jahren eine staatliche Anschubfinanzierung in Höhe von vier Millionen Euro für die technische Ausstattung und die Beschäftigung des Personals. Die Unterbringung des Campus sowie die Betriebskosten während der Finanzierungsphase werden von kommunaler Seite zur Verfügung gestellt. Wie es nun weitergeht, darüber spricht Leiterin Prof. Dr. Diane Ahrens.
„Schützenhilfe aus der Region gab den Ausschlag für Grafenau“
Frau Ahrens, wie groß ist der Stein, der Ihnen jetzt vom Herzen fällt?
Das ist kein Stein, das ist ein Berg! Wir haben lange für den Campus gekämpft. Die ersten Gespräche wurden ja schon 2010 mit dem Regionalmanagement und den Unternehmern der Region geführt. Und einen Antrag auf Errichtung des Technologiecampus haben wir bereits im Juni vergangenen Jahres beim Wissenschaftsministerium eingereicht. Allerdings wurden in den letzten Monaten keine neuen Campi mehr genehmigt. Mittlerweile haben ja schon einige Hochschulen das Erfolgsmodell „Technologiecampus“ für sich entdeckt. Viele Landkreise haben nämlich festgestellt, dass dies Innovationsmotoren sind – und die Konkurrenz ist deswegen entsprechend groß.
Ich bin deshalb sehr froh, dass unser schlüssiges und zukunftsweisendes Konzept, ebenso wie die bislang aus eigener Kraft erzielten Erfolge, hier möglicherweise den Ausschlag gegeben haben. Sicherlich ist aber auch anerkannt worden, dass die Region dabei an einem Strang zog – so haben wir von vielen Seiten Schützenhilfe erhalten: von Firmen aus der Region, die sich als Netzwerkpartner an Forschungsprojekten beteiligt haben bis hin zu Sachspenden, die für die Renovierung unserer Räumlichkeiten eingesetzt wurden. Und nicht zu vergessen: Ein unermüdlicher Landrat Ludwig Lankl, der viele Hebel in Bewegung gesetzt hat.
Besonderer Dank gilt hier auch MdB Barthl Kalb, der sich stets für uns eingesetzt hat, dem Grafenauer Bürgermeister Max Niedermeier für seine beständige Hilfe und Bereitstellung der Räumlichkeiten – und der Hochschulleitung und meiner Fakultät, die uns immer den Rücken gestärkt haben. Und natürlich wäre auch ohne das außerordentliche Engagement meiner Mitarbeiter an einen Erfolg nicht zu denken gewesen. Besonders dankbar sind wir außerdem dem Staatsminister Helmut Brunner für sein großes Engagement beim Aufbau des Campus sowie für die umfangreichen, im Rahmen eines gemeinsamen Projektes aus seinem Ressort bereitgestellten, finanziellen Forschungsmittel. Diese Gelder sind eine wertvolle Hilfe, um die Zeitspanne bis zur Mittelzuwendung aus der Anschubfinanzierung überbrücken und den stabilen Weiterbetrieb sicherstellen zu können.
Können Sie in ein paar Sätzen erklären, was Logistik bedeutet?
(lacht) Das ist gar nicht so einfach! In jedem Fall bedeutet es weit mehr als „nur“ Lager, Umschlag und Transport! Im Kern ist es die optimale Versorgung der Produktion mit benötigten Materialien und die Belieferung der Märkte mit Gütern. Logistik findet also in Unternehmen, aber weltweit auch zwischen Unternehmen verschiedener Branchen statt. Hierzu zählen Themen wie effiziente Prozesse, durchgängiger Informationsfluss, Bestandsmanagement, Standortplanung oder auch Prognosen. Eng verbunden damit sind strategische Einkaufsentscheidungen, wie zum Beispiel die Beschaffung von Waren aus Fernost.
„Erst mal: durchatmen – und dann engagierte Forscher suchen“
Stichwort „Anschubfinanzierung“: Was bedeutet das in Zahlen?
Die Anschubfinanzierung richtet sich nach den Anforderungen des jeweiligen Campus. Campi, die teure Spezialmaschinen benötigen, brauchen eine entsprechend höhere Anschubfinanzierung. Wir sind mit einer beantragten Finanzierung von rund vier Millionen Euro für fünf Jahre noch eher bescheiden. Diese Mittel benötigen wir dringend für den Personalaufbau, aber auch für eine Sachausstattung mit einer leistungsfähigen Informationstechnik. Ferner ist ein Labor für Nutzfahrzeugtechnik – und gegebenfalls Intralogistik geplant. Nach fünf Jahren sollten unsere Einnahmen aus Forschung, Entwicklung, Beratung und Weiterbildung dann aber so hoch sein, dass wir uns selber tragen können.
Was heißt das konkret für den Logistik-Campus und für die Mitarbeiter?
Meine Mitarbeiter und ich atmen erleichtert auf, weil wir dringend personelle Unterstützung bei der Abwicklung von Projekten benötigen. Unsere Auftragslage ist zwar sehr gut, doch beim Aufbau von Stellen waren wir bislang noch übervorsichtig, um uns finanziell nicht zu übernehmen – und haben personell somit am oberen Limit gearbeitet. Die Anschubfinanzierung ermöglicht uns nun die so wichtige Spezialisierung in den jeweiligen Forschungsbereichen.
Als Nächstes werden wir einen Datenanalysten und einen Optimierungsprofi einstellen. An unserem Forschungscampus sollen durch die Verbindung verschiedener Disziplinen Synergien und Innovationen entstehen. Da Logistik eine Querschnittsfunktion ist, die sich durch Management, Technik und IT zieht, suchen wir mittel- bis langfristig neben Wirtschaftswissenschaftlern auch Physiker, Mathematiker, Ingenieure und Informatiker zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen für Einkauf und Logistik. Wir werden dabei in fachübergreifenden Teams eng zusammenarbeiten. Natürlich bedeutet die Anschubfinanzierung auch die Verpflichtung, Projekte weiterhin erfolgreich abzuwickeln, Drittmittel zu akquirieren und finanziell eigenständig zu werden.
Was wird jetzt Ihr erster Schritt sein?
Erst mal: durchatmen – und dann junge engagierte Forscher suchen und diese einarbeiten. Mit kurzzeitig befristeten Verträgen jemanden aus einer guten Festanstellung heraus in den Bayerischen Wald zu locken, ist kaum möglich. Die Anschubfinanzierung erlaubt uns jetzt aber längere Vertragslaufzeiten, sodass wir das Interesse von erfahrenen Experten wecken können, die in unsere Region zurückkehren oder hierherziehen möchten. Über Kooperationen bieten wir außerdem Promotionsmöglichkeiten an und geben bereits Masterstudenten am Campus die Möglichkeit, sich weiter in Richtung Promotion zu entwickeln.
„Logistik ist kein notwendiges Übel, sondern ein Wettbewerbsfaktor“
Mit welchen Unternehmen arbeiten Sie eigentlich aktuell zusammen?
Wir arbeiten mit Firmen aus der Region zusammen, sind aber auch überregional und in Großunternehmen tätig. Im kleineren Mittelstand ist häufig noch nicht die Erkenntnis gereift, dass Logistik kein notwendiges Übel, sondern ein Wettbewerbsfaktor ist, in den auch investiert werden sollte. Natürlich ist es für diese Firmen auch aufgrund ihrer Kapazitäten schwieriger, größere Projekte zu stemmen. Daher versuchen wir diese nach Möglichkeit vor Ort durch Studenten zu unterstützen, die dann im besten Fall nach dem Ende ihres Studiums auch in der Firma bleiben können.
Können Sie uns ein paar Projekte genauer vorstellen?
Besonders stolz sind wir auf das „Forschungsprojekt zur Verringerung der Lebensmittelverschwendung“, das wir mit dem Landwirtschaftsministerium durchführen. Hier geht es um die Verbesserung von Prognosen, indem man künstliche Intelligenz einsetzt. In vielen Firmen wird der Materialbedarf immer noch hemdsärmelig geschätzt oder es wird mit Methoden gearbeitet, die über 30 Jahre alt sind. Unsere Märkte haben sich aber durch zunehmende internationale Konkurrenz, technischen Fortschritt, Digitalisierung, Naturkatastrophen, Unsicherheit im Euro-Raum und das schnelllebige Internet wesentlich verändert. Entsprechend schwierig sind die Verkäufe vorhersagbar – besonders für kurzlebige Produkte. Natürlich können auch wir keine Glaskugel liefern, aber wir können eine Methodik anbieten, die signifikant bessere Prognosen erlaubt. Ähnliche Projekte werden ja bereits in der Modebranche durchgeführt.
Weitere Standbeine sind maßgeschneiderte Weiterbildungskonzepte im Bereich Einkauf und Logistik für Firmen oder Branchen. So entwickeln wir momentan, in Zusammenarbeit mit dem Verband der bayerischen Textilindustrie, Weiterbildungzertifikate für Einkäufer in der Modebranche. Gemeinsam mit Firmen planen wir Inhouse-Logistik-Akademien, um angesichts der schwankenden Qualifikation von Leiharbeitern und einer hohen Fluktuation einen einheitlichen Bildungsstand in der Logistik zu erreichen. Kleine Videoclips und internetbasierte Lerneinheiten bringen hier viel mehr als detaillierte Arbeitsanweisungen.
„Werden künftig den Bereich ‚intelligente System‘ weiter ausbauen“
Ein weiteres Thema ist die Einführung von „Lean Management“ in Firmen, weil das Betriebe angesichts der volatilen Märkte wettbewerbsfähiger macht. Wir tragen Effizienz dabei nicht nur in den Produktionsbereich, sondern auch mit pragmatischen Methoden ins Management hinein. Zukünftig werden wir zudem den Bereich „intelligente Systeme“ weiter ausbauen, zum Beispiel im Bereich Intralogistik. Damit sind die intelligente Steuerung von Förder- und Lagertechnik, Anliefersteuerung, Tourenplanung, Standortplanung oder intelligente Konzepte für Mobilität und Transport gemeint. Auch Logistik für nachwachsende Rohstoffe steht auf dem Programm.
Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie den Technologiecampus Grafenau in fünf Jahren?
Natürlich möchten wir ebenso erfolgreich sein wie die bereits bestehenden Technologiecampi. Teisnach hat mit einer international anerkannten Forschung und über 300 in und rund um den Campus entstandenen Arbeitsplätzen die Messlatte schon sehr hoch gelegt. Genauso wie der Campus in Freyung mit inzwischen über 40 Mitarbeitern.
Wir wollen in fünf Jahren finanziell eigenständig und solide dastehen – und auf einen sehr guten Mitarbeiterstamm blicken können. Dazu zählt auch, in einzelnen Forschungsbereichen bundesweit Anerkennung zu erzielen und auf internationaler Ebene mit Forschern zusammenzuarbeiten. Erste Kooperationen mit Großbritannien, Ungarn und Indien bestehen bereits. Vorrangiges Ziel ist allerdings, der Abwanderung junger talentierter Menschen entgegenzuwirken, Firmenausgliederungen und –ansiedlungen zu begünstigen – und unsere heimische Wirtschaft durch eine enge Zusammenarbeit noch wettbewerbsfähiger zu machen.
Interview: Christian Murauer/HDU Deggendorf