Herzogsreut/Bayerisch Eisenstein. Wer in der Skiliteratur in der Zeit vor 1900 nach einer Erwähnung des Skilaufs im Bayerischen Wald sucht, muss enttäuscht feststellen, dass es nirgendwo Berichte oder Aufzeichnungen gegeben hat (es sei denn, in der heimischen Presse oder Zeitschriften). Alle deutschen Gebirge, wie etwa das Riesengebirge, der Harz, der Schwarzwald oder das Erzgebirge wurden in herrlichen Bildern und ausführlichen Berichten dargestellt. Auch die Entwicklung des Skilaufs in diesen Gebieten wurde dokumentiert. Unsere Heimat, der Bayerische Wald, lag wohl zu weit abseits und führte deshalb ein Schattendasein…
Dem Interessierten stellt sich deshalb die Frage, ob die Kunde vom Wert der Ski als ideales Fortbewegungsmittel und als Sportgerät nicht auch in den Woid vorgedrungen war. Hier herrschten doch auch schneereiche Winter und damit schwierigste Bedingungen für die Überwindung der monatelang tief verschneiten Wegstrecken. Nachforschungen bestätigen, dass sich jedoch auch in unserem Gebiet die Einführung der Ski zumindest im gleichen Zeitabschnitt vollzog wie in den übrigen deutschen Mittelgebirgen und im deutschen Alpenraum.
„Die Sache fand keinen Anklang, setzte sich deshalb nicht durch“
Aus einem Bericht des Oberamtsrichters Ritter von Poschinger von 1912 erfährt man, dass norwegische Studenten 1860 dem Forstmeister Klein in Rabenstein das „Schneeschuhfahren“ vorführten – und dort auch Versuche mit den Schneeschuhen unternommen wurden. Er vermerkte dann aber auch: „Die Sache fand keinen Anklang, setzte sich deshalb nicht durch und schlief wieder ein.“ Die Kunde vom erfolgreichen Einsatz der norwegischen Bretter verbreitete sich aber dann doch zwischen den Forstleuten – und so kam es zu eigenständigen Entwicklungen in den verschiedenen Gebieten des Bayerischen Waldes.
Zu einer Keimzelle für die Entwicklung des Skilaufs wurde der Untere Bayerwald, insbesondere das Gebiet um Mauth und Herzogsreut. Hier erwarben sich die Forstmeister Altendorf und Hauenstein nachhaltige Verdienste um den Gebrauch der langen Bretter.
Forstmeister Eduard Hauenstein wurde durch seine Begeisterung für den Skilauf und seiner Überzeugung vom Nutzen der Ski als Fortbewegungsmittel für Jung und Alt in den so schneereichen Wintern zu einem der bedeutendsten Skipionieren unserer Heimat. Der in Kaufbeuren geborene Schwabe wurde 1893 vom Innendienst der Staatsforstverwaltung in das Forstamt Schlichtenberg bei Herzogsreut versetzt. Dort lernte er sehr schnell „die Unbilden“ des Bayerwaldes kennen. Er schrieb selbst:
„In meiner Einöde, 20 Kilometer von Bahn und Arzt entfernt, traf ich so ungeheuere Schneemassen an, dass ich von der forstlichen Versuchsanstalt in München leihweise Überlassung von Schneeschuhen erbat. Nach acht Tagen kamen 3,30 Meter lange norwegische Birkenski. Obwohl ich Skilaufen noch nie gesehen hatte, erkannte ich sofort, dass ich mit diesen Dingern in dem steilen Bergwald meines Dienstbezirkes nicht viel anfangen konnte. Doch schon die Übungen auf flachen Stellen um mein Haus gaben mir einen herrlichen Vorgeschmack von dem ungeheueren Nutzen, den diese Gleitbretter im Dienst bringen konnten. Nach den Unterlagen des Norwegers Nansen, der auf Skiern 1888 Grönland durchquert hatte, berechnete ich mir selbst Ski und ließ diese vom Dorfschreiner anfertigen. Die Anfangsstudien auf den Brettern, die damals wirklich die Welt bedeuteten, machten mein Forstwart und ich geheim, um nicht bei den unvermeidlichen Stürzen von den Bauern verhöhnt zu werden.“
Bereits 1894 beschlug Eduard Hauenstein seine Ski mit Blech
Hauenstein beschäftigte sich mit allen Fragen des Skilaufs und der Ausbildung. Bereits 1894 beschlug er seine Ski mit Blech und empfahl die Bewehrung mit Stahlschienen zum Schutz gegen Abnutzung auf Harsch und zur Erhöhung der Geschwindigkeit. Auf Grund seiner guten Erfahrungen mit den nun von einem Schreiner gefertigten kürzeren Skiern und der Tatsache, dass viele Herzogsreuter sich an seinen Läufen und Fahrten und seines Forstwartes begeisterten und diese nachahmten, war der Forstmeister überzeugt, dass die aufgebogenen Bretter nicht nur für die Fortbewegung, sondern sicher auch für einen sportlicheren Skilauf zu nutzen sind. Um der Verbreitung des Skilaufs noch weitere Impulse zu geben, beschloss Hauenstein in Herzogsreut einen Skiwettkampf für die Bevölkerung zu veranstalten.
Über diesen, am 17. März 1895 durchgeführten Wettkampf, wurde in der „Freyunger Post“ ausführlich berichtet:
“ (…) in erster Linie erfolgte auf dem nördlichen Abhang von Herzogsreut das Knabenrennen, woran 34 kleine Burschen teilnahmen und der jüngste davon mit 4 Jahren keck und ohne Zagen den steilen Abhang hinab fuhr, wo selbst die ganze Schar mit Knackwürsten und Zöpfl, die ersten noch mit hübschen Fähnchen bedacht wurden. Diesen folgte das Hauptrennen, bei welchem 15 Nennungen erfolgten und die Fahrer hauptsächlich aus strammen Forstleuten bestand (…) unter Führung von k. Forstamtsassessor Herrn Hauenstein von Schlichtenberg mussten die Skirenner zwei Kilometer gegen Gschwendreut aufsteigen, um sodann in rasender Geschwindigkeit dem Sportziel zuzueilen. (…) Bemerkt sei, dass beim Hauptrennen die zwei Kilometer lange Bahn in neun Minuten und beim Seniorenrennen in acht Minuten durchfahren wurde.“
„Der Skilauf ist das Schönste auf Erden, neben der Liebe“
Es ist außerordentlich anerkennenswert, dass der SC Herzogsreut anlässlich des 120. Jahrestages die Erinnerung an dieses Rennen wachruft und die Verdienste des Forstmeisters Eduard Hauenstein um den Skilauf im Bayerischen Wald gebührend würdigt. Ich wünsche allen Teilnehmern an der Jubiläumsveranstaltung viel Freude und Erfolg und zum Abschluss frohe Geselligkeit, bei der, wie auch in dem Zeitungsbericht erwähnt wird: „(…) sich erst gegen Mitternacht die Reihen zu lichten begannen und die Gäste befriedigt den traulichen und gastlichen Ort verließen.“ Und vielleicht kommt mancher Teilnehmer nach dem Jubiläumsrennen zur gleichen Beurteilung des Skifahrens wie sie Eduard Hauenstein zum Schluss seiner Aufzeichnungen formulierte: „Der Skilauf ist das Schönste auf Erden, neben der Liebe, manche ziehen ihn sogar vor, weil er keinen so bitteren Nachgeschmack hat.“
Erhard Gattermann