Ein Landwirt in Geiselhöring im Landkreis Straubing-Bogen soll bei den Kommunalwahlen 2014 die Stimmzettel von rund 400 rumänischen Erntehelfern selbst ausgefüllt haben, um so den örtlichen CSU-Kandidaten zu mehr Stimmen zu verhelfen. Der Prozess dafür wurde drei Mal verschoben und sollte letztlich im November 2019 stattfinden. Doch er wurde dann erneut vertagt. Der Grund: Dem zuständigen Regensburger Landgericht fehlen 18 Richterinnen und Richter. Bayernweit sollen es laut Bayerischem Richterverein gar 226 nicht besetzte Stellen sein.
Dass die bayerische Justiz unterfinanziert zu sein scheint, ist keine Neuigkeit. „Als Anfang der 2000er Jahre der allgemeine große Sparzwang angesagt war, hat man auch bei der Justiz weiter versucht zu sparen, obwohl sie sowieso schon schlecht ausgestattet war. Auf diese Weise hat man die Justiz letztlich kaputtgespart”, erläuterte Andrea Titz, Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins, im September des vergangenen Jahres gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Die bayerische Staatskasse sei nun zwar deutlich besser besetzt – einige neue Stellen wurden geschaffen -, jedoch bei weitem nicht genug, kritisierte Titz.
15 Minuten pro Prozess
Dadurch häufen sich Szenen wie diese: Richter, die – wie am Nürnberger Landgericht – selbst zum Kopierer rennen müssen, um entsprechende Dokumente zu vervielfältigen – oder den Flur auf und ablaufen, um Zeugen aufzusuchen. Das chronisch unterbesetzte Nürnberger Gericht nimmt Zeugenaussagen nun vornehmlich via Diktiergerät auf, weil Protokollführer fehlen. Speerspitze der notgedrungenen Effizienzsteigerung ist dort die 9. Zivilkammer des Landesgerichts. Sie behandelt die Klagen von Geschädigten im Dieselskandal – und zwar im Viertelstundentakt.
Die Betroffenen stellt die desaströse Personalsituation oftmals vor eine emotionale Zerreißprobe. Im April 2015 klagten die Eltern des 13-jährigen Leos gegen dessen Rudertrainer wegen fahrlässiger Tötung. Ihr Sohn war während eines Trainings im Starnberger See gekentert und ertrunken. Bis heute warten die Eltern auf einen Gerichtstermin – seit nun also fast fünf Jahren. 2015 wurde in Bamberg eine mutmaßliche Terrorgruppe ausgehoben. Laut Staatsanwaltschaft plante sie einen Angriff mit Sprengkörpern auf eine Asylunterkunft. Bei Hausdurchsuchungen wurden Kugelbomben, Hakenkreuzfahnen und eine Pistole mit scharfer Munition gefunden. Drei Jahre dauerte es bis zum Prozessbeginn, die Tatverdächtigen liefen in dieser Zeit frei herum.
Laut Deutschem Richterbund wurden 2018 deutschlandweit 65 dringend Tatverdächtige wegen Fristenüberschreitung ohne Prozess aus der U-Haft entlassen. Das kommt in vielen Fällen einer Verhöhnung der Opfer gleich. Und andererseits kann es auch für zu Unrecht Beschuldigte eine große Belastung sein, wenn falsche Vorwürfe über Jahre hinweg unwidersprochen im Raum stehen.
Verfahren zunehmend komplexer
Am Amtsgericht Passau (das auch für den Landkreis Freyung-Grafenau zuständig ist) fehlen derzeit bei aktuell 41 Richterstellen vier Vollzeitstellen. Das Landgericht Deggendorf (das auch für den Landkreis Regen zuständig ist) erklärt auf Hog’n-Nachfrage, dass derzeit rund drei Vollzeitstellen fehlen. Die Belastung des Gerichts“, informiert Thomas Trautwein, Vizepräsident des Landgerichts, „wird errechnet anhand eines sogenannten Personalbedarfsberechnungssystems („Pebb§y“)“. Dabei wird aus der Belastung, die sich aus den jeweiligen Fällen ergeben, auf die Gesamtbelastung des Gerichts geschlossen. Für das Landgericht Deggendorf ergibt das einen Bedarf von 13,27 Richtern, so Trautwein. Angestellt sind derzeit aber nur 10,25 Richter.
Dass die Gerichte immer mehr unter steigender Arbeitslast leiden, liegt jedoch nicht nur an deren Unterfinanzierung. Landauf landab klagen Gerichte über zu wenig juristischen Nachwuchs. Zudem werden Verfahren im Laufe der Zeit zunehmend komplexer. Zwar profitiert die Gesellschaft im Allgemeinen von verbesserten, modernen Ermittlungsmethoden, weil somit immer mehr Delikte aufgeklärt werden können; doch seit beispielsweise eine polizeiliche Telefonüberwachung möglich ist, braucht es auch Personal, das die Aktenordner voll mitgeschnittener Telefonate und Telefondaten liest und auswertet.
Passau: Jeder fünfte Fall ein Diesel-Fall
Und dann ist da noch der bereits angesprochene Dieselskandal, der derzeit für eine regelrechte Klageflut an Deutschlands Gerichten sorgt und mehrere hunderttausend Betroffene umfasst. Am Passauer Landgericht ist derzeit jeder fünfte Fall mit dem Dieselbetrug befasst, der Personalbestand ist jedoch nach wie vor derselbe.
Zwar steht ein Prozess-Termin für die vermeintliche Wahlmanipulation in Geiselhöring immer noch nicht fest. Doch aufgrund der öffentlichen Aufmerksamkeit, die der Fall bekommen hatte, wurde am Regensburger Landgericht nachbesetzt. Seit Mitte November arbeiten dort zwei neue Richter. Bayernweit sollen laut Justizminister Georg Eisenreich (CSU) in seinem Zuständigkeitsbereich 2.000 neue Stellen geschaffen werden, darunter 330 Staatsanwälte und Richter.
Johannes Greß