Freyung. Einige haben sie schon getroffen, viele werden noch auf sie treffen: Verena Reischl-Sigl ist seit zwei Monaten als neuer „Zukunftscoach“ des Mittelschulverbunds Freyung/Hohenau/Röhrnbach/Perlesreut tätig. Die 35-jährige gebürtige Freyungerin will sich künftig um die enge Verknüpfung von Schulen und Unternehmen kümmern, ihnen beratend bei der Ausbidlungs- bzw. Auszubildendensuche zur Seite stehen. Als langjährige Trainerin („Coach“) im Bereich Persönlichkeits- und Personalentwicklung ist die Diplom-Betriebswirtin überzeugt davon, das nötige Rüstzeug für ihre neue Aufgabe mitzubringen. Zuletzt sammelte die „Karrieremanagerin“ im Rahmen eines vhs-Projektes zur Betreuung von Kurzzeit-Arbeitslosen wertvolle Erfahrungen. Im Hog’n-Interview berichtet sie von ihren Aufgaben und Zielen, davon, was sie in den nächsten Jahren voranbringen möchte. „Es geht um Kommunikation, ums Netzwerken, darum Probleme zu lösen.“
Die entscheidende Frage: Ist gut gemeint auch immer gut gemacht?
Frau Reischl-Sigl: Was hat Sie daran gereizt sich als Zukunftscoach zu bewerben?
Ich beobachte natürlich schon seit einiger Zeit die großen und vielfach positiven Veränderungen, die unsere Region durchlebt. Ausschlaggebend war allerdings ein Erlebnis in meinem letzten Projekt: Meine Mitarbeiterinnen und ich hatten unter anderem drei sehr junge Kurzzeitarbeitslose zu betreuen, die alle dasselbe Problem hatten: Nach der Schule sind beim Übergang ins Berufsleben die falschen Prioritäten gesetzt worden. Es ist leider weniger darauf geachtet worden, für welchen Beruf sie geeignet sind bzw. wo ihre Neigungen liegen und wie sie einen möglichst erfolgversprechenden Start in das Berufsleben hinlegen können. Das Auswahlkriterium lauteten stattdessen: Welche Ausbildungen gibt es vor Ort? Und: Was können – aus Sicht der Eltern – meine Tochter bzw. mein Sohn möglichst schnell lernen, damit sie „weg von der Straße sind und eine Ausbildung haben“? Das Problem: Die Leute sind 15, 16 Jahre alt und die Ausbildungsreife ist noch sehr wenig ausgeprägt. Klar, man fragt die Eltern und verschiedene Bezugspersonen um Rat bei der Entscheidungsfindung, welcher Beruf zu einem passen könnte. Der Rat war sicherlich auch nicht böse gemeint. Die entscheidenden Frage lautet: Ist gut gemeint auch immer gut gemacht? Die Rechnung bekamen sie dann am Ende der Ausbildung: Sie hatten einen Job erlernt, für den sie auch auf den zweiten Blick nicht geeignet sind. Wenn man über einen Zeitraum von drei Jahren etwas machen muss, das einem überhaupt nicht liegt, lässt die Motivation automatisch nach. Und als ich diese drei Geschichten so geballt vor mir hatte, dachte ich: Da muss etwas passieren. Der Job als Zukunftscoach bietet mir die Möglichkeit hier etwas zu verändern – zumindest hoffe ich das.
„Zukunftscoach“ klingt ja sehr neumodisch. Was steckt genau dahinter?
Der Begriff ist schon sehr treffend, auch wenn er teilweise auf englisch ist (lacht). Die Zukunft ist nun mal das Thema, das uns alle betrifft. Nahezu jeder beschäftigt sich fast täglich, bewusst oder unbewusst, mit der Frage, was in fünf, zehn Jahren sein wird. Den Begriff Coach mag ich sehr gerne – nicht nur, weil ich seit vielen Jahren selbst einer bin (lacht). „Coachen“ bedeutet für mich den Leuten Ideen zu geben, sie bei der Hand zu nehmen, sie zusammenzuführen – und sie bei der Umsetzung der Ideen zu begleiten. Meine Stelle ist auf drei Jahre befristet. Meine Motivation ist es, dass die Dinge laufen – auch wenn ich nicht mehr da bin. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist mein großes Ziel. Wenn es um die Einordnung und die Entwicklung von Ideen geht, das mach ich sehr gerne.
Ich halte mich nicht mit Fragen auf, warum etwas nicht funktioniert
Woher kommt denn diese Gabe des schnellen Entwickelns von Ideen? Kann man das lernen? Talent?
(lacht) Ich denke, ich hab‘ das von meinem Vater (Eugen Sigl war viele Jahre als Mathematik- und Physiklehrer am Gymnasium Freyung tätig – Anm. d. Red.). Ich halte mich nicht mit Fragen auf, warum etwas nicht funktionieren kann. Sondern überlege stets: Was ist nötig, damit etwas funktioniert? Natürlich muss man dabei die Risiken einschätzen können und alles realistisch einordnen. Aber man verbaut sich gewisse Chancen, wenn man sich zu sehr auf die Probleme konzentriert – und nicht auf die Lösungen. Häufig geht es auch schlichtweg nur darum, sich etwas zu trauen. Angst vor dem Scheitern? Die kenn‘ ich ehrlich gesagt im beruflichen Bereich kaum. Was nicht gleichbedeutend ist, dass ich noch nie gescheitert bin – ich denke da könnte ich schon ein ganzes Buch darüber schreiben. Aber das ist wie beim Lotto spielen- spiele ich nicht, habe ich schon verloren, wage ich zu spielen, gibt’s zumindest eine kleine Wahrscheinlichkeit zu gewinnen (lacht).
Klingt sehr selbstbewusst. Ein kleines Wortspiel: Was macht der Zukunftscoach in Zukunft so alles?
Grundsätzlich geht es darum, auf die unvermeidlichen Veränderungen im Zuge der demografischen Entwicklungen zu reagieren. Meinen Aufgabenschwerpunkt sehe ich darin, den Übergang der Schulabgänger von den Mittelschulen zu den Unternehmen neu zu strukturieren. Es geht darum, zum einen bei den Unternehmen ein Bewusstsein für die Notwendigkeit zu schaffen, die Lehrlingsakquise und –ausbildung aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Zum anderen heißt es im Gegenzug für die Mittelschulen aktiv an ihrem Image zu feilen. Mein Ziel ist, dass möglichst viele Absolventen unserer Mittelschulen vor Ort eine passende Ausbildung finden.
Das hört sich ja alles sehr verklausuliert an. Was heißt das denn konkret?
Bisher war es für die Unternehmer kaum nötig sich großartig zu engagieren, wenn es darum ging, neue Auszubildende aus den Mittelschulen heraus zu gewinnen. Es waren bis dato ja auch immer genügend Azubis vor Ort verfügbar. Mittlerweile hat sich die Situation geändert: Die Verteilung sieht nicht mehr ganz so rosig aus. In den letzten Jahren ist so gut wie jeder Mittelschulabgänger vermittelt worden – was früher ganz anders war: Da kamen oft in unserer Region bis zu 15 und mehr Bewerber auf eine Stelle. Eine meiner ersten Erfahrungen als Zukunftscoach auf einer Veranstaltung war, dass mich ein Unternehmer angesprochen und gesagt hat: „Sie müssen mir helfen, heuer ist das erste Mal seit Bestehen des Betriebs keine einzige Bewerbung eingegangen.“ Und diese Rückmeldungen habe ich inzwischen von mehreren Seiten bekommen. Es gibt große Nachwuchsprobleme.
Alle müssen aktiv werden, die Laissez-Faire-Einstellung war gestern
Wie wollen Sie dieses Problem in den Griff bekommen?
Ich habe mir schon einiges überlegt, wie man als Zukunftscoach zum Beispiel an der Schnittstelle zwischen Schule und Unternehmen agieren kann. In erster Linie geht es um sehr viel Informationspolitik: Viele Schüler wissen häufig gar nicht, welche Auszubildende in welcher Branche in unserer Region akutell gesucht werden. Genauso ist mir aufgefallen, dass bei vielen Berufsbildern hoher Aufklärungsbedarf unter den Schülern herrscht. Nur wenige haben ein Bild davon, was etwa ein Metzger so alles macht – oder auch, welche Verdienstmöglichkeiten sie in den einzelnen Berufssparten haben. Die meisten wollen ins Büro, wollen einen Verwaltungsjob. Dass dies jedoch nicht für jeden geeignet ist, liegt auf der Hand. Es gibt viele interessante Berufe, die sich nicht im Büro abspielen, mit denen man seinen Lebensunterhalt jedoch genauso gut, wenn nicht sogar oft besser bestreiten kann.
Wie lauten die Grundpfeiler Ihrer Arbeit?
Kurz gefasst: Informationspolitik und Vernetzung zwischen den Schulen, Eltern, den Gemeinden und den Unternehmen. Alles hat mit Kommunikation und Aufklärungsarbeit zu tun. Es geht darum, sämtlichen Beteiligten klarzumachen: Die Zukunft liegt in ihren eigenen Händen. Alle müssen aktiv werden, die Laissez-faire-Einstellung war gestern. Es gilt dabei zu Bedenken: Von jetzt auf gleich wird dieser Bewusstseinswandel nicht funktionieren. Das ist ein Prozess. Und ich bin sehr gerne bereit tatkräftig meine Unterstützung anzubieten.