Ich sitze im Sonnenlicht auf den gekalkten Eichendielen. Unter meinen Knien den Faszienroller, auf meinen Knien den Kulturteil der Süddeutschen. In der rechten Hand halte ich meinen Smoothie aus grünem, selbstredend ökologisch-angebauten Gemüse. Obenauf treiben Chiasamen – und am Glasboden prangt die Blume des Lebens. Die linke Hand hebt sich geschmeidig über meinen Kopf zum Sonnengruß. Und im Gesicht glänzt schön farblich abgestuft eine Dreizonen-Maske, um meiner Mischhaut gerecht zu werden. An meinem Körper trage ich faire Kleidung und in den Ohren Stöpsel, über die ich mein Italienisch auffrische. Denn im Sommer werde ich mich in den toskanischen Weinbergen selbst finden – irgendwo zwischen Yoga-Retreats und kulturell wertvollen Abstechern nach Florenz, Siena, San Gimignano und wie sie alle heißen…
Jetzt muss ich aber los, ab ins Bad, mit Grandner Wasser die Maskenreste abwischen – immerhin treffe ich mich in einer Stunde mit meinem Coach, der meinen Lebenslauf analysiert hat. Schließlich geht da noch was. Neben Selbstständigkeit und mütterlicher Verantwortung, zwischen Haushalt, Familien- und Freundschaftspflege wird ja wohl noch Platz sein, eine Sprosse der marktwirtschaftlichen Karriereleiter höher zu klettern!? Alles nur eine Frage des Zeitmanagements und der Achtsamkeit. Und danach, ja, danach hilft mir mein Personal-Trainer dabei, das halbe Pfund zum Traumgewicht loszuwerden. Am Abend gibt’s dann nur noch eine Veggie-Bowl mit mild gesäuerten Tofustreifen an Amaranth-Flocken auf peruanischen Löwenzahnblättern. Also, Schüssi!
Ich bin nicht perfekt, aber ich bin optimal
Glaubt Ihr doch wohl selbst nicht! In Wahrheit lümmle ich auf dem Sofa, schaue ein bisschen meine Serie und verdrücke eine Handvoll Karamellbonbons. Sonst nichts. Das Tagwerk ist damit vollbracht. Und ich fühle mich ausgesprochen wohl dabei. Ich habe mir meine Gedanken gemacht und bin zu dem Schluss gekommen: Ich bin nicht perfekt, aber ich bin optimal. Und darum gibt’s da nix zum Herumoptimieren an mir. Weder von anderen noch von mir selbst. Freilich fallen mich immer wieder gute Vorsätze und Ideen an. Mehr Bewegung, bessere Ernährung, zwischendrin den Vöglein zuhören und nichts sagen, nur beobachten. Dabei nicht werten, nur sein und denken: Alles geht vorbei. Das ist auch gut so. Ich nehme das als freundliche Impulse an. Aber ich lasse nicht zu, dass daraus innere Zwänge mit der Botschaft werden, die da lautet: Du. Bist. Nicht. Gut. Genug.
Die Kollegen von „Ein guter Plan“ haben neulich genau darüber geschrieben: Du bist genug. Gab’s sogar zum Ausdrucken und Aufhängen – als Wimpelkette. Werd ich auch noch machen, irgendwann zwischen Text fertigschreiben, Abendessen kochen, Geburtstagsgeschenk fertigbasteln und Wäsche falten. „Was ist das zwischen Deinen Augen? Das hast Du auch am Hals“, fragt der dreijährige Sohn und bohrt in die entsprechenden Stellen. „Falten“, sage ich. „Falten.“ Er lacht – und ich lache auch. Er ist schwer in Ordnung und das sage ich ihm auch jeden Tag. Nebenbei bemerkt: Ich sage ihm auch, wenn mich was stört – so ist das nicht. Er versteht das, weil er ebenso wenig Perfektion anstrebt wie jedes Kind in seinem Alter.
Vernünftige Menschen sind das, die Dreijährigen. Er strebt nach Autonomie, das ja – und nach Mitbestimmung und nach Erfahrungsschätzen. Ach, würden wir das doch auch tun – würden wir doch auch so offen und unbeschwert, so neugierig und begeisterungsfähig sein. Ziellos offen. Schauen was kommt, ausprobieren, sich dran erfreuen. Ohne Zweck, ohne Plan im Hinterkopf, der doch wieder nur eins sagen will: Du bist nicht gut genug…
Du bist nicht gut genug?
Viele von uns kennen diesen Satz schon lange. In ebendieser offenen Kindheitsphase haben sie ihn getroffen. Hat er sie getroffen. Aus den Mündern von Eltern, Großeltern, Kindergartenpersonal und Lehrern kam er. Das Bild? Was soll das sein? Ist doch nicht schön. Da hättest Dir schon mehr Mühe geben können. Die Drei in Mathe? Lauter Flüchtigkeitsfehler. Du kannst das doch besser. Und der Karl-Jürgen hat eine Eins. Die zerbrochene Tasse? Du bist mir keine Hilfe, sondern ein richtiger Tollpatsch. Die ehrliche Meinung? Sei nicht so frech und vorlaut. Und außerdem hat Dich keiner gefragt. Die Angst im Dunkeln? Stell Dich nicht so an. Du bist doch schon groß. Die Ruth-Lotte fürchtet sich auch nicht. Bei der geht das doch auch.
Du bist nicht gut genug. Auch später nicht. Wie auch, wenn Du längst selbst den Glauben daran verloren hast? Andere sind immer besser. Andere sind immer der Maßstab. Die in der Werbung, die uns an den Feiertagen mästen will, um uns zum Jahreswechsel Heimsportgeräte zu verkaufen. Die Nachbarn, Kollegen, Mitschüler. Die Bekannten, die Freunde, die Geschwister. Bei denen geht das doch auch. Und die Zeitschriften und Magazine, die Trends und Trendchen. Wir werden überschwemmt von einer Welle, die wiederum nur eines sagen will: Du bist nicht genug. Kauf das und tu jenes, um schöner, klüger, beliebter und ja – glücklicher! – zu werden. Und weil wir es ja wollen, weil wir uns danach so sehnen, folgen wir den Rufen nach hyggeliger Achtsamkeit, nach chiasamengeschwängerten Smoothie-Bowls, nach tiefenentspannten Faszien und naturburschikoser Paläo-Diät im Einmannzelt auf dem entlegensten Gipfel irgendwo da draußen…
Die Schwierigkeit in der Einfachheit
Und dabei sehnen wir uns doch nur nach einer Sache: Angenommen zu werden – genau so, wie wir sind. Damit wir endlich sein können, wer wir sind. Weil wir dann wissen: Wir sind genug. Nicht mal gut genug, das wäre schon wieder nicht wertfrei. Einfach genug. Nun ist es aber so, dass wir das nicht von anderen verlangen können. Das müssen wir schon selbst tun. Uns annehmen, wie wir sind. Darin liegt die Schwierigkeit in der Einfachheit. Denn dieses alte Mantra, das uns so oft durch unser Leben begleitet hat, dieser alte Glaubenssatz, der lässt sich nicht so leicht vertreiben. „Du bist nicht gut genug.“ Vorschlag: Wir wandeln es um und verkürzen es in „Ich bin genug“.
Ja – und so bin ich genug, während ich meine zähen Karamellbonbons auf dem Sofa kaue und meine Serie schaue. Ich weiß, dass der Optionenreichtum, in dem wir leben, weitaus mehr zu bieten hätte. Ich schöpfe auch gerne aus diesem Reichtum, indem ich mich immer wieder inspirieren lasse. Aber ganz gewiss nicht mehr heute. Und morgen wahrscheinlich auch nicht.
Eva Hörhammer
Danke für diese klugen, emotionalen und richtigen Gedanken! Der Hogn als Lebenshilfe – der Woid ist voller Überraschungen.
Ja, das nenn ich „auf den Punkt gebracht“! All diese, für mich sonderbaren Nahrungsmittel aus der Ferne. Im Zweifelsfall lass ich einfach etwas weg, z. B. Fleisch – ich brauch aber keine Ersatzmittel, nein wirklich nicht. Ich brauch auch kein Erlebniskaufhaus, sondern einen Lebensmittelladen vor Ort.
Trotzdem kenn ich das Gefühl, nicht gut genug zu sein ganz genau, es verfolgt mich schon mein Leben lang. In letzter Zeit bleib ich dann manchmal stehen, dreh mich um und schau im ins Gesicht – das hilft ein wenig! Noch besser ist es, wenn ich mit Kindern zusammen bin – da hab ich schon immer am meisten gelernt.
Ganz toller Artikel!