Die Schachteln füllen sich. Ich brauche die Bücher nicht mehr. Ich weiß, dass ich sie kein zweites Mal oder überhaupt nicht mehr lesen werde. Darum dürfen sie weg. Ich schicke sie an ein Re-Commerce-Unternehmen und bekomme ein bisschen Geld dafür. Morgen schau ich in den Kleiderschrank und es muss all das raus, was ich mehr als ein Jahr nicht getragen habe. Übermorgen schau ich in die Küchenschränke, um alles zu entsorgen, was abgelaufen ist. Und überübermorgen? Da schau ich in meinen Kopf und schmeiß alles raus, was ich nicht mehr will und brauche. Und dann werde ich achtsam mit mir und meinem Umfeld und der ganzen Welt – und schiebe diese Anflüge von Sarkasmus beiseite, die mich immer wieder überkommen…
Wir haben viel. Bücher, Kleidung, Essen, Gedanken. Und noch mehr. Zu viel, sagen manche. Entrümpeln ist nach wie vor groß in Mode. Also entrümpeln wir. Und rumpeln anschließend erneut in die Läden, um die vermeintlichen Lücken mit Dingen zu füllen. Ist schön, war im Angebot, brauch ich zwar nicht, weiß ich doch, aber! Und außerdem muss ja genug Zeug da sein für die nächste Entrümpelungsaktion…
Die Häuser und Köpfe sind voll – die Seele ist leer
Und auch den Kopf versuchen wir immer wieder zu entrümpeln. Doch: Wie geht das eigentlich? Was wollen wir draußen haben? Die Gedanken verschlingern sich – und bevor alles zu einem heillosen Knäuel im Kopf wird, lassen wir es doch wieder so, wie es ist. Bewusst unbewusst. Nehmen dann doch das Smartphone wieder viel zu oft in die Hand, ernähren uns doch wieder zu schlecht, bewegen uns doch wieder zu wenig, verbringen doch wieder kaum reale Zeit mit den Menschen, die uns wichtig sind. Weil das eigentliche Problem ganz wo anders steckt: Im Kopf, aber auch im Herzen. Nennen wir es Seele.
Diese Seele, die ist nämlich gar nicht voll. Sie ist leer. Sie hat Angst, weil sie nicht weiß, wie erfüllt sie sein könnte – und wie sie überhaupt erfüllt werden könnte. Unsere Häuser und unsere Köpfe sind voll – aber die Seele ist leer. Das wird uns klar, wenn wir uns nicht ablenken (lassen) durch Konsum und Unterhaltung. Dann, wenn es leise wird – und wir nur für uns sind. Wenn unser Leben erschüttert wird und wir nach Antworten suchen. Wenn wir nach dem Sinn fragen.
Sinnlosigkeit kommt von Sinnenlosigkeit?
Die Sinnlosigkeit könnte auch eine Sinnenlosigkeit sein. Vielleicht gibt es schon Studien, die zeigen, dass wir am Tag mehr in Bildschirme als in anderer Menschen Augen und Gesichter schauen. Unsere Ohren sind oft verstöpselt – so können wir nicht zuhören. Den Menschen nicht, unserer inneren Stimme nicht – oder auch den Vögeln nicht. Oft schmecken wir nicht, was wir essen und trinken, weil wir nebenbei anderes tun – in Bildschirme schauen zum Beispiel. Wir riechen auch nicht mehr bewusst, außer es stinkt allzusehr. Und wir fühlen wenig. Zwar berühren wir uns mit unseren Körpern, nicht aber mit unserer menschlichen Tiefe, da wir die Nähe fürchten. Was macht das mit uns?
Die Nähe und die Sinnlichkeit, das Sinnhafte, das Sinnvolle – das finden wir nicht in der Zerstreuung, sondern nur dann, wenn wir bei uns sind und der Moment sein darf. Der Moment kann aber nicht sein, weil unsere Köpfe zu voll sind mit der Vergangenheit, der Zukunft und obendrein mit jeder Menge Informationen. Unser Kopf weiß nicht, was wichtig oder unwichtig ist – er weiß nur, dass es sich schlimm anfühlen würde, etwas zu verpassen. Das gilt es zu vermeiden. Darum die Bildschirme den ganzen Tag. Ein Teufelskreis.
Und dann sind da diese Gedanken, die sich sofort und überall mitteilen lassen. Und die Fotos. Und viel Senf zu jedem nur erdenklichen Thema. Alles wird bis zur Erschöpfung totspekuliert – einfach alles, ganz egal, ob dahinter viel oder gar keine Gedankenarbeit steht. Und so entsteht der digitale Gedankeneinheitsbrei, der so belanglos wird, dass es uns trotzdem nicht auffällt – der uns aber tief drinnen schmerzt. Denn was sind unsere eigenen Gedanken schon wert? Und wie können wir eigentlich noch eigene Gedanken haben, wenn sie doch schon mannigfach gedacht scheinen?
Die Chance für unser Sein: Alles ist eine Konstruktion
Ich bringe meine Pakete zur Post, fahre dann weiter in den Wald und gehe spazieren. Soll ich die Sonne hinter den Bäumen fotografieren und irgendwo posten? Nein. Dieser Moment gehört mir ganz allein. Und wenn er noch so schön ist – teilen könnte ich ihn nur mit jemandem, der jetzt mit mir durch den Wald ginge. Was sind schon Likes und rote Herzen?! Ein kläglicher Versuch, meine Identität zu konstruieren? Wer bin ich denn?
Beim Gehen geraten die Gedanken ins Fließen. Apropos konstruieren… Vielleicht liegt ein kleiner Trost darin, dass alles eine Konstruktion ist. Alles. Die Realität existiert nicht. Die Wirklichkeit ist ein gesellschaftliches und individuelles Konstrukt. Das kann Angst machen, weil so gesehen alles auf sehr wackligen Beinen steht. Das kann aber auch trösten und Mut machen, weil dadurch auch alles veränderbar ist. Allein durch einen neuen Blickwinkel.
Zuhause geht das WLAN nicht und bevor ich mich für einen langsameren Onlineweg entscheide, lebe ich den Tag lieber analog. Plötzlich tickt die Uhr und knistert das Feuer und die Sonne flimmert über den Boden und die Katze streckt sich zwischen den aufgereihten Matchbox-Autos meines Sohnes aus – und hat in Hülle und Fülle das, wonach die Sehnsucht am größten ist: Zeit. Und plötzlich steigt eine immense Freude in mir auf, allein weil ich spüre: Ich. Bin. Jetzt. In diesem Moment. Und das genügt. Mit den Büchern, der Kleidung, dem Essen, den Gedanken, der Selbstoptimierung, der Achtsamkeit und der Entrümpelung werde ich fertig. Denn ich kann immer dorthin zurück, wo ich entscheide, dass das Leben schön ist – zu mir selbst.
Eva Hörhammer
Wir sind niemals allein, wenn wir uns gefunden haben.
Schöne Worte mit Tiefgang.
Loslassen um Empfangen zu können.
Die Veränderung lieben lernen. Nicht einfach – aber einfach notwendig!
Bravo! Sehr treffend geschrieben. Die meisten Leute gehen heutzutag wie mit Scheuklappen durchs Leben – das macht mich ganz narrisch. Net hinschaun oder hinhören, und dann wuissln, daß das Leben ja sooo fad ist. Man braucht sich doch bloß a bisserl Zeit nehmen und aufamal entdeckt man überall schöne, spannende und aufregende Dinge. Bloß, dazu müßt man halt erst amal auf den „aus“ Knopf drücken. Das traun sich aber viele gar net, weil sie Angst vor der Stille haben. Ohne Permanentgedudel fallen die glatt in Schreckstarre.
Ich drück jetzt jedenfalls den Ausknopf an meim Computer und schau, was man an einem frostigen Spätwinterabend in Niederbayern draußt so alles findet (die ersten Gänsbleame, z.B., sind schon seit Wochen heraußt) =)