Innernzell. Wenn einer Erfahrung hat in Sachen Bürgermeister-Dasein, dann ist es Josef Kern. Bereits seit 1990 steht der 62-Jährige als Oberhaupt der Gemeinde Innernzell vor – und ist somit dienstältester Rathaus-Chef im Landkreis Freyung-Grafenau. Ein großer Vorteil auf der einen Seite – immerhin konnte der gelernte Werkzeugmacher und Besamungstechniker langfristige Projekte planen, durchführen und abschließen. Ein Nachteil auf der anderen Seite, denn: Selbst Josef Kern kann nach mehr als 10.950 Tagen im Amt „eine gewisse Abnutzung“ nicht leugnen.
Im Interview mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ spricht der „Bürgermeister-Methusalem“ über seine lange Zeit an der Spitze der Gemeinde, über das (nicht immer einfache) Miteinander mit dem ortsansässigen Großunternehmer Günther Karl und über das Zusammenspiel der Politiker-Generationen innerhalb der Verwaltungsgemeinschaft Schönberg. Der Sprecher der Bürgermeister im Landkreis Freyung-Grafenau findet dabei relativ deutliche Worte…
Herr Kern: 1701 im Jahr 2000, 1580 im Jahr 2014 – was verbinden Sie mit diesen Zahlen?
Das müsste die Entwicklung unserer Einwohnerzahl sein.
Richtig. Erschreckend, oder?
Ja. Doch dieses Thema beschäftigt nicht nur uns, sondern wohl alle Gemeinden im ländlichen Raum. Die Geburtenrückgänge wirken sich immer mehr auf die Einwohnerzahlen aus. Künftig hoffe ich aber, dass wir eine steigende Tendenz vermelden können, sodass unsere Kommune wieder wächst. Unser großer Vorteil: Gewerblich sind wir sehr gut aufgestellt, wir haben viele Arbeitsplätze. Deshalb sind wir auch sehr attraktiv für Zuzügler.
„Mit Fremdenfeindlichkeit hatten wir noch nie ein Problem“
Die Gefahr, dass Innernzell irgendwann komplett von der Landkarte verschwindet, ist also relativ klein?
Genau. Der drastische Verlust von Einwohnern liegt auch darin begründet, dass in den 90ern einige Rumänien-Deutsche Innernzell verlassen haben. Früher hatten wir in der Gemeinde eine Unterkunft für diese Menschen, die uns dann aber nach und nach verlassen haben und zu Verwandten in den Großstädten gezogen sind.
Die Kommune hat also schon mehrjährige Erfahrung mit fremden Kulturen?
Ja. Neben den Russland-Deutschen haben auch Pakistani hier gewohnt – bereits vor der großen Flüchtlingswelle. Aktuell sind keine Asylbewerber bei uns untergebracht, es fehlt schlicht und einfach an Wohnmöglichkeiten.
Hat es in Ihrer Kommune jemals Schwierigkeiten hinsichtlich der Integration gegeben?
Überhaupt nicht. Nein. Mit Fremdenfeindlichkeit hatten wir noch nie Probleme.
Themawechsel: Mit der Karl-Gruppe hat eines der größten Unternehmen der Region seinen Hauptsitz in Innernzell. Wie abhängig ist die Kommune von diesem Arbeitgeber?
Wir haben viele weitere Arbeitgeber in der Gemeinde – wie zum Beispiel die Metallverarbeitung Fuchs und Sailer. Dessen Gründer, der leider bereits verstorben ist, war ein früherer Bauhofmitarbeiter der Gemeinde Innernzell. Neben diesem Betrieb gibt es weitere Arbeitgeber, sodass wir in der Gemeinde eine gute gewerbliche Mischung haben.
Dennoch ist die Karl-Gruppe das dominante Unternehmen.
Absolut.
Welchen Einfluss hat Firmenchef Günther Karl innerhalb der Gemeinde Innernzell?
Er war langjähriger Gemeinderat und sogar sechs Jahre mein Stellvertreter. Es ist nicht immer ganz einfach mit ihm. Patrone wie er sind Ich-Menschen, die in ihrem Betrieb allein-bestimmend sind. Teilweise ist es deshalb im Gremium zu Konfrontationen gekommen. Im Großen und Ganzen sind wir aber gut miteinander ausgekommen.
„Günther Karl ist ein Pionier, ein Workaholic“
Eine Abwanderung des Unternehmens ist also kein Thema?
Meiner Meinung nach nicht, nein. Ein Hubschrauberlandeplatz zum Beispiel ist in Deggendorf oder anderen Städten schwer umsetzbar – bei uns war das kein Problem. In Innerzell kann er sich besser entfalten – und das weiß er zu schätzen. Günther Karl ist ein Pionier, ein Workaholic, der es innerhalb von 50 Jahren geschafft hat, eine bundesweit bekannte Unternehmensgruppe aufzubauen.
Provokant gefragt: Ist Herr Karl die eigentliche Nummer eins in der Gemeinde – und nicht Sie?
Mit Sicherheit nicht. Einer trägt die Verantwortung – und das ist der erste Bürgermeister. Bereits während seiner Zeit im Gemeinderat haben wir unsere Grenzen genau abgesteckt – auch wenn es deshalb den ein oder anderen Konflikt gegeben hat. Längst vergessen…
Ähnlich wie Schöfweg oder Zenting teilt auch Innernzell das Schicksal, am äußersten Ende des Landkreises gelegen zu sein. Ist das ein Vor- oder Nachteil?
Weder noch. Wir müssen uns damit abfinden – was kein Problem ist. Die Diskussionen, ob wir im Landkreis Regen oder Deggendorf besser aufgehoben wären, sind nicht zielführend. Genauso war die Sache mit der möglichen Abspaltung Waldkirchens vom Landkreis FRG ein Schmarrn. Leistet eine Kommune selber gute Arbeit, ist es vollkommen egal, welchem Landkreis sie angehört.
Genauso darf es innerhalb einer Kommune und eines Landkreises keine Parteipolitik geben. Wir sind von den Bürgern gewählt worden, um unsere Region voranzubringen. Egal, ob Schwarz, Rot oder Freie Wähler – bei mir sind alle gleich.
Als CSU-Politiker ist es aber dennoch einfacher für Sie, Landtags- und Bundestagsmitglieder Ihrer Partei um Hilfe zu bitten.
Prinzipiell hat man mit Vertretern der eigenen Partei mehr Kontakt. Das ist ja auch logisch, immerhin trifft man sich öfter bei diversen Veranstaltungen. Im Laufe meiner Jahre als Bürgermeister habe ich mir ein Netzwerk aufgebaut. Ich weiß, wann ich mich an wen wenden muss.
„Der Breitbandausbau ist eine fürchterliche Angelegenheit“
Wie gestaltet sich dann Ihr Verhältnis zu überregionalen Politikern anderer Parteien wie etwa Alexander Muthmann (Freie Wähler)?
Mit ihm habe ich nicht sehr viel Kontakt – das liegt aber eher an der Person.
In Innernzell ist gefühlt wie augenscheinlich nicht allzu viel los. Können Sie das bestätigen?
(lacht) Aufgabe eines Bürgermeisters ist es nicht, Schlagzeilen zu kreieren. Wir müssen zuallererst das Wohlbefinden der Bürger im Auge haben. Sind diese zufrieden, hat man vieles richtig gemacht. Die Infrastruktur bei uns ist in Ordnung, der Internetbereich entwickelt sich in die richtige Richtung. Generell ist der Breitbandausbau eine fürchterliche Angelegenheit. Zunächst die ewig langen Planungen – und nun sind die beauftragten Firmen mit der vielen Arbeit und den vielen Aufträgen überfordert.
Highlights bleiben bei diesen vielen Pflichtaufgaben eine Seltenheit?
Wichtig ist es vor allem, die Hausaufgaben gewissenhaft zu erledigen. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen – das ist das A und O. Wir betreiben die komplette Wasser- und Abwasserversorgung selber, die Gemeinde unterhält einen eigenen Kindergarten – das sind meine Highlights.
Sie betonen, dass die Bürger zufrieden sein müssen, um als Bürgermeister erfolgreich zu sein. Sind Sie dann nicht erfolgreich? Immerhin haben Sie bei den vergangenen Wahlen nur knapp gegen Ihren Kontrahenten Markus Ilgmeier gewonnen?
Naja, knapp war das nicht – mit 60 Prozent darf man durchaus zufrieden sein. Ist man bereits sehr, sehr lange Bürgermeister, wie es bei mir der Fall ist, hat man durchaus eine gewisse Abnutzung bei einigen Bürgern. Ich werde sicher nicht Schmidtchen Schleicher spielen, um Stimmen zu bekommen. Ich bin direkt und stehe zu dem, was ich sage.
Nach dem Ende der aktuellen Periode waren Sie 30 Jahre Bürgermeister von Innernzell. Reicht’s denn dann?
Offiziell habe ich mich noch nicht entschieden (schmunzelt wissend).
„Müssen überhaupt froh sein, wenn staatliches Geld fließt“
Sind Sie selbst zufrieden mit dem Bürgermeister Josef Kern?
Bis jetzt habe ich alles, was ich wollte, zu 90 Prozent auch umgesetzt. Es geht nicht darum, wie groß eine Gemeinde ist, sondern darum, wie man welches Projekt wann in Angriff nimmt. Man muss zum Beispiel immer beachten, welche Förderprogramme laufen – wie aktuell das KIP. Thurmansbang und Spiegelau haben kritisiert, dass sie dabei nicht berücksichtigt worden sind. Es werden nunmal gewisse Bereiche bei der Vergabe überprüft. Hat man darin keine Schwachstellen, gibt es auch keine Förderung. Wir müssen überhaupt froh sein, wenn staatliches Geld in den Landkreis fließt.
Generell geht es der Gemeinde Innernzell finanziell sehr gut. Zum Jahresende sind wir schuldenfrei. Ein Hirngespinst ist für mich jedoch, dass Kommunen, die Rücklagen haben, bei Förderungen nicht beachtet werden. Diese finanziellen Polster haben doch einen Grund – sie sind gerade in Ausnahmesituationen sehr wichtig. Und dann wird man praktisch bestraft, wenn man langfristig plant. Das kann nicht sein.
Man hört raus: Es kann durchaus ein Vorteil sein, wenn ein Bürgermeister länger als eine Legislaturperiode im Amt ist.
Ja. Viele Projekte sind nicht innerhalb von sechs Jahren abgeschlossen. Deshalb ist es vorteilhaft, wenn man länger im Amt ist – auch, weil man dann gewisse Schleichwege kennt.
Ist es aufgrund der Überhand nehmenden Bürokratie und der immer knapper werdenden Finanzmittel im Vergleich zu 1990 überhaupt noch „schön“, Bürgermeister zu sein?
Es hat große Veränderungen gegeben, ja. In den 90ern beispielsweise wurde der Straßenbau außerordentlich gut gefördert – das ist heute leider nicht mehr der Fall. Das heißt aber nicht, dass jetzt alles schlechter ist. Im Gegenteil. Andere Bereiche werden nun besser bezuschusst. Was ich sagen will: In den vergangenen Jahren sind viele Pflichtaufgaben gefördert worden. Man musste nur zum richtigen Moment zuschlagen.
Verändert hat sich höchstens der Mensch an sich. Der berufliche Druck ist gestiegen. Früher war ein Verdiener in einer Familie ausreichend. Das ist heute nicht mehr möglich. Auch hinsichtlich der Erziehung hat es einen Wandel gegeben – das erinnert inzwischen ein bisschen an die ehemalige DDR…
„Konkurrenz innerhalb der Landkreis-Kommunen ist fehl am Platz“
Haben Sie Ihren Traumjob gefunden?
Eindeutig: Ja. Ich habe Spaß. Ich klage nicht, wenn ich viele Termine habe. Irgendwie bin ich gerne unter Menschen. Als Bürgermeister hat man zudem den Luxus, viele Entscheidungen treffen zu dürfen. Auch wenn man dadurch ab und zu Kritik einstecken muss (lacht).
Innernzell ist genauso wie Schöfweg, Eppenschlag und Schönberg Teil einer Verwaltungsgemeinschaft mit Sitz in Schönberg. Werden innerhalb eines solchen Zusammenschlusses alle Kommunen gleich behandelt?
Klar, dass die Kommune, in der der Verwaltungssitz ist, gewisse Vorteile hat – schon allein aufgrund der räumlichen Nähe zu den Fachstellen. Trotzdem sind wir alle gleichberechtigt.
Sind die vier Bürgermeister auf einer Augenhöhe?
Ich möchte über keinen Kollegen klagen. Aber: Früher war das Miteinander einfacher. Dass Martin Pichler bereits in jungen Jahren Kämmerer geworden ist, ist übrigens auf meinen Misthaufen gewachsen.
Abschließende Frage: Innernzell ist bald schuldenfrei. Werden nun die großen Attraktionen umgesetzt?
Da muss man auf dem Boden bleiben. Was zum Beispiel bringt uns ein Bad, wenn es ein paar Kilometer weiter in Schönberg eins gibt? Wir müssen wegkommen von dem Gedanken, alles selber zu haben. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen – und so ein vielfältiges Angebot aufbauen. Konkurrenz ist innerhalb der Landkreis-Gemeinden fehl am Platz.
Vielen Dank für das Interview. Und alles Gute für die Zukunft.
Interview: Helmut Weigerstorfer