Freyung-Grafenau. Ein Gespenst geht um im Bayerischen Wald. Doch es ist nicht das von Marx und Engels beschriebene Gespenst des Kommunismus, sondern das des Fachkräftemangels. Kein anderes Wort macht momentan so häufig die Runde unter heimischen Wirtschaftsvertretern und regionalen Betrieben. Um diesem Problem Herr zu werden, greifen einige Firmen mittlerweile zu einer vielerorts als unkollegial bezeichneten, jedoch scheinbar immer unumgänglicheren Methode: Sie werben Fachkräfte von anderen Betrieben ab. Wir haben uns darüber mit Wirtschaftsreferent Ralph Heinrich unterhalten.
Herr Heinrich: Es heißt, dass auch in unserer Region immer mehr Abwerbeversuche von Fachkräften seitens der Betriebe unternommen werden. Können Sie das bestätigen?
Ja, das stimmt. Wir haben aus Gesprächen mit verschiedenen Unternehmen in der letzten Zeit erfahren, dass gerade im Bereich der Hochqualifizierten immer wieder Abwerbeversuche aus der näheren Umgebung unternommen werden.
Netzwerke und Bekanntschaftsgrade werden zurzeit rege genutzt
Läuft das dann ähnlich wie auf dem Fußball-Transfermarkt ab? Wie gehen diese Abwerbeversuche vonstatten?
Begriffe aus dem Sport können auf viele Lebensbereiche – so auch auf die Wirtschaft – übertragen werden. Manche Unternehmer sprechen von „aggressivem Verhalten“, ich persönlich würde zumindest von „intensiven Abwerbungsversuchen“ sprechen. Die vorhandenen Netzwerke und Bekanntschaftsgrade werden zurzeit rege genutzt.
Welche Branchen sind besonders betroffen?
Bei einer Arbeitslosenquote von 2,8 Prozent kann man dies nicht auf einzelne Branchen fixieren, doch meistens wird dieses Phänomen im Bereich der Hochqualifizierung, bei Universitäts- und Hochschulabschlüssen, beobachtet.
Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für die heimischen Unternehmen, für die heimische Wirtschaft?
Die sind vielfältig. Gelingt eine Abwerbung, steigen im Regelfall die Gehälter der Beschäftigten. Für die Mitarbeiter ist dies natürlich von Vorteil. Bei den Firmen leidet darunter die Wettbewerbsfähigkeit, weil das Lohnniveau in unserer Region bisher moderat war bzw. ist. Andererseits geht mit jeder Abwerbung notwendiges Fachwissen aus einem Unternehmen unwiderruflich verloren. Dies schwächt Firmen an gewissen Schaltstellen enorm. Unterm Strich wird nach meiner Einschätzung die Region eher geschwächt als gestärkt. Wünschenswert wäre, wenn im hochqualifizierten Bereich neue Mitarbeiter außerhalb der Region für die Vorzüge unserer Gegend gewonnen werden können und damit alle unsere Firmen miteinander gestärkt werden.
Bewusstsein schaffen, dass der Zuzug von Fachkräften uns stärkt
Was ist zu tun, um diesem Abwerbe-Trend entgegenzuwirken?
Alle Unternehmer aus dem Landkreis Freyung-Grafenau stehen zu ihrer Heimat und zu unserer schönen Bayerwald-Region. Der Stolz und das Heimatbewusstsein sind stärker ausgeprägt als anderswo. Um die aktuellen Beobachtungen bei Abwerbungen gar nicht erst zu einem Trend werden zu lassen, müssen wir uns bewusst werden, dass uns der Zuzug von Fachkräften stärken wird und wir alle miteinander arbeiten müssen – dann profitiert jeder. Und die betroffenen Unternehmen werden ohnehin aus eigenem Antrieb heraus versuchen, ihre Firma noch attraktiver zu gestalten als sie bisher schon ist. Ich bin positiv gestimmt, dass es sich hier nur um ein kurzfristiges Phänomen handelt.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben.
Interview: Stephan Hörhammer