Freyung. Rote Ampeln, Stoppschilder und da ein Grünpfeil… So ungefähr weiß ja jeder, wie er sich im Straßenverkehr zu verhalten hat. Auch ein Jugendlicher, der eigentlich nur gelangweilt als Beifahrer neben den Eltern sitzt und sich rumkutschieren lässt. In der zehnten oder elften Klasse, wenn der 17. Geburtstag ansteht, sieht sich der Teenager von heute den Schilderwald dann aber doch noch einmal genauer an. Einige haben zwar schon den Roller- oder Mofaführerschein gemacht, aber das ist eben doch nicht das Gleiche, als wenn man selbst in einem Auto am Steuer sitzt…
Seit dem 1. April gibt es keine Papierfragebögen mehr

Mein 17. Geburtstag ist erst am Ende der elften Klasse. Die meisten meiner Freunde haben ihren Führerschein schon, während ich noch nicht einmal mit dem Theorieunterricht begonnen habe. So kann ich ihnen dafür zusehen und mir berichten lassen, worauf ich besonders achten sollte. In den Osterferien ist es dann auch für mich soweit und ich besuche meine erste Theoriestunde. Dass das System seit 1. April umgestellt wurde und es nun keine Papierfragebögen mehr gibt, sondern alles nur noch über das Internet funktioniert, weiß ich. Wie der Unterricht dann aber wirklich aussieht, kann ich mir nicht so richtig vorstellen.
So komme ich in einen Raum, in dem ca. 15 Tische und Stühle stehen und auch schon ein paar andere Führerscheinanwärter sitzen. Vorne ist ein Beamer aufgebaut, über den der gesamte Unterricht läuft. Eine Tafel gibt es auch – an ihr werden einzelne Beispiele besser veranschaulicht. Ich setze mich zu den anderen „Führerschein-Anwärtern“ und stelle fest, dass der Unterricht ähnlich dem in der Schule ist. Ein paar Jungs sind schon sehr gut informiert und können viele richtige Antworten liefern, wogegen einige Mädchen – zu denen ich mich auch zähle – nicht wirklich Ahnung von Autos haben und sich einfach nur alles anhören und versuchen zu merken.
Der Sehtest ergibt: Ich brauche eine Brille!

Am Ende der Stunde bekomme ich einen ganzen Stapel an Papieren, die ich gemeinsam mit meinen Eltern ausfüllen soll. Außerdem die Lernbox mit einem Internetcode, ohne den das ganze Theoriesystem des Führerscheins nicht mehr funktioniert. Unter den vielen Zetteln befinden sich der Ausbildungsvertrag, der Antrag für die Gemeinde mit den Voraussetzungen, die man zuvor erfüllen muss sowie Bögen, die mit sämtlichen Angaben zu meinen Eltern, die später meine Begleitpersonen sein sollen, ausgefüllt werden müssen. Den ganzen Packen nehme ich mit nach Hause – und arbeite ihn Stück für Stück ab.
- Erste-Hilfe-Kurs: Den habe ich zum Glück schon im Frühjahr gemacht und kann den Schein beilegen.
- Passfoto mit Unterschrift: Naja, das vom letzten Jahr wird schon noch gehen – ist ja auf dem Ausweis auch schon drauf.
- Sehtest: Oh-oh, jetzt wird’s kritisch. Gedacht habe ich es mir ja schon länger, dass meine Augen nicht volle 100 Prozent Sehkraft besitzen, aber zum Optiker wollte ich nicht gehen. Jetzt komme ich dem nicht mehr aus. Gut, ein Termin wird vereinbart und meine Befürchtung bestätigt sich. Nachdem ich beim speziellen Führerschein-Sehtest kläglich versagt habe, muss ich erst einmal einen normalen Sehtest machen. Das Ergebnis: Wie nicht anders zu erwarten, brauche ich eine Brille. Zur tatkräftigen Unterstützung nehme ich meine Schwester Esther mit und wir suchen gemeinsam eine aus, die zu mir passt. Somit ist auch dieser Punkt erledigt und es kann zum Rathaus weitergehen, um den Antrag unterschreiben zu lassen. Jetzt fehlen nur noch die Unterschriften meiner Eltern und die Kopien ihrer Ausweise und Führerscheine, damit sie später meine berechtigten Begleitpersonen sein können. Zum Glück sind beide über 30 und haben mindestens fünf Jahre Fahrerfahrung, sonst sähe es für mich mit dem Begleiteten Fahren ab 17 eher düster aus.
Hoffentlich reichen meine kurzen Füße bis zu den Pedalen
Es folgen weitere Theoriestunden, in denen ich viel Neues lerne. Zum Beispiel auch, dass ich mit meinem Führerschein sogar einen Anhänger fahren darf – was mir offen gestanden etwas Angst macht. Zu Hause versuche ich mich schließlich an meinem ersten Übungsbogen, wonach ich ziemlich deprimiert bin. Bei 25 Fragen habe ich 48 Fehlerpunkte gesammelt… Da darf ich noch sehr viel üben.
Nach sieben Theoriestunden ist es dann so weit: Meine erste praktische Fahrstunde steht an. Ich bin noch nie zuvor auf der Fahrerseite eines Autos gesessen, geschweige denn „schwarz“ gefahren – und habe Angst, dass ich mit meinen kurzen Beinen gar nicht erst zu den Pedalen komme. Meine Fahrerfahrungen beschränken sich zu diesem Zeitpunkt auf den kleinen Plastiktraktor meines Cousins und das Gameboyspiel Mario Kart…

Mein Herz schlägt jedenfalls sehr viel schneller, als ich aus der Haustür zum Fahrschulauto gehe. Zum Glück ist keiner da, der mir zusehen könnte. Der Fahrlehrer ist nett und erklärt mir erst einmal alles ganz genau, was wir machen werden. So muss ich zu Beginn einfach nur lenken. Damit bin ich auch sehr zufrieden, denn alles ist neu für mich. Doch die anfängliche Freude hält nicht lange an. Wir fahren auf einen Parkplatz und ich soll selber fahren. „Ja wie soll ich denn überhaupt von der Stelle kommen?“ Nach einigen Versuchen klappt das Anfahren und Wenden dann schon ganz gut. Ich hätte das auch den Rest der 90 Minuten noch weiter machen können, aber dann heißt es: „Das funktioniert ja schon recht schön, da können wir jetzt ja mal raus fahren.“ Ich soll jetzt auf der Stelle auf eine Straße fahren?!? Meine Freunde hatten alle gemeint, dass es in der ersten Stunde beim Lenken bleiben würde… Weit gefehlt! Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich nach gerade mal 45 Minuten „Fahrerfahrung“ auf die Straße zu begeben.
400 Fragen müssen bis zur Prüfung noch beantwortet werden…
Wir fahren Richtung Mauth, weil uns da nicht so viele Autos begegnen werden – so lautet zumindest die Begründung des Fahrlehrers. Es stimmt schon, viele Autos sehen wir nicht, dafür gibt es leider jede Menge Kurven… Nach 30 Minuten durch den Wald soll ich dann zurück zum Freyunger Gymnasium fahren. Und natürlich: Als ich kurz vorm Wimmerberg stehe, kommt mir (für mich) völlig überraschend ein anderes Auto entgegen, ich bin kurz abgelenkt und schon steht das Auto… Naja, kann in der ersten Fahrstunde mal passieren – aber wie soll ich denn jetzt bitteschön von dem Berg da wegkommen? Anfahren vom Berg. Eine Herausforderung für jede Kupplung… Mit der Hilfe meines Fahrlehrers schaffe ich es dann doch noch und komme an der Schule an – heilfroh, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Ein Anfang ist gemacht…

Es folgen weitere Theorie- und Praxisstunden und ich habe immer weniger Angst vor dem Auto – der Respekt aber bleibt. Nachdem ich brav meine 14 Theoriestunden besucht habe, werde ich zur theoretischen Prüfung angemeldet. Mit dem neuen Online-Lernsystem kann die Fahrschule jederzeit feststellen, auf welchem aktuellen Wissensstand man sich gerade befindet. Fünf Tage sind es noch zur Prüfung und ich habe gerade einmal 50 Prozent aller Fragen gelöst. Dabei habe ich aber noch keine digitalen Prüfungsbögen beantwortet. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als die restlichen 400 Fragen zu erledigen. Und zwar so lange, bis ich keinen Fehler mehr mache.
Dann folgen die Prüfungsbögen, bei denen es seltsamerweise so läuft, dass es entweder höchstens fünf Fehlerpunkte sind, mit denen ich bestanden hätte, oder dann gleich wieder 25. (Man sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnen, dass man zehn Fehlerpunkte bei 30 Fragen haben darf. Seit dem 1. April gibt es allerdings zwei Videos pro Bogen, zu denen man anschließend Fragen beantworten muss. Eine falsch beantwortete Videofrage macht leider gleich fünf Fehlerpunkte aus.) So verbringe ich mein gesamtes Wochenende vor dem Computer und mache einen Bogen nach dem anderen – in der Hoffnung, dass ich am Montag die Prüfung bestehe.
Habe ich die Theorieprüfung nun bestanden – oder nicht?

Dann ist er da, der besagte Montag… Ich habe fast nicht geschlafen und bin sehr aufgeregt. Zu zehnt sitzen wir in dem kleinen Raum beim TÜV. Viele sind vor mir mit dem Beantworten der Fragen fertig und alle haben bestanden. Schließlich entschließe auch ich mich, auf den „Abgeben-Button“ zu drücken. Das ist der weniger schlimme Schritt – der schlimmste Knopf mit der Aufschrift „Ergebnis einsehen“ folgt erst. Habe ich nun bestanden – oder nicht? Muss ich noch einmal in den Theorieunterricht gehen? Als mein Bildschirm grün aufleuchtet, bin ich für einen Moment der glücklichste Mensch auf Erden. Ob ich den Test jetzt – gut einen Monat später – jedoch noch einmal bestehen würde, wage ich zu bezweifeln.
Teil eins vom Führerschein wäre also geschafft! Doch der schlimmere wartet noch. Die praktische Prüfung, vor der ich erst alle Pflichtfahrten wie Stadt-, Überland-, Nacht- und Autobahnfahrt absolvieren muss. Die Autobahnfahrt in Verbindung mit der Stadt- und Überlandfahrt ist dabei für mich die größte Herausforderung. Ich konnte das schnelle Fahren sowieso noch nie leiden und habe deswegen höllische Angst, dass mir auf der Autobahn etwas passieren könnte – vor allem dann, wenn um mich herum nur schnelle Autos unterwegs sind. Ich habe ja schon bei Tempo 130 sehr großen Respekt vor der Geschwindigkeit, aber als mein Fahrlehrer meint, ich solle doch mal auf 160 Stundenkilometer beschleunigen, damit ich den Unterschied merke, wird es mir ganz schlecht… Zum Glück darf ich die restliche Fahrt in „meinem Tempo“ zu Ende bringen und bin ganz geschafft, als ich zu Hause ankomme. Was man an den hohen Geschwindigkeiten so toll finden kann, ist mir immer noch ein Rätsel. Es wird wohl noch einige Zeit vergehen müssen, bis ich das verstehe…
Bei mir hat noch kein fremdes Auto einen Kratzer abbekommen!

Langsam geht es immer mehr in die heiße Phase. Alle Pflichtfahrten sind absolviert und es folgen noch ein paar Zusatzstunden. Die Strecken bleiben im Prinzip die gleichen, aber die Routen sind etwas komplizierter und mit kleineren Tücken ausgestattet. Man kann ja nie wissen, was der Prüfer dann wirklich von einem verlangt. Auch die Grundaufgaben wie Einparken, Wenden oder die Gefahrenbremsung werden nun vermehrt geübt. Ich kann gar nicht verstehen, was die Männer immer haben: Frauen können doch einparken! Bei mir hat jedenfalls noch kein fremdes Auto einen Kratzer abbekommen… Der Prüfungstermin steht schon – ich hoffe, dass ich keinen zweiten benötige. Und wenn doch: Irgendwann hat bis jetzt jeder seinen Führerschein bekommen.
Ruth Zitzl