Bad Füssing. „Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge ist Bad Füssing die einzige Gemeinde in Bayern, die bis ins Jahr 2030 Einwohnerzuwächse zu verzeichnen haben wird.“ Nicht ohne Stolz spricht Bügermeister Alois Brundobler das aus, wovon viele Rathaus-Chefs im ländlichen Raum zu Zeiten des demografischen Wandels nur träumen können. Der 63-Jährige ist nun fast 15 Jahre im Amt. Kein Politiker hat dem Kurort im Rottal seinen Stempel so aufgedrückt wie der in Aigen am Inn geborene Brundobler.
Einer, der ebenso seinen Teil zu Bad Füssings „Wiederauferstehung“ nach der einschneidenden Gesundheitsreform Anfang der Nuller-Jahre beigetragen hatte, ist Rudi Weinberger. Der gebürtige Bad Griesbacher zeichnet als Kurdirektor hauptverantwortlich für die größte Thermalwasserfläche Europas, die der 7.000-Einwohnergemeinde im Laufe der Jahrzehnte zu großem Wohlstand verholfen hat – dank der damit einhergehenden Massen an Touristen und Kurgästen. Bad Füssing führt nach teils schwierigen Jahren heute die Liste der Kurorte mit den europaweit meisten Übernachtungen (wieder) an. Trotzdem leben die Füssinger nicht auf „der Insel der Glückseligkeit“.
„Eine Entwicklung, die nicht unbedingt freiwillig war“
Herr Weinberger, Herr Brundobler: Wo machen Sie am liebsten Urlaub?
Rudi Weinberger: Daheim, im Garten (lacht). Meine drei erwachsenen Kinder leben jedoch weit weg, deshalb komme ich auch ein bisschen herum, wenn ich und meine Frau sie besuchen.
Alois Brundobler: Eigentlich ist es bei mir genauso. Ich bin sehr naturverbunden, mach viele Radtouren. Leider bin ich nur selten in unseren Thermenwelten zu Gast. Dort würde ich – trotz der zweifelsohne beruhigenden Wirkung des Wassers – vermutlich nicht zur Ruhe kommen. Denn da lässt mich mein Job als Bürgermeister einfach nicht los… (schmunzelt).
Verständlich. Lassen Sie uns kurz in die jüngere Vergangenheit schauen: Bad Füssing hat ja keine einfachen Zeiten hinter sich…
Alois Brundobler: Füssing hatte über viele Jahre hinweg bei den Nachbar-Kommunen nicht das ideale Image. Der Ort hat sich enorm schnell entwickelt, viele Leute sind sehr schnell sehr reich geworden. Stammt man aus einfachsten Verhältnissen und hat auf einen Schlag viel Geld – das packt nicht jeder (lacht)... das hat nicht unbedingt für Sympathien im Umland gesorgt.
Heutzutage wollen wir vor allem auch die Einheimischen mit ins Boot holen. Mit unserem Veranstaltungsprogramm, für das wir jährlich rund 1,2 Millionen Euro aufwenden, sollen sich nicht nur unsere Gäste angesprochen fühlen, sondern auch der Würdinger, Kirchhamer oder Pockinger. In eher besucherarmen Zeiten holen wir bekannte Musiker und Kabarettisten nach Füssing – das ist eine große Anstrengung. Unser jährlich stattfindendes Thermen-Open-Air etwa kostet keinen Eintritt – das ist nur eine von mehreren Veranstaltungen, die Füssings Öffentlichkeitsbild wieder in eine positivere Richtung schreiten ließ.
Diese tragen unter anderem dazu bei, dass immer mehr Tagestouristen den Weg zu uns finden. Unser Heilwasser tut demjenigen, der einen Tag zu uns kommt, genauso gut wie dem Mittelfranken, der 14 Tage im Rottal urlaubt. Eine Entwicklung, die nicht unbedingt freiwillig war – jedoch mussten auch wir auf die Folgen der Gesundheitsreform nach der Jahrtausendwende entsprechend reagieren.
Rudi Weinberger: Erst kürzlich haben wir gemeinsam mit neun unserer Nachbargemeinden eine sogenannte ILE gegründet. Das steht für Integrierte Ländliche Entwicklung und ist ein Zusammenschluss, bei dem die Region gemeinsam fit für die Zukunft gemacht werden soll. Es gilt dabei jedoch zu beachten, dass Gemeinden wie Rotthalmünster oder Kößlarn andere Probleme haben als der Kurort Bad Füssing. Mir ist wichtig, dass unsere Nachbar-Kommunen verstehen, welch unglaublicher Aufwand betrieben werden muss, um einen derart großen touristischen Wirtschaftsstandort wie Bad Füssing zukunftsfähig zu halten.
Bei einer ILE-Infoveranstaltung kam dann die Frage auf: Wie wichtig ist der Tourismus für den ländlichen Raum? Viele haben sogleich geantwortet, dass der Tourismus bei ihnen an erster Stelle stehe. Ein gemeinsames Projekt, ein Radlweg solle her. Klar, man will doch miteinander was machen. Ich freu mich darauf, weil mit diesem Projekt auch das Verständnis dafür wächst, dass ein touristisches Produkt der gleichen Mühe bedarf wie z.B. ein Wohnzimmerschrank.
Die Vorstellung der neun ILE-Partnergemeinden: Man verbindet einfach die bereits bestehenden Radlwege miteinander – und fertig ist das touristische Aushängeschild. Wir machen dann eine schöne Karte und der Füssinger Kurdirektor gibt einen bunten Flyer in Auftrag. Ob diese Broschüren dann irgendwo in einem Eck der Tourist-Infos vergammeln, ist egal. Hauptsache wir haben tolle Werbung für unseren Radlweg – und wir haben touristisch was geleistet. Super…
„Wir leben nicht auf der Insel der Glückseligkeit“
Alois Brundobler: Rudi hat gerade deutlich gemacht, wie Tourismus eben nicht funktioniert. Einen Ort wie Bad Füssing muss man leben. Man muss ständig dahinter sein, um auf dem aktuellen Stand zu sein – und auch zu bleiben. Jedes Jahr muss etwas Neues gebaut werden, um die Attraktivität zu erhalten. Jedes einzelne Mosaiksteinchen zählt. Und genau das ist es, was ich nach außen hin verständlich machen möchte: Wir sind nicht neureich, wir sind nicht superreich. Wir müssen genauso hart arbeiten wie jede andere Kommune auch – vor allem nach der Gesundheitsreform. Wir leben nicht auf der Insel der Glückseligkeit. Das wird vielen Hotelbetreibern immer mehr bewusst. Den Gästen muss ein enormes Erlebnis geboten werden – und dazu braucht man das komplette Umfeld.
Rudi Weinberger: Lange Zeit war folgende Denkweise allgegenwärtig: Am Montag macht man die Schleusen auf und lässt die Gäste in den Ort. Jeder Tourist soll dann bitte schön brav hier essen und einkaufen, all sein Geld vor Ort ausgeben. Nach vier Wochen öffnen wir die Schleusen erneut – und tauschen die Urlauber einfach aus. Das war einfach so. Blieb zwischen den Anwendungen etwas Zeit, ist man nach Österreich gefahren. Das Ausland hatte, vor allem als die Grenzen noch geschlossen waren, seinen Reiz. Die Folge: Kilometer lange Staus bei Egglfing an der Grenze.
Dass mit Bier, Wein, gutem Essen und viel Party Geld zu machen ist, hat später auch ein Kirchhamer Landwirt kapiert, der seinen Stall zur Erlebnisgastronomie umgebaut hat. Dabei rausgekommen ist der Haslinger Hof. Seitdem ist Österreich uninteressant. Was ich damit sagen möchte: Bad Füssing alleine funktioniert nicht. Wir sind auf unser Umfeld angewiesen – und umgekehrt.
Man hört raus: Der Event-Faktor spielt eine immer größere Rolle.
Rudi Weinberger: Der Kulturbereich ist ein wichtiger Faktor, um neue Gäste zu gewinnen. Sowohl die Klassik als auch der volkstümliche Bereich sind inzwischen eng mit dem Namen Bad Füssing verbunden. Andy Borg, Rudy Giovannini, Nockalm Quintett, Die Schäfer – sie alle haben riesige Fanclubs, die sie zu allen Konzerten begleiten. Nicht zu vergessen: das alljährliche Bad Füssinger Thermen-OpenAir, das heuer wieder am 12. Juli stattfinden wird. Gerade auch zu diesem Event kommen aus dem weiteren Umkreis viele Leute, die Zugpferde wie dieses unbedingt sehen wollen. Eine Klientel, die man immer mehr bei uns im Ort sieht und die herzlich willkommen ist. Und vielleicht kommt ja auch der Konzertbesucher später als Langzeit-Urlauber wieder…
„Glücklicherweise sind Schulden kein Thema mehr“
Egal, ob Konzertbesucher, Tagestourist oder Langzeiturlauber – alle lassen sie Geld im Kurort. Somit wären wir ja dann doch wieder bei den reichen Füssingern…
Alois Brundobler: Sicher hat die Gemeinde große Einnahmen zu verzeichnen. Zu den üblichen Steuereinnahmen kommt noch der Kur- und Fremdenverkehrsbeitrag hinzu. Damit sind wir bei zirka 38 Millionen Euro im Jahr. Wir betreiben jedoch, wie gesagt, im Gegenzug einen gewaltigen Aufwand. Welche 7.000-Einwohner-Gemeinde leistet sich schon eine eigene Kurverwaltung? Welche bietet ein Veranstaltungsprogramm mit 1,2 Millionen Euro Etat? Wer leistet sich 48 Mitarbeiter im Bauhof und in der Kurgärtnerei, die den Ort regelmäßig pflegen? Große Aufgaben, die die Gemeinde alleine stemmen muss. In der Summe bleibt uns da fast keine freie Spanne – die wir aber unbedingt benötigen, um die Stadt weiterzuentwickeln.
Aktueller Imagefilm „Biker in Bad Füssing“:
In der Vergangenheit hatten wir enorme Finanzprobleme. Im Jahr 2002, zu Beginn meiner Amtszeit, waren wir die höchst-verschuldete Gemeinde Bayerns – mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von mehr als 10.000 Euro. Glücklicherweise sind Schulden inzwischen kein Thema mehr. Wir haben es geschafft, uns wieder eine freie Finanzspanne freizuschaufeln – unter drei Millionen Euro an jährlichen Neuinvestitionen geht in Bad Füssing nichts. Wie bereits erklärt, verlangt der Gast immer wieder nach neuen Attraktionen.
Ich bedauere, dass dies bei der bayerischen Landespolitik nicht gesehen wird. Den Oberen, die immer wieder betonen, den ländlichen Raum stärken zu wollen, müsste eigentlich bewusst sein, dass eine Gemeinde wie Bad Füssing einen derartigen Wirtschaftsstandort mit mehr als 4.000 Arbeitsplätzen nicht alleine schultern kann. Der Mehraufwand, den unser Ort hat, müsste bei der Schlüsselzuweisung dementsprechend berücksichtigt werden. Ein Ding der Unmöglichkeit. Von 2018 Gemeinden in Bayern gibt es lediglich 47 Kurorte. Wir können uns demnach nicht durchsetzen, haben keine Lobby. Umso mehr bedauere ich, dass bei den Abgeordneten offensichtlich das Verständnis dafür fehlt, dass wir Unterstützung brauchen. Im Tourismusausschuss wurde dieses Problem schon mehrmals angesprochen, doch leider gibt es bisher keine positiven Ergebnisse.
Woran liegt das?
Alois Brundobler: (atmet tief durch) …weil die bayerische Staatsregierung eher dem technischen Fortschrift nachläuft. Freilich brauchen wir auch eine Weiterentwicklung in diesem Bereich – dennoch darf man den Tourismus nicht vergessen. Leider ist dieser eine nicht ganz so einfache Angelegenheit – man ist dabei nur erfolgreich, wenn man fleißig ist. Nur deshalb gibt es immer wieder noch höhere Übernachtungszahlen, nur deshalb hat Bad Füssing bisher überlebt. Meist darf solche Rekordergebnisse dann sogar irgendein Minister verkünden, der dann jedoch gleichzeitig sieht, dass das Ganze auch ohne staatliche Hilfen funktioniert. Ein Teufelskreis…
Rudi Weinberger: In der Politik ist es nie angenehm, für eine Minderheit etwas durchzusetzen. Deshalb will auch kein Politiker für die 47 Kur- und Heilbäder in Bayern kämpfen. Eigenartigerweise ist das System beispielsweise in Baden-Württemberg anders – dort werden die Tourismushochburgen besser unterstützt.
Alois Brundobler: Ein kleines Beispiel: Unsere Nachbarstadt Pocking hat im vergangenen Jahr 4,7 Millionen Euro an Schlüsselzuweisungen erhalten – wir hingegen lediglich 127.000 Euro. Gratulation. Schön. Mehr möchte ich dazu nicht sagen…
„Das haben wir geschafft. Und darauf dürfen wir stolz sein“
Bleibt angesichts dieses Kraftaufwandes für die Touristen überhaupt noch Zeit und Geld für die Einheimischen, die dauerhaften Einwohner Bad Füssings?
Alois Brundobler: Ich bin selber gebürtiger Aigener, wohne inzwischen in Würding. Ich kann nur sagen: Es ist einmalig, wie die Einwohner für den Kurort leben. In den schwierigen Zeiten haben’s alle Füssinger Gemeindebewohner super aufgenommen, dass wir einen Sparkurs gehen müssen. Die Leute wissen, welchen Stellenwert der Hauptort als Wirtschaftsstandort für die ganze Gemeinde hat. Es gibt keinen Ortsteil-Egoismus mehr. Das hat mit dazu beigetragen, dass wir uns relativ schnell erholt haben nach der Gesundheitsreform.
Ein einschneidendes Ereignis.
Alois Brundobler: Bis 2002 hatte jeder Gast die Eintrittskosten für die Therme sowie für verschiedene Anwendungen von den Krankenkassen erstattet bekommen. Ebenso erhielt er einen Zuschuss für den Aufenthalt. Das ist nach der Reform alles weggefallen. In der Folge mussten wir uns auf dem Markt neu orientieren und etablieren. Wir mussten demjenigen, der nun seinen eigenen Geldbeutel in die Hand nimmt, erklären, dass bei uns das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Das haben wir geschafft. Und darauf dürfen wir stolz sein.
Den 1. Mai 2002 werde ich nie vergessen – und das nicht nur, weil es mein erster Tag als Bürgermeister war. Ich war damals alleine. Wir hatten keinen Kurdirektor. Gott sei Dank konnte ich relativ schnell Rudi Weinberger installieren. Obwohl es nicht gut um den Kurort stand, haben wir vereinbart, nach außen hin nur positiv zu wirken. Wir wollten den Vermietern vermitteln, dass diejenigen, die sich in Sachen Qualität nach vorne bewegen, eine Überlebenschance haben. Der Falkenhof war dann der erste Beherberungsbetrieb, der Geld in die Hand genommen hat – 3,5 Millionen Euro. Das haben wir drei Jahre lang gefeiert (lacht). Eine echte Initialzündung.
Rudi Weinberger: (euphorisch) Ein Signal!
Alois Brundobler: Das Gute ist, dass die Politik manchmal mehr weiß als der Bürger. Dass der Strukturwandel kommt, stand schon lange fest und wurde auch in den Medien thematisiert – doch der Kunde hatte es nicht gleich verinnerlicht. Diese anfängliche Unwissenheit haben wir genutzt, um uns den neuen Gegebenheiten anzupassen. Die Hoteliers haben sich umorientiert. Bis 2014 hatten unsere Betriebe mehr als 250 Millionen Euro investiert. Das ist gewaltig.
„Füssing gilt weiterhin als Gesundheitsstandort schlechtin“
Ist man denn hinsichtlich der Übernachtungszahlen wieder auf dem Vor-Gesundheitsreform-Niveau angelangt?
Alois Brundobler: Nein. 2002 hatten wir 3.066.000 Übernachtungen – das vorerst letzte Mal, dass wir die Drei-Millionen-Marke überschritten haben. Auf einen Schlag sind dann 14.000 Gäste mit insgesamt 500.000 Übernachtungen ausgeblieben. Ein Schock. Der Grund dafür: Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer hat sich von 14,7 auf zehn Tage reduziert. Rudi hatte bereits zu dieser Zeit erkannt, dass das Marketing umgestellt werden muss. Seine Arbeit, sein Verdienst. Damals haben wir die nicht für möglich gehaltene Summe von 800.000 Mark in Werbung investiert. Die Effektivität war überragend, sodass wir bereits ab 2004 wieder erste Gäste-Zuwächse verbuchen konnten. Inzwischen sind wir bei 313.000 Übernachtungsgästen angelangt – bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 7,7 Tagen.
Rudi Weinberger: Diese 7,7 Tage ist deutschlandweit gesehen ein Spitzenwert. Ein Ausdruck davon, dass unsere Gemeinde weiterhin als Gesundheitsstandort schlechthin gilt. Gesundheit – der Überbegriff in Bad Füssing. Auf dieses Pferd setzen wir. Obwohl sich einige Betriebe in Richtung Wellness orientiert und spezialisiert haben, legen alle Hoteliers großen Wert auf unser Heilwasser. Außerdem weisen sie auf das umfangreiche Programm vor Ort hin. Das ist der Unterschied zu einem Wellness-Tempel, der irgendwo in der Pampa steht. Dieser ist alleine auf sich angewiesen. Und deshalb haben wir einen großen Wettbewerbsvorteil.
Interview: Stephan Hörhammer und Helmut Weigerstorfer
Im zweiten Teil unseres Doppel-Interviews mit Kurdirektor Weinberger und Bürgermeister Brundobler werfen wir einen Blick auf den Tourismus im Bayerischen Wald, die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Woid und Fiassing sowie die Ambitionen ausländischer Investoren im Kurort – und stellen die Frage, ob die beiden Pole „Bad Füssing“ und „junge Leute“ tatsächlich so unvereinbar sind, wie es scheint…