Bad Füssing. „Ich hätte mir einen anderen Start gewünscht“, gibt Bad Füssings neuer Bürgermeister Tobias Kurz offen zu. Er spricht beim Gedanken an die vergangenen Wochen und Monate von einer „erschreckenden, gespenstischen Zeit“. Der 28-Jährige, der im Mai die Nachfolge des kommunalpolitischen Ur-Gesteins Alois Brundobler angetreten hatte, sieht sich sogleich mit der wohl schwierigsten Herausforderung konfrontiert, die Europas größter Kurort je erlebt hat: die Coronakrise. „Im Wahlkampf hatten wir noch viele Zukunftsvisionen – und plötzlich wirst Du so ausgebremst und alles rückt in weite Ferne“, sagt Kurz im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n. Doch von Resignation ist nichts zu spüren – im Gegenteil.
Kurz gibt sich positiv und glaubt an einen erfolgreichen Neustart in Bad Füssing, genauso wie Birgit Kreuzhuber-Zöls, die nach dem Ausscheiden des langjährigen Kurdirektors Rudi Weinberger dessen Amt bis zur Findung eines Nachfolgers kommissarisch weiterführt. „Die Stelle wird alsbald bundes- und österreichweit ausgeschrieben“, verrät Bürgermeister Kurz. Sie trägt dann die zeitgemäßere Bezeichnung „Kur- und Tourismusmanager“. Mit Weinbergers Nachfolger will sich Bad Füssing strategisch neu aufstellen und den Kurort touristisch weiter voranbringen.
„Wir können wieder optimistisch in die Zukunft blicken“
Was denken Sie: Ist die Coronakrise ein größerer Einschnitt für Bad Füssing als die 2002 stattgefundene Kur-Reform?
Kurz: Man kann das noch gar nicht so richtig einschätzen, weil wir nicht wissen, wie sich das alles noch entwickeln – und ob es eine zweite Welle geben wird. Die Reform 2002 – kurz zuvor trat Alois Brundobler ja seinen Dienst als Bürgermeister von Bad Füssing an – war etwas sehr Nachhaltiges: Damals wusste man, dass sich der Ort dauerhaft umstrukturieren, neu aufstellen muss. Die Corona-Sache ist hoffentlich nur etwas Vorübergehendes.
Fest steht: Es ist ein wahnsinnig harter Einschlag für alle Betriebe, insbesondere auch für die Thermen. Man merkt aber, dass sich alle gut gerüstet haben für diese Zeit. Wir hoffen natürlich, dass Bad Füssing mit neuem Mut und Tatendrang aus dieser Krise hervorgeht. Dabei vertrauen wir auf unsere Stammgäste und sind froh, wenn sie uns die Stange halten. Derzeit sind die Menschen generell noch etwas vorsichtig, was Sicherheit und Hygiene betrifft – aber ich denke, wir können wieder optimistisch in die Zukunft blicken.
Kreuzhuber-Zöls: Es ist wie ein Neustart, den Bad Füssing jetzt hinlegen muss.
Kommen die Leute nach dem Re-Start wieder nach Bad Füssing? Wie ist die momentane Lage?
Kreuzhuber-Zöls: Ein Hotelier hat mir neulich erst versichert, dass er sehr gut ausgebucht und daher sehr zufrieden sei. Es würden immer mehr und immer wieder neue Buchungen eintreffen. Er hat gesagt, dass er – Gott sei Dank – nicht den Fehler gemacht habe und gleich alles storniert hätte, sondern er hat gegenüber seinen Gästen auf die Zeit danach hingewiesen. Viele, die im Frühjahr gebucht hatten, kommen eben jetzt nach Bad Füssing. Es geht stetig nach oben. In den Straßen ist wieder was los.
Kurz: Die Gäste gewöhnen sich nach und nach an die momentanen Beschränkungen. Sie checken erst einmal ab, wie sich Bad Füssing aufgestellt und die Hotellerie sich vorbereitet hat. Für sie wird sichtbar, dass sich alle ihre Gedanken gemacht haben und dass zu den ohnehin vorhandenen Hygienestandards noch weitere aufgesattelt wurden. Sie sehen, dass man hier unbeschwert und sicher Urlaub machen kann.
Sind denn bereits gewisse Verluste zu beklagen, sprich: Haben Hotelbetriebe aufgrund der Pandemie den Betrieb ganz eingestellt oder mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen?
Kurz: Nein. Viele Hotels, die sonst stets den Winter über zugemacht haben, verlagern ihre Saison nun nach hinten, haben also zur kalten Jahreszeit länger geöffnet. Viele Betriebe haben die Corona-Auszeit genutzt, um zu investieren und zu modernisieren. Von Hotelschließungen oder Ähnlichem hab ich noch nichts gehört.
Kreuzhuber-Zöls: Ich denke, dass unsere Gäste nun herausfinden dürfen, dass es auch im Winter sehr schön in Bad Füssing sein kann. Die Besucher-Hochzeit findet ja normalerweise im Frühling und im Herbst statt. Wir haben über das gesamte Jahr über verteilt 2.200 Veranstaltungen in unserem Kurort.
„Rechnen mit acht Millionen Euro weniger Einnnahmen“
Sind die Folgen von Corona bereits in irgendeiner Weise abschätzbar?
Kurz: Für die Gemeinde selbst ist es ein enormer finanzieller Einschnitt, da wir im März, im April und im Mai keine Gäste hier hatten. Wir haben sehr viele Stundungsanträge von den Unternehmen im Ort bekommen. Wir wissen noch nicht, wie sich das im nächsten Jahr auf die Gewerbesteuer und die gesamte Einnahmenseite auswirken wird. Der Kurbeitrag ist zu großen Teilen weggebrochen. Laut Prognose rechnen wir für den Füssinger Haushalt heuer mit acht Millionen Euro weniger Einnahmen.
Aktuell ist es ja so, dass nur die Pflichtleistungen einer Kommune gesehen werden. Bad Füssing erbringt jedoch auch sehr viele freiwillige Leistungen: Wir haben etwa ein eigenes Kurorchester, wir investieren in Werbung, stellen Personal zur Gästebetreuung usw. All diese Leistungen spielen aber beim Staat keine Rolle, wenn es etwa um die Beantragung von Krediten geht. Wir erhoffen uns da künftig mehr Verständnis von Seiten der Regierung. Dass erkannt wird, dass auch die freiwilligen Leistungen in Bad Füssing für die heimische Wirtschaft in einer vom Tourismus geprägten Region von großer Bedeutung sind, diese quasi als Pflichtleistungen gesehen werden können.
Mit dem Krisenmanagement der Staatsregierung waren Sie, Herr Kurz, gerade hinsichtlich der Wiedereröffnung der drei Füssinger Thermen ja nicht sonderlich zufrieden. Was hätte man hier rückblickend besser machen können?
Kurz: Wir hatten uns gut aufgestellt und uns viele Gedanken über ausgefeilte Hygiene-Konzepte gemacht, die niederbayernweit mit allen Thermen abgestimmt waren. Das hatte Hand und Fuß. Wir hätten uns daher mehr Gehör von Seiten der Staatsregierung gewünscht – und die Erkenntnis, dass man die Thermen als Gesundheitseinrichtungen betrachtet, die den Bürgern unter entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen zur Verfügung stehen sollten, und die man nicht in einen Topf mit Spaßbädern werfen kann. Fitnessstudios durften öffnen, aber unsere Thermen nicht – das konnten wir ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen. Hinzu kam der drohende Wettbewerbsnachteil gegenüber dem Nachbarland Österreich nach der Wiedereröffnung der Grenze.
„Niemand soll sich abgehängt fühlen“
Es gab ja eine gemeinsame Protestaktion in Bad Birnbach: Rund 300 Menschen waren für eine schnelle Öffnung der niederbayerischen Thermen auf die Straße gegangen. Welche Wirkung hatte diese Aktion Ihrer Meinung nach erzielt?
Kurz: Ich denke, die Protestaktion war ein wichtiges Zeichen für die Region. Dass wir zusammenstehen, dass auch die Bevölkerung dahintersteht. Ob es der ausschlaggebende Punkt war, glaube ich nicht. Es waren dann doch eher die Gespräche im Hintergrund, die u.a. auch unser ehemaliger Kurdirektor Rudi Weinberger als Geschäftsführer des bayerischen Heilbäderverbandes geführt hat.
Das Motto „Urlaub dahoam“ wird im Zuge der Coronakrise allerorts großgeschrieben. Wie kann Bad Füssing es schaffen, noch mehr Urlaubsgäste aus den umliegenden Regionen – etwa aus dem Bayerwald – anzulocken?
Kreuzhuber-Zöls: In Bad Füssing lässt sich die Natur sehr gut genießen: Wir haben die Inn-Auen und 460 Kilometer fast hügellose Radwege – ich denke, dass wir viele Gäste mit diesem Angebot wieder hierher holen und nicht nur mit dem Thermalwasser-Trumpf wuchern können. Beides lässt sich gut verbinden. Gerade das Rad fahren hat ja durch Corona einen neuen Aufschwung erlebt – untertags Radeln und danach in die Therme, das tut gut. Hinzu kommt freilich das vielfältige gastronomische Angebot.
Wie ist das eigentlich: Ist in Sachen Bettenkapazität in Bad Füssing bereits ein Ende erreicht – oder besteht da noch Potenzial?
Kreuzhuber-Zöls: Die Bettenzahlen sind von 2002 an rückläufig. Dies betrifft vor allem die Außenorte. Außerhalb des Zentrums gestaltet sich der Urlaub jedoch meist familiärer, weil die Gäste dort mehr in die Familien eingebunden werden. Viele kennen sich bereits jahrelang, es sind Freundschaften entstanden.
Kurz: Vor der Kur-Reform sind die Gäste regelrecht Schlange gestanden in der Tourist-Information, um eins der Betten im Bad Füssinger Ortskern oder in den Außenorten zu bekommen – das weiß ich aus Erzählungen. Nach 2002 sind Szenarien wie diese massiv weggefallen. Von da an hat sich auch der Anspruch des Gastes an die Unterkunft gewandelt – daran haben wir uns angepasst.
Es ist erkennbar, dass sich das Geschehen mehr und mehr aufs Zentrum fokussiert – nichtsdestotrotz sind wir bestrebt, dass wir jeden Ortsteil ins touristische Geschehen miteinbinden. Es gibt unsere integrierte Ortsentwicklungsplanung Zukunft Bad Füssing, die für jeden Ortsteil auch eine touristische Positionierung vorsieht: Würding geht in Richtung Familienurlaub, Egglfing ist landwirtschaftlicher geprägt, Aigen etwas spiritueller – jeder Ort soll seine eigene Identität haben. Und jeder Ortsteil soll vom gesamttouristischen Konzept profitieren. Niemand soll sich abgehängt fühlen, jeder soll mitgenommen werden. Dass das touristische Geschehen im Hauptort stets die größte Rolle spielt, ist klar.
„Wir wollen optimistisch bleiben“
Ist es angesichts der hohen Attraktivität Bad Füssings überhaupt noch möglich gewisse Highlights aus eigener Kraft zu setzen – oder sind hier Investitionen von Privatinvestoren á la „Die Hecke“ nötig?
Kreuzhuber-Zöls: Ich denke nicht, dass wir hier bereits am Ende angelangt sind. Wir befinden uns da in einer ständigen Findungsphase.
Kurz: Highlights werden wir immer wieder setzen. Wir haben viele Dinge ausprobiert und neu etabliert, dabei denke ich etwa unser Kulturfestival, das sich Jahr für Jahr weiterentwickelt hat und teils hochkarätig besetzt ist. Die Zusammenarbeit mit den Betrieben wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen – genauso mit Investoren. Es gibt Überlegungen auch in diesem Sommer noch ein Veranstaltungshighlight zu setzen – dazu kann ich aber noch nicht mehr sagen, wir müssen hier die weiteren Entwicklungen abwarten.
Angenommen der Fall, dass tatsächlich eine zweite Corona-Welle und somit ein weiterer Lockdown kommen wird – welche Konsequenzen hätte dies für Bad Füssing?
Kurz: Das ist schwierig zu sagen. Ob unsere Wirtschaftsbetriebe ein solches Szenario nochmals überstehen würden, wage ich zu bezweifeln – das muss ich ganz ehrlich sagen. Sollte dieser Fall eintreten, müssen wir die Lage analysieren und kurzfristig reagieren. Jetzt sind wir natürlich etwas sensibilisiert für das Thema, wir haben erste Erfahrungen gesammelt. Generell hoffen wir aber nicht, dass dieser Fall eintreten wird. Wir wollen optimistisch bleiben. Behalten wir uns lieber einen Teil der Beschränkungen und Hygienevorschriften bei und schauen, dass wir so sicher wie möglich weitermachen können.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für unsere Fragen genommen haben.
Interview: Stephan Hörhammer