Bayerwald/Böhmerwald. Gut vier Wochen ist es her, dass Elch „Emil“ erstmals im Bayerischen Wald gesichtet wurde. Bei strömendem Regen marschierte er damals des Nächtens durch den Grenzort Bischofsreut und sorgte dort für so manch erstaunte Blicke und Reaktionen (da Hog’n berichtete). Sein Weg führte ihn in der Folgewoche im länderübergreifenden „Zick-Zack-Modus“ weiter bis zur Trinkwassertalsperre Frauenau, wo er ein erfrischendes Bad nahm – und dann in den angrenzenden Wäldern verschwand.

Kurz darauf ging der wandernde Elch offline, nachdem die Batterie-Leistung seines am Geweih festgebrachten GPS-Geräts erschöpft war. Dass seine Spur nicht länger verfolgt werden konnte, war dabei durchaus beabsichtigt, denn: Er sollte sich ungestörterweise zu seinen Artgenossen im Böhmerwald gesellen, um dort nach den anstrengenden und stressgeprägten Tagen und Wochen in Österreich endlich zur Ruhe zu kommen.
Doch welchen Weg schlug der zum Medien- und Social-Media-Star avancierte Vierbeiner in der Folge ein? Wir haben versucht, diesen anhand von Hinweisen und Bildern in den Sozialen Medien, insbesondere seiner Fan-Gruppe „EMIL der Elch“ zu rekonstruieren – mit dem Ergebnis: Emil scheint im Šumava heimisch geworden zu sein.
Emils Begegnung mit der tschechischen Polizei
Eine seiner ersten Stationen nach dem Aufenthalt an der Frauenauer Trinkwassertalsperre ist der Prášil-See (Stubenbacher See), wo er in den Morgenstunden des 3. Oktobers von Wanderern gesichtet und fotografiert worden ist. Zwei Tage später stolzierte er in gemächlichem Tempo durchs Unterholz des Böhmerwalds. Am 11. Oktober ging er in der Nähe von Hartmanice an ein paar Waldarbeitern vorbei, die ihn dabei gefilmt haben. Tags darauf war er in Keply, gut zehn Kilometer nord-westlich von Hartmanice, unterwegs. „Er sah sich den Bauernhof und die Häuser an – und ging weiter“, kommentiert ein User, der ihn dabei beobachtet hat, humorvoll.
Wiederum zwei Tage später, am 14. Oktober, fand man ihn rund 30 Kilometer weiter nördlich auf einer Wiese liegend in der Region Klattau – also rund 85 Kilometer Luftlinie entfernt von jenem Platz im Böhmerwald, an dem er am 22. September wieder in die Freiheit entlassen wurde, nachdem er zuvor bei Sattledt in Oberösterreich betäubt worden war. Eine Mitarbeiterin des Bezirksjagdverbands hatte ihn fotografiert, wie er sich einen Apfel von einem Baum pflückte, um sich zu stärken. Einer tschechischen Polizeimeldung zufolge war er tags zuvor noch in einem kleinen Dorf in einem Garten gesichtet worden, aus dem er nicht mehr so recht herausfand. Die verständigten Polizeibeamten näherten sich laut Bericht dem Elch, der sich daraufhin „wie ein wildes Tier“ verhalten – und seine Widersacher kurz durch den Garten verfolgt haben soll. „Mit lautem Klatschen gelang es der Polizei schließlich, Emil zum Zaun zu bewegen – er sprang über diesen und verschwand wieder in die Wildnis“, wird ein Polizeisprecher in der Meldung zitiert.
Als nächstes filmten ihn Autofahrer in den Abendstunden bei seiner gemütlich anmutenden Überquerung einer gut ausgebauten Straße. Einem Internetbericht zufolge soll es sich dabei um die Straße zwischen Běšiny und Vrhaveč gehandelt haben, beides Vororte von Klattau. Vom herannahenden Auto ließ er sich dabei offensichtlich nicht allzu sehr aus der Ruhe bringen – und zeigte sich vom Verkehr unbeeindruckt.
„Ein Auf und Ab der Gefühle“
Auch einen Tag später wanderte er Zeugenaussagen zufolge noch in der Gemeinde Vrhaveč umher – und wurde kurz darauf gefilmt, wie er erneut in aller Seelenruhe entlang eines Bahngleises dahinschlenderte. Am 17. Oktober sah man ihn in Kocourov, südöstlich von Klattau, wie er in der Nacht an einer Straße entlang spazierte. Am 18. Oktober erkundete er die Gegend um Čachrov, die sich weiter südlich als sein vorheriger Standort (und wieder etwas näher am Böhmerwald) befindet. „Solange er die Kabelbinder oben hat, ist eine Verwechslung ausgeschlossen“, kommentierte eine Userin und verweist auf das damit einstmals befestigte GPS-Gerät, das inzwischen nicht mehr am Geweih zu sehen war.
Überhaupt: Es ist faszinierend, wie die Elch-Community sich um das Wohlbefinden von Emil sorgt, ja an dessen Schicksal Anteil nimmt. Kommentare wie „Gute Nachricht, dass es Emil gut geht“ oder „Sein Geweih ist etwas gewachsen finde ich. Hoffentlich findet er bald sein Elchmädchen, er ist immer so einsam“ zeugen davon. Auch längere Passagen wie die folgende sind dem Elch gewidmet:
„Ich vergleiche für mich die Reise von Emil mit dem Lesen eines guten Buches. Das erste Kapitel ist der Prolog, um die Protagonisten kennenzulernen und die Neugierde ist geweckt. Mit jedem neuen Kapitel taucht man tiefer und tiefer in die Geschichte ein. Nach einer Lesepause ist man schon ganz begierig, die nächsten Seiten zu lesen. Man wechselt von Romantik rüber zum humorvollen Teil, dann wird es wieder etwas „ruhiger“. Es bahnt sich ein dramatisches Kapitel an, das durch etwas Positives ersetzt wird. Ein Auf und Ab der Gefühle beim Lesen, das mit einem fulminanten Schluss zu einem Happy-End führt und man beim letzten Wort eigentlich traurig ist, weil das Buch zu Ende ist. So geht es mir mit Emils Reise und deshalb ist es sehr schön, wenn man ab und zu noch etwas von ihm liest.“
In der Region Čachrov hielt er sich dann ein paar Tage auf, bevor er um den 25. Oktober herum wieder im Šumava-Nationalpark in der Nähe des Dorfes Prášily, 18 Kilometer südwestlich von Sušice, gesehen wurde – bei Regenwetter und guter Gesundheit. Seither scheint er sich dort aufzuhalten – also inmitten der Natur des Böhmerwalds.
Ist Emil nun an seinem Ziel angekommen?
Ergo: Ende gut, alles gut? Hat Elch Emil endlich sein Zuhause gefunden, wenn auch noch ohne Anschluss an die im Šumava-Nationalpark beheimatete Elch-Population? Wird er künftig ein Einzelgänger bleiben und weiterhin von Zeit zu Zeit die Straßen und Gärten der Menschen besuchen? Nichts Genaues weiß man nicht. Doch eines ist sicher: Der „Weltenbummler“ wird wohl noch eine ganze Weile im Herzen seiner zahlreichen Fans einen Platz behalten…
Text: Stephan Hörhammer
Screenshots: Facebook-Gruppe „EMIL der Elch“







