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Mitterfirmiansreut. Obwohl er als unmittelbar am Eisernen Vorhang eingesetzter Grenzpolizist allen Grund dazu gehabt hätte, den nur wenige hundert Meter entfernten „Feind“ zu verteufeln, war bei ihm genau das Gegenteil der Fall. Er hatte keine Angst vor dem Fremden – es zog ihn vielmehr regelrecht in seinen Bann. Weil er wusste, dass die Grenze nur eine geographische Begebenheit ist; dass die gegenseitige Abneigung nur oberflächliche ideologische Gründe hat; dass Deutsche und Tschechen mit dem Bindeglied Böhmen einfach zusammen gehören. Diese Erkenntnisse mussten nicht erst reifen, sie sind Teil seiner Persönlichkeit. Und genau deshalb ist Hubert Gibis aus Mitterfirmiansreut (Gmd. Philippsreut) ein Musterbeispiel für einen deutsch-tschechischen Brückenbauer.

+++ Hier geht’s bei Klick zur tschechischen Version dieser Geschichte +++

Obwohl er den Inhalt bestens kennt, vertieft sich Hubert Gibis immer wieder in seine Bücher. Er taucht dabei ein in das Leben und die Gefühlswelten der darin dargestellten Menschen.
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Das genaue Datum hat der 70-Jährige vergessen. Es war irgendwann 1989. Einem Jahr von welthistorischem Format, in dem die Berliner Mauer fiel und sich der Kalte Krieg dem Ende zuneigte – was zur Folge hatte, dass die deutsch-tschechische Grenze wieder passiert werden durfte. „In Haidmühle wurde deshalb groß gefeiert“, erinnert sich der gebürtige Finsterauer. Auch er war dabei, als eine Party im Namen der Freiheit gestiegen ist – jedoch nicht auf die Art und Weise, wie man vielleicht vermuten könnte. „Ich habe gewartet, bis der Schlagbaum hoch gegangen ist- und dann bin ich mit dem Rad gleich rübergefahren und habe alles erkundet.“

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Sein erstes Ziel war die Kaserne der tschechischen Grenzsoldaten in Scheureck (Žďárek), die Gibis und seine Kollegen von der anderen Seite aus immer im Blick haben mussten. „Ja, klar habe ich mich beobachtet gefühlt“, blickt er zurück. „Aber es ist auch gleich zu guten Gesprächen gekommen.“ Es entstanden dabei Kontakte, die bis heute halten. Und der damals junge Mann merkte schnell, dass „die da drüben“ keine „bösen“ oder „schlechten“ Menschen sind. Schnell machte er aus, dass die „Tschechen ähnlich gestrickt sind, wie wir“.

Vergeben ohne zu vergessen

Die Kaserne in Scheureck, um 1980. Foto: Archiv Gibis

Der 70-Jährige ist gegen das Vergessen. Das, was sich Deutsche und Tschechen vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg gegenseitig angetan haben, „war krass“, wie es Gibis prägnant formuliert. An diese Gräueltaten auf beiden Seiten müsse immer wieder erinnert werden, findet er, um deren Wiederholung auszuschließen. Genau deshalb beschäftigt sich Gibis mit großer Leidenschaft mit der Geschichte verlassener Dörfer entlang des Grenzstreifens, deren deutsch-böhmische Bevölkerung 1945/1946 vertrieben wurde. Er ist davon überzeugt, dass durch diese Aufklärungsarbeit der Prozess des Vergebens und Verzeihens abgeschlossen werden kann – eben indem das Vergessen verhindert wird.

Sein Spezialgebiet sind die nicht mehr existenten Siedlungen Fürstenhut (Knížecí pláně), Scheureck, Unterlichtbuchet (Dolní Světlé Hory), Oberlichtbuchet (Horní Světlé Hory) und Landstraßen (Silnice). Knapp 300 Häuser insgesamt standen einst in diesen Ortschaften, von denen man heute höchstens noch Reste von Steinmauern erkennen kann. Als Finsterauer und späterer Mitterdorfer kannte Gibis natürlich von dort vertriebene Einwohner oder deren Verwandtschaft. Und genau dieses Schicksal berührte ihn. Er wollte mehr wissen – und seine aufwendigen Recherchearbeiten nahmen ihren Lauf.

Manchmal sei es für ihn einfach gewesen, an Informationen zu kommen – da reichte das Gespräch mit einem Zeitzeugen. Bei anderen Daten wiederum war intensive Detektivarbeit gefragt. Insgesamt hat es weit über zehn Jahre gedauert, bis Hubert Gibis die Geschichte jedes der 300 Häuser ausgearbeitet hatte. Inzwischen kann er behaupten, den Baumstamm jeder Familie in „seinen“ fünf Dörfern – bis auf wenige Ausnahmen – zu kennen, entsprechende Bilder inklusive. Zusammengefasst hat der 70-Jährige all diese Erkenntnisse in fünf Büchern – für jede Ortschaft eines.

„Seine Arbeit ist eine Brücke zur Vergebung“

Ein Blick auf die Werke von Hubert Gibis. Mehr als nur gesammelte Daten…

Der Aufwand dafür („Meine Frau hat mich in meiner Freizeit nicht oft gesehen„) hat sich gelohnt, wie nicht nur Hubert Gibis findet. „Hinter jedem Wort verbirgt sich eine ungeheure Anstrengung“, weiß Marek Matoušek, Betreiber der Hog’n-Partner-Plattform sumava.eu und leidenschaftlicher Kämpfer für das deutsch-tschechische Miteinander, zu berichten. „Seine Arbeit ist eine demütige Erinnerung an all das Schöne und Schmerzvolle, was hier geschehen ist. Er hat meinen grenzenlosen Respekt!“ Genau deshalb sei Gibis für ihn kein Deutscher oder Bayer, sondern ein „Šumavaner“ – also ein Böhmerwäldler. Einer, der im positiven Sinne alle Menschen dieser Region über einen Kamm schert und sie grenzübergreifend vereint.

Obwohl seine Bücher bis auf immer wieder kleinere Aktualisierungen inzwischen fertiggestellt sind und (zum Selbstkostenpreis) schon hunderte Male verkauft wurden, ist der 70-Jährige längst noch nicht fertig bzw. hat er noch lange nicht genug. Weiterhin sucht er Kontakt zu Vertriebenen und auch zu Menschen, die nur verbal eine andere Sprache sprechen. „Will jemand etwas über die Dörfer wissen, die ich erforscht habe, darf er sich jederzeit bei mir melden“, betont Hubert Gibis. Selbst individuelle Wanderungen in „seinem“ Gebiet bietet er an. „Hubert schreitet dabei Schritt für Schritt, Mensch für Mensch, Schicksal für Schicksal, Haus für Haus voran“, umschreibt es Marek Matoušek.

Er betont – und spricht damit vielen aus der Seele: „Seine Arbeit ist eine Brücke zur Vergebung.“ Besonders wertvoll: Gibis macht all das nicht, weil es wohlwollend klingt oder weil er dafür vielleicht bezahlt wird. Er macht es aus tiefster Überzeugung heraus. Der Einsatz für das deutsch-tschechische Miteinander ist Teil seiner Persönlichkeit. Und genau deshalb ist der 70-Jährige ein Musterbeispiel für einen Brückenbauer der Verständigung.

Helmut Weigerstorfer

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Benötigt jemand Informationen über die verlassenen Ortschaften Fürstenhut, Scheureck, Unterlichtbuchet, Oberlichtbuchet oder Landstraßen? Weiß jemand Wissenswertes darüber zu berichten? Oder hat jemand Interesse am Buch über diese Siedlungen entlang des deutsch-tschechischen Grenzstreifens? Hubert Gibis hilft gerne weiter – via Mail (hubert.gibis@gmx.de)


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