Drachselsried. In vielen engen Kurven windet sich die schmale Straße aus dem Zellertal bei Drachselried den Berg hinauf. Auf 736 Meter Höhe ist Ende, ein Hochplateau öffnet sich. Auf der rechten Seite duckt sich ein liebevoll renoviertes Waidlerhaus in den Hang. Vor den Sprossenfenstern stehen Blumentöpfe mit roten Geranien, im Bauerngarten blühen leuchtend blaue Hortensien.

Unter der Toreinfahrt auf der linken Seite führt der Weg zum Gutsgasthof Frath, einem stattlichen Anwesen mit einem umlaufenden Balkon, unter dem sich schwere hölzerne Bänke und Tische aneinanderreihen. Einige Gäste wohnen in der Pension gleich gegenüber, andere kommen von überall her, um auf der Frath einzukehren und das gute Essen zu genießen. Wanderer und sportliche Radfahrer sind genauso dabei wie Spaziergänger, die den wunderbaren Ausblick hinunter ins Zellertal oder auf die gegenüberliegende Arber-Bergkette genießen wollen. Faul liegen die Kühe auf der Weide; die Ziegen auf der Wiese beim Spielplatz lassen sich gerne von Kindern füttern.
Woher kommt der Name Frath? Die Antwort habe ich vor langer Zeit zum ersten Mal von Anna Geiger gehört, 40 Jahre lang die Wirtin und Bäuerin oben auf dem Berg. Als Reporterin des Bayerischen Rundfunks wollte ich den Hörerinnen und Hörern die Schönheit dieser Gegend nahebringen. Der Tag endete mit einer Einkehr im Wirtshaus. Und einem großen Rätselraten. Niemand in der Runde konnte die Frage nach der Herkunft des Namens wirklich beantworten – bis Anna Geiger, das Annerl, vor dem Tisch stand, nachdem sie schon eine Weile sichtbar ungeduldig zugehört hatte.
Mit aller Entschiedenheit sagte sie ins Mikrofon „Frath ist Freiheit!“ und erzählte: Der Legende nach rettete ein Stierhüter namens Frao dem Grafen von Nussberg das Leben, als dieser von einem Bären angefallen wurde. Zum Dank für die Hilfe in höchster Not erhielt er das Land oben auf dem Berg, wurde Freibauer, der keine Abgaben bezahlen musste. Geschichtlich erwähnt wurde die Frath zum ersten Mal um das Jahr 1300. Alle in der Familie sind stolz auf diese lange Tradition.
Familientradition mit Blick über den Tellerrand

Annerls Lebenseinstellung bis zum Schluss beschrieb sie selbst mit den Sätzen: „Für mich wäre es das Schlimmste, wenn ich nicht mehr gebraucht oder gewünscht wäre. Dann würde ich mich unnütz fühlen. So weiß ich, ich werde anerkannt.“ Ihr Tod 2023 war für Senior Nikolaus Geiger ein schwerer Schlag. Aber auch er hilft heute noch immer tatkräftig im arbeitsreichen Alltag der Familie. Sein Sohn Nikolaus (Niki) und Ehefrau Alexandra, seit 2015 die Wirtsleute auf der Frath, haben drei Kinder: die 14-jährige Magdalena, den zwölfjährigen Nikolaus und die achtjährige Franziska.
Die Geigers sind tief im christlichen Glauben verankert. Als 1945 der damalige Hofbesitzer Nikolaus Geiger, Jahrgang 1901, heil aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkam, ließ er auf dem Anwesen eine Kapelle erbauen. Auf dem linken Altarflügel ist der heilige Wolfgang dargestellt, auf dem rechten der heilige Nikolaus, nach dem in jeder Generation ein Nachkomme benannt ist. „Derzeit sind es drei. Das gab es bisher noch nie“, freut sich der Senior.
„Man wächst in die Arbeit hinein“

Als sein Vater 1960 starb, stand die Ehefrau mit vier Kindern und dem Hof allein da. Sie fing an, Übernachtungsquartiere für Gäste zu schaffen, holte damit ein Stück Welt auf die Frath, erzählt der inzwischen 73-jährige Nikolaus Geiger: „Vorher sind wir nur in die Schule und in die Kirche gekommen. Jetzt waren plötzlich Leute da, die von ganz woanders herstammten, und mit denen wir uns austauschen konnten.“ Die Hofnachfolge lief selbstverständlich auf ihn zu. Er war als einziger Sohn mit drei älteren Schwestern aufgewachsen. „Volksschule, Berufsschule. Man wächst in die Arbeit hinein und ich tue sie auch gerne“, sagt Nikolaus Geiger.
Starke Frauen tun der Frath gut. 1974 kam Ehefrau Anna auf den Hof. Eine temperamentvolle zierliche Frau, die aus einem Sägewerk im nahen Achslach stammte, Klosterschulen in Niederviehbach und Straubing besucht hatte und dann im elterlichen Betrieb die Buchhaltung erledigte. Gemeinsam investierten Nikolaus und Anna in die Ferienpension. Sie schufen komfortable Übernachtungsmöglichkeiten mitten in der Natur und freuten sich über die wachsende Zahl an Stammgästen. Von einem Paar erzählte Anna Geiger immer wieder. Es war der Chef der Barmer-Ersatzkasse aus Wuppertal, zuständig für ganz Deutschland, der mit seiner Frau das erste Zimmer mit eigener Dusche und WC auf der Frath bezog: „Leute von Welt, die 20 Jahre lang immer bei uns Urlaub machten!“
Bauernhof, Gasthof und Waldwirtschaft

Niki und seine Frau Alexandra sind 2015 nahtlos in die Nachfolge eingestiegen, setzen aber durchaus eigene Akzente. Alexandra arbeitete als Krankenschwester in Linz, ehe sie auf die Frath heiratete. Der Übergang sei ihr nicht schwergefallen, denn „Patienten oder Gäste – in beiden Fällen handelt es sich um Menschen“. Für Niki Geiger und seine Familie sind Bauernhof, Gasthof und Waldwirtschaft eine Einheit. Die drei Betriebszweige zusammen sichern die Existenz. Qualität bei den Lebensmitteln hat höchsten Stellenwert, wovon die Gäste im Gutsgasthof profitieren.
Die Milch von den Kühen wird zu Butter und Käse verarbeitet, die Rinder vom Hof und das Wild aus der eigenen Jagd liefern das Fleisch, geheizt wird mit Holz aus dem eigenen Wald. Alexandra Geiger kocht auf dem Holzofen in der großen Küche. Die drei Kinder, die selbstverständlich überall mithelfen, kommen am frühen Nachmittag mit dem Bus aus der Schule, holen sich ihr Essen aus den großen Töpfen und Pfannen.
„Ich bin immer da, auch wenn ich nicht immer Zeit habe“, beschreibt Alexandra Geiger die Vorteile ihres Berufs. 2014 hat sie in einen Schnellkurs als Hotelfachfrau absolviert, um selbst ausbilden zu dürfen. Doch „heutzutage will bei uns niemand mehr in der Gastronomie arbeiten“, bedauert sie.
„Ich verstehe unser System nicht“

Mit großem Aufwand fanden sie 2023 zwei Azubis in Ägypten und Tunesien. Vermittelt über eine Agenturen vermittelt wurden. „Ich habe Omar Mahmoud gefragt, ob er wirklich weiß, worauf er sich einlässt. Er kommt aus der 22-Millionen-Stadt Kairo und wir leben mitten im Wald!“, schildert Niki Geiger die erste Begegnung per Video. Doch der inzwischen 27-jährige Ägypter unterschrieb den Ausbildungsvertrag, bekam gegen Geld sein Visum und flog nach Deutschland.
Die komplette Familie Geiger holte ihn mit dem Auto vom Flughafen in München ab. „Als wir in Deggendorf von der Autobahn heruntergefahren sind, wollte Omar nur noch fotografieren und filmen, denn er hatte noch nie so viel Wald gesehen“, erzählt Niki Geiger. Im Sommer 2023 kam noch der 22-jährige Souhaib Drissi aus Siliana im Nordwesten Tunesiens als Azubi auf die Frath. Anders als bei Omar gab es Probleme mit dem Visum.
Schließlich gelang es über das beschleunigte Fachkräfteverfahren, den jungen Mann auf die Frath zu holen. „Ich verstehe das System nicht. Die Leute wollen zu uns kommen, um zu arbeiten. Sie sind fleißig und pünktlich. Und unsere Bürokratie macht ihnen das Leben schwer“, ärgert sich der Frath-Bauer.
Verlass auf „Doktor Wald“
Niki Geiger wird immer wieder gefragt, ob er die Pension nicht ausbauen, auf Wellness setzen will. Oder einen Golfplatz anlegen? Die Antwort des 50-Jährigen Betriebschefs ist eindeutig: „Da wäre ich kein Bauer mehr!“ Er liebt die Landwirtschaft. Genauso die Diskussionen mit den Gästen am Abend in der Wirtsstube. Bei der Arbeit im Wald kommt er zur Ruhe.
Das Gedicht auf der linken Seite der Speisekarte über „Doktor Wald“ sagt alles: „Er bringt uns immer wieder auf die Beine / und unsere Seelen stets ins Gleichgewicht; / verhindert Fettansatz und Gallensteine / – bloß Hausbesuche macht er leider nicht.“
Heidi Wolf
(Erstveröffentlichung in: Schöner Bayerischer Wald)