Regen/Freyung. Bisher hat die Bundeswehr in der Hog’n-Berichterstattung nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Das Aufklärungsbataillon 8 in Freyung und das Panzergrenadierbataillon 112 in Regen waren zwar beispielsweise bei den alljährlichen Neujahrsempfängen sichtbar, standen aber nie so richtig im Mittelpunkt. Ähnlich erging es den Streitkräften generell in der öffentlichen Wahrnehmung. Der Ukraine-Krieg und seine Folgen, unter anderem ein verstärkter Fokus auf die Bündnis- und Landesverteidigung, haben innerhalb der Bevölkerung jedoch dafür gesorgt, dass wieder mehr und intensiver auf den „Barras“, wie die Bundeswehr im Volksmund genannt wird, geschaut wird.

Angesichts der jüngsten weltpolitischen Entwicklungen hat sich das Onlinemagazin da Hog’n mit den beiden Bayerwald-Kommandeuren Sean Papendorf (40/Regen) und Dr. Dan Tomuzia (45/Freyung) zum Interview getroffen. Und die Themen lagen mehr oder weniger auf der Hand. Im ersten Teil gehen die beiden Offiziere (jeweils Oberstleutnant) insbesondere auf die verstärkte Bedrohungslage ein.
In der Weltpolitik brodelt es unverkennbar. Beim Regener Neujahrsempfang 2025 haben Sie, Herr Papendorf, in diesem Zusammenhang ein sehr düsteres Bild gezeichnet. Hat sich die Lage seitdem zum Besseren oder Schlechteren gewandelt?
Sean Papendorf: Das, was ich damals vorgestellt habe, war ja die allgemeine Bedrohungslage, die auch in den Medien wahrnehmbar ist. Ich habe aufgezeigt, welche Auswirkungen der Ukraine-Krieg auf das Baltikum – und somit auf uns hat. Unter anderem im Bereich der Sabotage. Die Medienberichte stellen sicher nur den Gipfel des Eisberges dar. Eine gewisse Bedrohung ist deutlich erkennbar. Dieser gilt es, vorbehaltlich gegenüber zu stehen. So wie schon dargestellt, ist die Abschreckung das probateste Mittel, um möglichen Gefahren – und sei es nur ein verbales Trommeln – von Vorneherein aufzuzeigen. Doch wir sind bereit. Die geplante Bundeswehr-Struktur „Division 2025“ ist in diesem Zusammenhang ein sehr gutes Instrument der Politik.
Weg vom klassischen Einsatzbezug hin zur ständigen Bereitschaft
Dan Tomuzia: Die Voraussetzung ist, dass wir nicht in eine weitere Gemengelage hineinkommen, die in irgendeiner Form eskaliert. Die Vorgehensweise, die die NATO dabei gewählt hat, beinhaltet Abschreckung und Verteidigung. Unsere Zielsetzung konzentriert sich auf Abschreckung. Und dafür müssen wir – Aufklärer und Grenadiere – unsere Kräfte so aufstellen, dass wir sie jederzeit kurzfristig einsetzen können. Die größte Herausforderung ist hierbei, wegzukommen vom klassischen Einsatzbezug mit Planbarkeit, der uns die vergangenen 20 Jahre begleitet hat. Die ständige Einsatzbereitschaft im Rahmen der Division 2025 ist das, was uns nun jeden Tag beschäftigt.

Inwiefern hat sich der Job des Aufklärers durch die Digitalisierung, aber auch durch die Erfahrungen – Stichwort: Drohnen – des Ukraine-Krieges verändert?
Dan Tomuzia: Ein Faktor bleibt bei allen Entwicklung gleich: der Mensch. Wir können inzwischen ganz viele Dinge digital lösen. Wir können Drohnen einsetzen, künstliche Intelligenz. Dadurch kommen deutlich mehr Informationen rein, ganz klar. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir den Aufklärer immer brauchen werden. Gefühle und Wahrnehmungen des Menschen sind unersetzlich – und werden es auch in Zukunft bleiben.
Das Leben als Soldat hat sich insgesamt in den vergangenen Monaten mehr verändert als die drei Jahrzehnte zuvor insgesamt.
Dan Tomuzia: Definitiv – wobei ich nur für das Aufklärungsbataillon 8 sprechen kann. Es hat sich dahingehend verändert, dass wir in materieller Hinsicht extreme Aufwüchse hatten. Insbesondere aber auch, was die Ausgangslage betrifft: Wir müssen eine Flexibilität an den Tag legen, die nun grundsätzlich und jederzeit abverlangt wird.
Wie schwierig ist diese Umstellung?
Sean Papendorf: Wir müssen hierzu die Zeitspanne zwischen Anfang der 1990er bis zum Jahr 2022 betrachten. In dieser Zeit hatte der Soldat zeitig die Information erhalten, dass er in den Auslandseinsatz geht. Dementsprechend ist er vorbereitet worden – in militärischer und privater Hinsicht. Das Testament konnte geschrieben, die Finanzen geregelt werden. Nun ist es ein Stück weit anders: Aufgrund der latenten Bedrohung haben wir eine permanente Einsatzbereitschaft. Wir müssen immer bereit sein!
„Wir sind nur eines von vielen Werkzeugen der Politik“
Das heißt für uns Soldaten, dass wir von Vorneherein unsere Angelegenheiten Zuhause geklärt haben müssen. Zudem müssen wir innerhalb des Verbandes vorbereitet sein – die Zeit dafür ist deutlich weniger als bei den internationalen Kriseneinsätzen vor einigen Jahren. Es ist nun eben Voraussetzung, dass sich der Ausbildungsstand der Truppe jederzeit auf einem einsatzbereiten Niveau befindet. Zusammengefasst: Das Handwerkszeug, das wir täglich trainieren, ist dasselbe geblieben. Die Rahmenbedingungen haben sich jedoch verändert.

Wie nimmt der normale Soldat das Ganze auf? Ist der Mensch dahinter in ständiger Alarmbereitschaft?
Sean Papendorf: Das normale Leben geht jederzeit weiter, wir sind gelassen. Natürlich müssen wir aber auch Vorkehrungen treffen: Gerade die jungen Soldaten müssen frühzeitig abgeholt werden. Aber es ist nicht so, dass jeder Soldat mit 120er Puls und total angespannt jeden Morgen zum Dienst antritt. Wir wissen ja alle, dass es im Rahmen einer Eskalationsleiter gewisse Vorwarnstufen gibt. Wir sind ja nur eines von vielen Werkzeugen der Politik. Tritt der Extremfall ein, dann wird bei jedem Soldaten – auch bei Dan und mir – die Anspannung steigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir verlegen, wird dann nämlich von Tag zu Tag größer.
Worte, die im Gegensatz zu von vielen Medien und auch Bundeswehr-Führungskräften verbreiteten Szenarien stehen.
Sean Papendorf: Eine gewisse Bedrohung ist nicht von der Hand zu weisen.
Dan Tomuzia: Es ist nicht die Absicht unserer Führungskräfte, Angst zu verbreiten. Meiner Ansicht nach werden gewisse Aussagen in jeder Region anders wahrgenommen. In Niederbayern und der Oberpfalz wird das Militär anders betrachtet. Das heißt, die Bevölkerung hier setzt sich mit der Thematik Verteidigung/militärische Maßnahmen intensiver auseinander wie beispielsweise im Norden, wo ich die vergangenen 20 Jahre gedient habe. Klar ist aber auch: Wird das Militär eingesetzt, haben wir bereits einige diplomatische Schwellen überschritten. Und dann kommt es auch auf die Zivilbevölkerung an…
„Was macht man, wenn dauerhaft der Strom weg ist?“
Inwiefern?
Dan Tomuzia: Die zentrale Frage lautet: Wie agiert die Bevölkerung, wenn das, was für uns Standard geworden ist – nämlich Frieden -, nicht mehr gegeben ist? Sind wir darauf vorbereitet? Manchmal ist es einfacher, mit sehr extremen Beispielen dem ein oder anderen klar zu machen, dass eben nicht alles normal ist, was wir haben. Was macht man, wenn plötzlich und dauerhaft der Strom weg ist? Die Generation, die den Kalten Krieg erlebt hat, hat sich mit diesen Fragen bereits beschäftigt. Die Jüngeren noch nicht. Meine Mutter hat heute noch Zucker und Mehl zuhause vorrätig. Vielleicht sollte das ein oder andere Mitglied der jüngeren Gesellschaft sie sich zum Vorbild nehmen.

Sean Papendorf: Es ist auch Aufgabe unserer Inspekteure, ehrlich zu kommunizieren, welchen Bedrohungen Europa gegenüber steht. Kommen wir zum Einsatz, verteidigen wir nicht nur unser Land oder Bündnis, sondern auch die Zivilbevölkerung. Das sind gesamtstaatliche Aufgaben! Meine persönliche Meinung lautet: Wir sollten uns ein Stück weit mehr bewusst werden, was eintreten könnte. Dass das bei dem ein oder anderen Unbehagen und Angst hervorruft, ist damit vergleichbar, dass ich bei mir in der Wohnung Rauchmelder installiere. Dann fragt meine Frau auch: Gehst du davon aus, dass das Haus abbrennt?
Dan Tomuzia: Die Bundeswehr ist wie eine gute Hausratversicherung. Deckt mir der Sturm das Dach ab, brauche ich nur noch den Handwerker anrufen. Nehme ich nur das Basispaket, bekomme ich vielleicht nur die Ziegel.
Immer wieder ist die Rede davon, dass das deutsche Militär „kriegstüchtig“ gemacht werden muss. Das bedeutet ihren Ausführungen zufolge aber nicht – wie vielleicht der Normalbürger nun denken könnte – , dass die Bundeswehr bis dato nicht kriegstüchtig war.
Dan Tomuzia: Nein. Nur der Fokus hat sich, wie erklärt, verändert. Wir haben unseren Auftrag, die Landes- und Bündnisverteidigung, nur klarer formuliert bekommen.
Sind die Regener und Freyunger Soldaten – Stand heute – zu 100 Prozent „kriegstüchtig“?
Sean Papendorf: (mit Nachdruck) Ja (Dan Tomuzia bestätigt ihn kopfnickend). Wir haben auch bei den internationalen Kriseneinsätzen gekämpft. Die Aufgaben und Bedrohungen sind nur näher gekommen. Folglich sind die Ausmaße der Übungen etwas größer, weil wir nun – im Ernstfall – alle gefordert sind. Das war die Jahre zuvor nicht so: In Afghanistan, Mali oder Kosovo waren Kontingente im Einsatz.
Das Gespräch führte: Helmut Weigerstorfer
Im zweiten Teil (bei Klick) sprechen die Bayerwald-Kommandeure über die besondere Beziehung zwischen Militär und Bevölkerung im Bayerischen Wald und den generellen Stellenwert der Bundeswehr. Weitere Themen: Der verstärkte Fokus auf die NATO-Ostflanke sowie der größere finanzielle Rahmen für die Verteidigung.