Wetter und Klima sind ein großes Thema geworden, da die Industrialisierung weltweit einen Anstieg der Durchschnittstemperatur verursacht hat. Für 2025 werden 1,4 Grad erwartet. Die Folgen sind sichtbar und spürbar: ein großes Sterben der Arten und Biotope, wärmere und steigende Ozeane, wachsende Dürren und Brände, verheerende Orkane und Fluten und vieles mehr.
Frau Holle ist hierzulande die Märchen- und Sagengestalt, die als einstige Muttergöttin die Natur verkörpert und das Wetter hervorbringt. Foto: pixabay/ Couleur
Wer ist angesichts der Dimension der Ereignisse und unserer Machtlosigkeit da nicht geneigt, in Resignation zu verfallen? Viele verdrängen das Thema, können oder wollen es nicht mehr hören. Radikale Aktivisten helfen dem Klima und unserem Zusammenleben aber genauso wenig wie Gleichgültigkeit oder Leugnung der bedrohlichen Entwicklungen.
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Wagen wir einen Blick in die Zeiten, in denen scheinbar noch alles in Ordnung war, in denen die Menschen aber aufgrund ihrer Möglichkeiten genauso mit Wetterausschlägen und Klimaveränderungen zu kämpfen hatten: Die Winter waren für damalige Verhältnisse hierzulande hart – und man tat und betete das Jahr über viel, um eine ordentliche Ernte einfahren zu können. Entscheidend war und ist, dass die Natur einigermaßen im Gleichgewicht bleibt. Dazu kann auch der Mensch ein wenig beitragen. Er kann es im Guten wie im Schlechten. Ein Beitrag von Dr. Jürgen Wagner über Menschheitserfahrungen im Umgang mit Wetter und Klima aus Märchen und Sagen.
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Zwar naive Sprache im Märchen – aber naiv sind sie nicht
Frau Holle ist hierzulande die Märchen- und Sagengestalt, die als einstige Muttergöttin die Natur verkörpert und das Wetter hervorbringt. Sie macht das ohne den Menschen – und mit ihm. Im Bild gesprochen: Der Mensch darf im Erdenhaus mit wirtschaften und es in Ordnung halten. Das bringt ihm selbst reichen Lohn – und der Erde die Winterruhe unter dem Schnee und den Gang der Jahreszeiten. Haben wir Menschen jedoch eigensüchtige Pläne, eine träge Grundhaltung und wenig Durchhaltevermögen, dann wird da nicht nur wenig dabei heraus-kommen – es kann sogar sein, dass Habgier und Bequemlichkeit einen Kessel von Pech heraufbeschwören. Die Natur macht schon das ihre – kann man aus dem Märchen herauslesen – und der Mensch soll das Seine tun.
Wir Menschen müssen, wie alle anderen Wesen auch, damit klarkommen. Illustration: Curt Liebich (1925)
Das Wetter spielt nur in einigen Märchen eine explizite Rolle, aber gerade in diesen verbergen sich die Erfahrungen, die frühere Generationen mit klimatischen Herausforderungen machten. Sie waren den Härten der Natur ja noch viel mehr ausgesetzt als wir heute. Deshalb können wir etwas von ihnen lernen.
Wetterphänomene sind ambivalent – und so sind es auch die Figuren, die sie im Märchen repräsentieren. Die „Sonnenmutter“ ist gütig, kann aber auch „gar zu heiß“ und sogar tödlich werden für die Kleinen und Schwachen. Die Erde bekommt den lebensspendenden Regen, aber wird immer wieder auch verheerend geflutet. Die Schneefrau ist schön – und man kann in ihrer Kälte erfrieren . Der Wind, das „himmlische Kind“, ist so spielerisch wie unberechenbar. Wir Menschen müssen, wie alle anderen Wesen auch, damit klarkommen.
Und je weiter die Entwicklung heute voranschreitet, desto wichtiger wird es werden, dass wir uns anpassen und das erkennen, was uns vom Segen der Natur trennt: unser eigensüchtiger und ewig neugieriger Fortschrittswahn, unsere zivilisatorische Bequemlichkeit, unser überzogenes Anspruchsdenken, unsere Überheblichkeit und Ignoranz gegenüber den anderen Wesen und anderes mehr. Die Märchen sprechen eine naive Sprache, aber sie sind nicht naiv. Sie legen, wie z.B. die Geschichte „Vom Fischer und seiner Frau“ den Finger präzise auf die richtige Stelle: Das immer mehr Haben-wollen und nie zufrieden sein mit dem, was man hat.
Meine Frau, die Ilsebill…
Was den Menschen erwartet, der Gott spielen will, sagt das Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ sehr eindringlich:
Die Volksmärchen erzählen, wie man mit dem Wetter umgehen und wie man auch persönlich für sich seine Lehren daraus ziehen kann. Illustration: Wuanita Smith (1992)
„Gleich geh hin, ich will werden wie der liebe Gott.“ – „Ach Frau,“ sagte der Mann und fiel vor ihr auf die Knie, „das kann der Butt nicht. Kaiser und Papst kann er machen; – ich bitte dich, geh in dich und bleibe Papst.“ Da überkam sie die Bosheit, die Haare flogen ihr so wild um den Kopf und sie schrie: „Ich halte das nicht aus! Und ich halte das nicht länger aus! Willst du hingehen?!“ Da zog er sich die Hose an und lief davon wie unsinnig.
Draußen aber ging der Sturm und brauste, dass er kaum auf den Füßen stehen konnte. Die Häuser und die Bäume wurden umgeweht, und die Berge bebten, und die Felsenstücke rollten in die See, und der Himmel war ganz pechschwarz, und es donnerte und blitzte, und die See ging in so hohen schwarzen Wogen wie Kirchtürme und Berge, und hatten oben alle eine weiße Schaumkrone auf. Da schrie er, und konnte sein eigenes Wort nicht hören:
„Männlein, Männlein, Timpe Te, Buttje, Buttje in der See, Meine Frau, die Ilsebill, Will nicht so, wie ich wohl will.“
„Na, was will sie denn?“ sagte der Butt. „Ach,“ sagte er, „sie will werden wie der liebe Gott.“ – „Geh nur hin, sie sitzt schon wieder in der Fischerhütte.“
Da sitzen sie noch bis auf den heutigen Tag.
Die Volksmärchen erzählen, wie man mit dem Wetter umgehen und wie man auch persönlich für sich seine Lehren daraus ziehen kann. Wer die zwölf Monate, die durch junge Männer dargestellt werden, lieben und annehmen kann, der wird von ihnen beschenkt (Die zwölf Monate). Wer sich nur aufregt über das, was ein Monat nicht bietet, wird dagegen verlieren. Wer den Wilden Jäger respektiert und ihm standhält, hat vor den Winterstürmen nichts zu befürchten. Wer den Weg zur Regentrude kennt oder wie die Gänsemagd ein magisches Naturkind ist und sie mit den rechten Worten anruft, kann auch mal magische Erfahrungen machen.
Die Menschen hielten das Wetter für Gotteswerk
Die Volksmärchen sind zeitgebunden, aber ihre Botschaften sind fast zeitlos. Sie stehen dafür ein, dass wir nicht ohnmächtig den Ereignissen ausgeliefert sind, sondern dass, wenn die Zeit gekommen ist, man aufbricht und seinen Weg geht – wenn es sein muss, bis ans Ende der Welt. Und wenn man bis an die Grenzen seiner Welt gegangen ist und unterwegs freundlich war und die Hilfe angenommen hat, die einem immer wieder zuteil wird, dann kann auch mal etwas Außerordentliches gelingen.
Wer den Weg zur Regentrude kennt oder wie die Gänsemagd ein magisches Naturkind ist und sie mit den rechten Worten anruft, kann auch mal magische Erfahrungen machen. Illustration: Heinrich Lefler
Da die Menschen früher die Zusammenhänge nicht kannten und das Wetter ihnen vom Himmel immer neu und überraschend beschert wurde, hielten sie es für ein Werk der Götter.
Du hüllst dich in Licht wie in einen Mantel, du spannst den Himmel aus gleich einem Zelt. Du verankerst die Balken deiner Wohnung im Wasser. Du nimmst dir die Wolken zum Wagen, du fährst einher auf den Flügeln des Windes. Du machst die Winde zu deinen Boten, zu deinen Dienern Feuer und Flamme (Psalm 104/2-4).
Du suchst das Land heim und wässerst es und machst es sehr reich. Du lässt ihr Getreide wohl geraten; denn also baust du das Land (Psalm 65/5).
So hatten sie wenigstens eine Erklärung. Wenn Katastrophen hereinbrachen, zürnte die Gottheit. Schon im alten Testament wurde die „Sintflut“ als Strafe Gottes gedeutet für das verdorbene Menschengeschlecht (1. Mose 6-9) und eine lange Dürre war der göttliche Zorn über Kulte für andere Gottheiten im Land, die erst der Prophet Elia beenden konnte (1. Könige 17).
Und es sprach Elia, der Thisbiter zu König Ahab: So wahr Jahwe, der Gott Israels, lebt, vor dem ich stehe, es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich sage es denn (1. Könige 17/1).
Wenn es aber gutes Wetter gab, war die Gottheit einem gewogen.
Werdet ihr in meinen Satzungen wandeln und meine Gebote halten und tun, so will ich euch Regen geben zu seiner Zeit, und das Land soll sein Gewächs geben und die Bäume auf dem Felde ihre Früchte bringen, und die Dreschzeit soll reichen bis zur Weinernte, und die Weinernte bis zur Zeit der Saat; und sollt Brots die Fülle haben und sollt sicher in eurem Lande wohnen. (3. Mose 26/3-5).
Das Ungreifbare und Übermächtige
In Europa war es eine andere, mächtige Gottheit, die für Wetter und Gewitter, für Regen und Fruchtbarkeit stand: THOR/DONAR. Warf er seinen Hammer, so blitzte es am Himmel – und der Hammer kehrte wie ein Bumerang von selbst wieder zu ihm zurück. Zog er mit seinem Streitwagen, von Ziegen gezogen, über den Himmel, dann donnerte es. Deshalb nannte man ihn auch Donar, der Donnerer. Sein Hammer hieß Mjölnir, der ‚Zermalmer‘: Wo dieser Gott zuschlug, war das Problem nicht länger existent.
Dr. Jürgen Wagner, der Autor dieser Zeilen, hat ein Buch mit dem Titel „Erdbeeren im Winter“ geschrieben.
Doch Thor selbst war eine gütige Gestalt, die nicht unbedingt für Intelligenz, aber für Stärke und Kraft stand, der für Ordnung sorgte und für Fruchtbarkeit. Die Kräfte, welche die Ordnung ständig bedrohten, die wilden Naturgewalten, die ‚Riesen‘, waren seine Widersacher. Menschen, die seinen Hammer bei sich trug, standen unter seinem Schutz. Wenn nötig, zeigte er jedem, wo ‚der Hammer hängt‘.
Märchen und Sagen personalisieren das Ungreifbare und Übermächtige und machen es so erst mal verstehbar. Darüber hinaus bleiben einem wenigstens kleine Möglichkeiten: Götter kann man anrufen, Märchenhelden besiegen mit ihrer List selbst Riesen und machen Mut, sich auch bei den eigenen Riesenaufgaben sich was einfallen zu lassen oder nicht in Passivität oder Resignation zu verharren. Darüber hinaus stärken sie auch unser Vertrauen in die Weltordnung: Wenn Nebelschwaden um das Meißner-Massiv ziehen, hieß es:
Frau Holle feuert ihren Ofen an und kocht. Färbt sich der Himmel über dem Meißner rot, ist Frau Holle am Backen; schneit es, schüttelt sie ihre Betten aus und es fliegen die Federn. Sie ist sehr ordentlich und hält auf guten Haushalt. So hat doch alles seine gute Ordnung, auch wenn sie uns manchmal chaotisch und bedrohlich erscheint.
Dr. Jürgen Wagner
–> Literaturempfehlung: Jürgen Wagner, „Erdbeeren im Winter„, Epubli Berlin 2021
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