Regensburg. Männer im fortgeschritten Alter sind für ihn besonders anfällig: den Herzinfarkt. Er kann jederzeit eintreten, typischerweise dann, wenn der Herzmuskel plötzlich nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Dies geschieht meist durch den Verschluss einer Herzkranzarterie infolge einer Gefäßverkalkung oder einem Blutgerinnsel. Ein Herzinfarkt ist lebensbedrohlich und kann schnell zu irreversiblen Schäden oder zum Tod führen. Auch Frauen sind gefährdet.

Frauen haben höhere Sterblichkeit nach Herzinfarkt
Wie unterschiedlich sich Risiken und Symptome bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen für beide Geschlechter erweisen, darüber berichtet Kardiologin und Gendermedizinerin Prof. Andrea Bäßler, Leiterin der Kardiologischen Ambulanz am Universitätsklinikum Regensburg, im folgenden Interview.
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Frau Prof. Bäßler, wie häufig sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen hierzulande?
Laut Daten des Robert Koch-Instituts liegt die Lebenszeitprävalenz bei Männern bei 9,2 Prozent und bei Frauen bei 6,5 Prozent. Die Hospitalisierungsrate für akute Herzinfarkte liegt bei Männern bei 365,2 pro 100.000 Einwohner, während sie bei Frauen bei 185,8 pro 100.000 Einwohner liegt. Tatsächlich erleiden Männer ungefähr doppelt so häufig einen Herzinfarkt wie Frauen, jedoch haben Frauen oft eine schlechtere Prognose und eine höhere Sterblichkeit nach Herzinfarkt. Studien zeigen, dass Frauen insbesondere im ersten Jahr nach einem Herzinfarkt ein um 1,5-fach höheres Sterberisiko haben als Männer.

In den vergangenen Jahren entfielen rund 34 Prozent aller Todesfälle auf kardiovaskuläre Erkrankungen. Zusammenfassend erkranken Männer häufiger an koronaren Herzerkrankungen und erleiden öfter Herzinfarkte, während Frauen nach einem Herzinfarkt eine höhere Sterblichkeit aufweisen.
Woran liegt es, dass Frauen öfter an Herzinfarkten versterben, als Männer?
Dafür kommen unterschiedliche Faktoren in Betracht. Frauen haben insgesamt eine höhere Lebenserwartung und erleiden einen Herzinfarkt im Durchschnitt sieben bis zehn Jahre später als Männer. Nach der Menopause steigt ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich an – und zum Zeitpunkt der Diagnose weisen sie häufig mehr Begleiterkrankungen auf, wie zum Beispiel Bluthochdruck, Diabetes, chronische Nierenerkrankungen oder Depression. Zudem äußert sich ein Herzinfarkt bei Frauen oft durch unspezifische Symptome, was die Diagnose erschwert und zu Verzögerungen in der Behandlung führen kann. Diese Faktoren tragen zu einer erhöhten Komplikationsrate und einer höheren Sterblichkeit bei Frauen im Vergleich zu Männern bei.
Frauen in den wichtigsten Studien unterrepäsentiert
Werden Frauen bisher zu wenig berücksichtigt?
Frauen sind aus vielschichtigen Gründen in den wichtigsten Herz-Kreislauf-Studien, auf die sich Therapieempfehlungen beziehen, bisher nur zu rund 25 bis 30 Prozent vertreten. Dadurch wurden möglicherweise wesentliche Unterschiede lange Zeit übersehen. In der aktuellen Veröffentlichung unterstreichen die Autoren die Notwendigkeit weiterer Forschungsanstrengungen. Dazu gehört unter anderem auch, zukünftig eine ausreichende Anzahl weiblicher Probanden in Studien mit einzuschließen, aber auch entsprechende Fort- und Weiterbildungsangebote sowie geschlechterspezifische Anpassungen in der Lehre.
Was ist bisher bekannt?

Kardiovaskuläre Erkrankungen unterscheiden sich bei Männern und Frauen nicht nur im Hinblick auf das Alter bei Erstmanifestation und die Begleiterkrankungen, sondern auch in der Relevanz der traditionellen Risikofaktoren und dem Vorkommen geschlechterspezifischer Risikofaktoren in den verschiedenen Lebensphasen. Hier spielen zum Beispiel die Wechseljahre aufgrund der Hormonumstellungen eine entscheidende Rolle. Auch können Männer und Frauen Medikamente unterschiedlich metabolisieren, was sich auf deren Wirksamkeit, Nebenwirkungen und die langfristige Therapietreue auswirken kann. Es ist wichtig, diese Faktoren im klinischen Alltag zu berücksichtigen.
Wie unterscheiden sich Symptome etwa beim Herzinfarkt?
Als „typische“ Symptome eines Herzinfarkts gelten Brustschmerz mit Ausstrahlung in den linken Arm. Im Unterschied zu Männern klagen Frauen dagegen häufig über Kurzatmigkeit, Leistungsschwäche und anhaltende Müdigkeit, Übelkeit und Schmerzen im Oberbauch oder im Schulter-, Nacken- oder Rückenbereich. Deswegen wird zum Beispiel gemäß der aktuellen ESC-Leitlinie 2024 zum „Management des Chronischen Koronarsyndrom“ nicht mehr die Verwendung der Begriffe „typische“ oder „atypische“ Beschwerden empfohlen, sondern eine genaue Beschreibung anhand von Schmerz-Charakteristika wie Lokalisation, Ausdehnung, Dauer, Trigger und Schmerzbesserung zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Koronarsyndroms gefordert.
„Rauchen ist für Frauen noch riskanter als für Männer“
Wie unterscheiden sich die Risikofaktoren zwischen Frauen und Männern?
Dies lässt sich am Beispiel des Risikofaktors „Rauchen“ ganz anschaulich erklären: Rauchen ist für Frauen bezüglich Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch riskanter als für Männer und ähnlich sieht es beim Diabetes oder Bluthochdruck aus. Nikotinkonsum steigert bei Männern das Risiko für einen Herzinfarkt im Vergleich zu Nichtrauchenden durchschnittlich um den Faktor 1,43. Bei Frauen erhöht sich das Risiko dagegen um den Faktor 2,24. Besonders relevant und mit noch stärkerer Risikoerhöhung verbunden ist dies bei jüngeren Frauen. Außerdem vermindert Nikotin die Aktivität der Geschlechtshormone Östrogen und Prolaktin, was eine vorzeitige Menopause begünstigen kann, die an sich schon mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert ist. Unabhängig davon beobachten wir generell mit Übergang in die Menopause einen Anstieg des kardiovaskulären Risikos.
Inwieweit spielt das Geschlecht für die Therapie eine Rolle?

Es gibt deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern dahingehend, wie sie Medikamente verstoffwechseln und abbauen. Das hängt mit Unterschieden in der Enzymaktivität, der Körperzusammensetzung, der Fettverteilung und der Dauer der Magen-Darm-Passage zusammen. In Abhängigkeit dieser Faktoren können Frauen nach der Einnahme von Medikamenten länger höhere Blutspiegel der Wirkstoffe aufweisen, sodass es bei ihnen häufiger zu Nebenwirkungen kommen kann. Beispielsweise leiden Frauen bei der Behandlung von zu hohen Cholesterinspiegeln mit Cholesterinsenkenden Medikamenten, den Statinen, häufiger als Männer unter Muskelbeschwerden. Bei der Blutdrucksenkung durch Kalziumantagonisten treten bei Frauen eher Wassereinlagerungen auf. Hier fehlen geschlechterabhängige Medikamentenstudien, um optimale Dosierungsempfehlungen für beide Geschlechter in den Leitlinien festlegen zu können.
Inwieweit beeinflusst dieses Wissen Ihren Umgang mit Patientinnen?
Ich tendiere dazu, bei Patientinnen Medikamente eher mit niedrigerer Dosis zu beginnen und dann vorsichtig und stufenweise die Dosis zu steigern. Das ist ein intuitives Verhalten, welches aus der Erfahrung heraus entstanden ist, dass Frauen häufiger Nebenwirkungen beklagen als Männer und das ich auch bei Kolleginnen und Kollegen in Klinik und Praxis beobachte.
„Es bleibt noch viel zu tun“
Was lautet ihr Fazit?
Das Bewusstsein für geschlechterspezifische Aspekte in den Kliniken und bei den niedergelassenen Ärzten hat in den vergangenen Jahren auf jeden Fall deutlich zugenommen, aber es bleibt noch viel zu tun. Vor allem, was geschlechterspezifische Forschung und den Transfer in die Praxis angeht. Insgesamt benötigen wir eine bessere Datenlage mit Studien, in denen Frauen adäquat repräsentiert sind.
Nur so können bisher noch nicht erkannte Unterschiede detektiert und die Leitlinien und damit auch die Therapieempfehlungen für beide Geschlechter entsprechend optimiert werden. Auch eine gezielte Aus-, Fort- und Weiterbildung hinsichtlich geschlechterspezifischer Lehrinhalte im Studium, der Facharztqualifikation, in der Pflege und der Wissenschaft kann zur Verbesserung der Versorgungsstruktur beitragen.
da Hog’n/obx-news.de