Regensburg. Meinungsmacher mit dunkler Vergangenheit.“ Die mittlerweile mit dem Nachwuchsförderpreis des Vereins für Ostbairische Heimatforschung ausgezeichnete und in Buchform erschienene Dissertation des Historikers Dr. Michael Hellstern zeichnet die Geschichten der Gründungen und die Entwicklungen der Mittelbayerischen Zeitung (MZ) und der Passauer Neuen Presse (PNP) detailliert und gekonnt nach.

Hellsterns Arbeit bereichert die jeweiligen Lokalgeschichten und Forschungsstände immens.

Sie belegt viele bislang nur teils, oder von SPIEGEL-Berichten bekannte Details mit neuen Quellen, bringt eine Vielzahl von überraschenden Erkenntnissen, arbeitet bizarre Zusammenhängen heraus und bringt Skandalöses mit Belegen ans Tageslicht – etwa die Absetzung eines Lizenzinhabers (Karl Debus) wegen sexueller Übergriffe am Arbeitsplatz. 

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Nachdem in unserem ersten Teil „Die PNP unter Kapfinger: Bedenkliche Artikel im NS-Jargon das Schaffen und Wirken des PNP-Gründers Hans Kapfinger anhand der Forschungsergebnisse von Michael Hellsterns Arbeit genauer analysiert und beleuchtet wurde, geht es im nun folgenden zweiten Teil um den Werdegang von MZ-Gründer Karl Friedrich Esser.

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Keine Erinnerung an schmeichelhafte Kapfinger-Würdigung

… (Fortsetzung von Teil 1) wie kam es zu der schmeichelhaften Würdigung der Kapfingers durch den Bayerischen Rundfunk? Auf Nachfrage erklärt Astrid Freudenstein, die 2026 als CSU-Kandidatin in der Regensburger Oberbürgermeisterwahl antritt, gegenüber regensburg-digital.de: „Ich kann mich lediglich daran erinnern, dass ich damals auf Wunsch meines damaligen und inzwischen verstorbenen Chefs, Kurt Hogl, ein Stück über die Familie [Kapfinger] für den Hörfunk produziert habe“. An die Inhalte habe sie aber keine Erinnerung.

Da sie, Freudenstein, das Thema Kapfinger „weder privat noch beruflich jemals wieder betroffen“ habe, bittet sie „um Verständnis“, dass sie „nicht mehr dazu sagen“ könne. Den Beruf als Journalistin übe sie seit 15 Jahren nicht mehr aus, die Arbeit Hellsterns kenne sie nicht. Freudensteins Antwort steht exemplarisch für die unreflektierte Traditionspflege zugunsten eines selbsternannten NS-Gegners, der in Wahrheit vom NS-Regime vielfach profitierte – beruflich und persönlich.

Karl Esser saß als SPD-Politiker im KZ

Als Hans Kapfinger Anfang März 1933 im Straubinger Tagblatt die Verschleppung von Sozialdemokraten ins Dachauer Konzentrationslager begrüßte, befand sich auch der Regensburger SPD-Stadtrat Karl Friedrich Esser unter den Gefangenen. Er sollte nach dem Krieg Lizenznehmer für die Mittelbayerische Zeitung (MZ) werden.

Geboren wurde Esser am 25. Februar 1880 im pfälzischen Landau. Als bayerischer Finanzbeamter kam er nach Regensburg, wo er von 1910 bis 1934 als Administrator der Dörnbergschen Waisenfonds-Stiftung wirkte und für die SPD diverse Funktionen und Ämter übernahm.

„Obwohl er kein ausgebildeter Journalist war“, habe Esser parallel journalistische Erfahrungen gesammelt und über 500 Artikel für die sozialdemokratischen Zeitungen „Volkswacht für Oberpfalz und Niederbayern“ und die „Neue Donaupost“ geschrieben, erklärt Michael Hellstern. Wegen anhaltender Verfolgung durch Regensburger Nazis zog Esser mit seiner Familie im Jahre 1934 nach München, wo er bis 1944 als Steuerfachmann arbeitete.

Erneute Verhaftung 1944

Wohl aus Selbstschutz und um „seine Familie vor den Nachstellungen der Gestapo zu schützen“, so Hellsterns Interpretation, trat er aus der SPD aus und in diverse NS-Organisationen ein. Die sog. OMGUS-Akten im Bayerischen Hauptstaatsarchiv belegen, dass Esser „zwischen 1936 und 1939 der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und darüber hinaus der NS-Volkswohlfahrt (NSV) und dem NS-Rechtswahrerbund(NSRB), der Berufsorganisation der Juristen in NS-Deutschland, beigetreten war“. Zwischen 1937 und 1939 „war Esser zudem Blockwart und Zugführer des Reichsluftschutzbundes“.

Für seine 2021 an der LMU München eingereichte Dissertation wurde Dr. Michael Hellstern am 14. Mai der Nachwuchsförderpreis des Vereins für Ostbairische Heimatforschung an der Uni Passau verliehen. Foto: privat

Eine weitere Verhaftung im Zuge des gescheiterten Anschlags vom 20. Juli 1944, so wie dortige Misshandlungen und die insgesamt „über neunmonatige KZ-Haft“ konnte Esser dadurch aber nicht verhindern.

Nicht zuletzt wegen seiner Verfolgungsgeschichte wählten amerikanische Presseoffiziere im August 1945 aus insgesamt 93 Bewerbern Karl Friedrich Esser aus. Da die entstehende Zeitung anfangs „die kompletten Regierungsbezirke Oberpfalz und Niederbayern abdecken“ sollte, bekam sie die tatsächlich zu groß geratene Bezeichnung „Mittelbayerische Zeitung“.

In der stark katholisch geprägten Regensburger Gesellschaft gab es aber starke Vorbehalte gegen den SPD-Mann und Freimaurer Esser. Aus dieser schwierigen Situation heraus, dürften sich auch Essers Persilscheine für die Entnazifizierung des NS-Bürgermeisters Hans Herrmann und des NS-Kunst- und Kulturfunktionärs Walter Boll erklären. Der Zeitungsmacher Esser war in der klerikal geprägten Domstadt auf Verbündete in der Stadtverwaltung angewiesen und wollte Herrmann und Boll dort wieder in Amt und Würden sehen.

Die Rollen Josef Hämmerles und Bischof Buchbergers

Für die seit Oktober 1945 erscheinende Mittelbayerische Zeitung holte der Lizenzinhaber Karl Esser einen Freund als Schriftleiter in die erste Redaktion: Josef Hämmerle. Hämmerle (geboren 1897 in Tübingen) war bis 1931 politischer Redakteur der Zentrumspartei und wechselte 1932 in die Redaktion des Regensburger Sonntagsblatt, das im Jahr 1938 in „Bistumsblatt“ unbenannt wurde.

Der einstige Regensburger Bischof Michael Buchberger. Foto: gemeinfrei

Darin unterstützte er in Abstimmung und im Wechsel mit Bischof Michael Buchberger die Kriege und Hetze des NS-Regimes – freilich im Ansinnen, die Belange der Katholischen Kirche zu verteidigen und im Glauben, dadurch ihre Eigenständigkeit sichern zu können. Laut Historiker Michael Hellstern verschwieg Esser die NS-Belastung Hämmerles aber gegenüber der amerikanischen Militärbehörde.

Essers Gegenspieler und Mitglied der MZ-Gründungsredaktion Karl Debus (NSDAP-Mitglied von 1920 bis 1922, danach BVP und CSU) steckte der Militärregierung 1946 Hämmerles fortgesetzte Redakteurstätigkeit im ‚Dritten Reich‘ und seine Unterstützung des NS-Regimes im Bistumsblatt. Daraufhin wurde Hämmerle 1946 durch „das Office of Military Government for Bavaria (OMGBY) wegen pronationalistischer Berichterstattung angeklagt“ und in der Folge auf Anweisung der Militärregierung von der MZ-Redaktion ausgeschlossen.

Ungebrochene Verbindung zum hetzenden Bischof

Als Autor durfte Hämmerle laut Hellstern aber dennoch weiter für die Mittelbayerische Zeitung schreiben „und nach neun Monaten auch wieder als Schriftleiter tätig werden“. Alle Seiten hielten sich in der Causa Hämmerle bedeckt, in der MZ war darüber nichts zu lesen. Im Jahre 1958 stieg Hämmerle sogar zum stellvertretenden Chefredakteur der MZ auf. Seine ideologische und religiöse Verbindung zu Bischof Buchberger blieb laut Hellstern ungebrochen bestehen.

In einem Hämmerle-Artikel anlässlich einer Romreise im Jahr 1948 durfte Buchberger „das Narrativ der ‚sauberen Wehrmacht‘ verbreiten“. So behauptete der Regensburger Bischof, dass die römische Bevölkerung Deutschland angeblich dankbar sei, weil die Wehrmacht Rom nicht zerstört habe:

„Die Römer […] haben der deutschen Wehrmacht wegen ihrer Disziplin, Ordnung und Anständigkeit ein gutes Andenken bewahrt.“

Zudem, so Hellstern, „hetzte Buchberger im Text wie schon während der NS-Zeit gegen den Bolschewismus – nur eben diesmal in einer Lizenzzeitung“. Die Causa Hämmerle kann als beispielhaft für den dubiosen Umgang mit NS-belasteten Journalisten gelten.

Auszeichnung in Passau

Dass die Passauer Neue Presse die Mittelbayerische Zeitung im Herbst 2021 aufgekauft hat (oder: Letztere an die PNP verscherbelt wurde), passt gut ins Bild von existenziellen Kämpfen am Zeitungsmarkt. Und bestens zur fast schon legendären Expansionspolitik des PNP-Gründers Kapfinger, der stets eine monopolartige Vorherrschaft anstrebte.

Michael Hellstern brauchte sich damit nicht mehr auseinandersetzen, denn bereits im Juni 2021 hatte er seine Dissertation zu den Meinungsmachern mit dunkler Vergangenheit an der LMU in München eingereicht (bei PD Dr. Thomas Schlemmer und Prof. Andreas Wirsching, Institut für Zeitgeschichte, gefördert mit Promotionsstipendium der Hans-Böckler-Stiftung). Anlässlich der Verleihung des Nachwuchsförderpreises des Vereins für Ostbairische Heimatforschung stellte Hellstern seine Arbeit am 14. Mai an der Passauer Universität vor.

Robert Werner

Michael Hellstern: Meinungsmacher mit dunkler Vergangenheit. Die Heimatpresse in Bayern von 1945 bis 1962 am Beispiel der Passauer Neuen Presse und der Mittelbayerischen Zeitung. Pustet Verlag. 49 Euro.


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