Tansania/Mauth. „Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen.“ Ein bekanntes Sprichwort, das vor allem auch auf Ludwig „Lui“ Ratzesberger zutrifft. Denn der Naturliebhaber aus der Gemeinde Mauth-Finsterau hat etwas erlebt, was gewiss noch nicht vielen Bewohnern des Bayerischen Waldes zuteil geworden ist: die Besteigung des Kilimandscharo, des höchsten Bergs des afrikanischen Kontinents.

Im ersten Teil seines Erlebnisberichts hat er den Hog’n-Leserinnen und -Lesern von den Vorbereitungen im „Bayerwald-Trainingslager“, der Anreise nach Tansania und dem ersten Treffen mit seinen Mitstreitern erzählt. Im zweiten Teil schilderte er insbesondere die Strapazen der ersten Aufstiegsetappen mit teils dramatischen Situationen. Nun, im dritten und letzten Teil der Serie, beschreibt Ludwig Ratzesberger, der diese bemerkenswerte Tour vor rund zehn Jahren bewältigte, seine ganz persönliche Gipfel-Erfahrung, das Wiedersehen mit seinen Weggefährten und den bleibenden Eindruck einer Reise, an die er sich bis heute erinnert.
Kleine Lichtpunkte, aber keine Sterne
Die vergangenen Stunden waren überaus aufregend – für meine Mitstreiter genauso wie für mich selbst. Was zur Folge hatte, dass ich während der vergangenen Stunden aufgrund der berichteten Ereignisse kein Auge zugemacht habe. Doch ich hätte schlafen sollen, um mich für den Aufstieg zum Gipfel vorzubereiten, um dafür Kraft zu tanken. Denn das wären dann – vom Aufstieg von der „Kibo Hut“ bis zum „Uhuru Peak“ und wieder zurück zur „Kibo Hut“ – 29 Stunden ohne Schlaf…
Nichtsdestotrotz bin ich mit meinem Guide namens Kundael um 1 Uhr nachts aufgebrochen, um den Gipfel zu besteigen. Man geht deshalb des nächtens los, weil es da gefriert und man die ersten zwei Stunden nur über Geröll marschiert, das – wenn es nicht gefroren hätte – unmöglich zu passieren wäre. Eine Erkenntnis, die mir vor allem beim späteren Abstieg überaus bewusst geworden ist…
Jedenfalls: Die ersten zwei Stunden des Aufstiegs in stockfinsterer Nacht (und deshalb mit Stirnlampe „bewaffnet“) ging es sehr steil nach oben. Als ich den Blick empor wandte und kleine Lichtpunkte schimmern sah, dachte ich zunächst, es handele sich um Sterne. Doch das waren nur die anderen Gipfelstürmer, die sich ebenfalls aufgemacht hatten – derart steil war das Gelände…
„Übergib dich – und dann geht’s weiter!“
Bis in eine Höhe von rund 5.200 bis 5.300 Höhenmeter hatte ich keinerlei Probleme. Doch dann ging es auch bei mir mit der Höhenkrankheit los: Kopfschmerzen und starke Übelkeit waren die ersten Symptome. Ich sagte zu Kundael, dass mir schlecht sei und ich mich übergeben müsste. Woraufhin er lediglich meinte: „Kein Problem, übergib dich – und dann geht’s weiter!“

Meine Trinkblase im Rucksack zollte der Höhe ebenfalls ihren Tribut – das Wasser darin war eingefroren. Von diesem Zeitpunkt an habe ich mich absolut in Kundaels Hände begeben – und nur noch gehofft, dass er weiß, was er tut. Und was er mir zutrauen kann. Brechen musste ich auf dem Weg nach oben am Ende doch nicht. Im frischen Schnee waren allerdings so einige „Hinweise“ vom Vortag zu sehen…
In puncto Kälte-Resistenz war ich eigentlich davon überzeugt, gute Fingerhandschuhe eingepackt zu haben – doch mir wären zwischenzeitlich fast die Finger abgefroren. Rückblickend würde ich jedem dazu raten, unbedingt Fäustlinge, die Temperaturen von bis zu minus 20 Grad abkönnen, mitzunehmen. Gott sei Dank gab mir ein Freund den Tipp mit den Handwärmern. Diese erwärmen sich, wenn man sie knickt und die darin befindliche Flüssigkeit sich vermischt. Eine wahrlich erlösende Wirkung, wie ich feststellen durfte…
Weinkrampf auf dem Gipfel
Als wir die steile Passage gemeistert hatten, dauerte es noch eine gefühlte Ewigkeit bis zum Gipfel, den wir über ein langgezogenes Hoch-Plateau mit dem „Vor-Gipfel“ namens „Gilman’s Point“ (5.756 Höhenmeter, dieser würde auch schon als Besteigung gelten) erreichen sollten. Jedenfalls: Der Ausblick von hier oben war das bis dato Beeindruckendste, was ich je in meinem Leben gesehen habe. Ein unbeschreiblicher Sonnenaufgang, dessen Schönheit man nicht in Worte fassen und nicht in Bildern festhalten kann.

Als wir schließlich am Gipfel angekommen sind, wurde ich von meinen Emotionen überwältigt und ich bekam einen ausgesprochenen Weinkrampf. Dabei fiel mir als Erstes meine Schwester ein. Und auch meine Mitstreiter, die leider aufgeben mussten und von denen ich nicht wusste, wie es ihnen weiter ergangen ist, schwirrten durch meine Gedanken.
Ich fühlte eine Mischung aus Demut, Dankbarkeit und auch ein wenig Stolz auf das, was ich mit meiner Erstbegehung erreicht hatte. Dankbarkeit empfand ich vor allem gegenüber meinem Guide Kundael, der, so glaube ich, genau wusste, dass ich dazu fähig sei, diesen Berg zu bezwingen.
Um 30 Stunden ohne Schlaf
Nach etwa 30 Minuten Gipfel-Aufenthalt machten wir uns zum Abstieg bereit – auch dies war nochmal ein echtes Erlebnis. Bei strahlendem Sonnenschein ging es den gleichen langen Weg auf dem Plateau zurück, vorbei an „Gilman’s Point“, um dann den immens steilen Abstieg erneut zu bewältigen. Ich verstand nun sehr gut, warum wir nachts aufgestiegen sind. Denn wir sind mit unseren Stöcken – ähnlich wie Skifahrer – auf dem Geröll, das nachts noch gefroren war, talwärts geglitten. Das machte viel Spaß – und wir kamen relativ zügig voran. Ein Aufstieg wäre um diese Tageszeit schier unmöglich gewesen.

Am späten Vormittag erreichten wir „Kibo Hut“ – und Kundael sagte, dass wir sogleich weiter müssten zur nächsten Hütte. Ich war jedoch mit meinen Kräften vorerst am Ende und teilte ihm mit, keinen weiteren Schritt mehr zu tun, bevor ich nicht mindestens eine Stunde geschlafen hätte. So begab ich mich in die Hütte, legte mich aufs Bett – und befand mich zehn Sekunden später im Tiefschlaf. Ich war zu diesem Zeitpunkt um die 30 Stunden wach gewesen…
Nach etwa eineinhalb Stunden ging es weiter abwärts zur „Horombo Hut“. Dort sah ich zum ersten Mal die Träger, die alles – von Nahrungsmitteln über Ausrüstungsgegenstände bis hin zur Gasflasche – hier tagtäglich hochschleppten. Ich wollte diesen Moment mit meiner Kamera, die ich seit Jahren benutzte, festhalten – doch ich wusste nicht mehr, wie man die Videofunktion aktiviert. Ein weiterer Beweis dafür, wie die Höhenluft den Kopf beeinflusst und verändert.
Wie es meinen Mitstreitern wohl ergangen ist?
Ich konnte nicht glauben, wie schnell die Zeit verflogen ist – und man sich in einer Hütte auf einem Bett liegend wiederfindet, sich daran erinnernd, was alles passiert war. Wie im Film zogen noch einmal die Ereignisse der vergangenen Tage an meinem inneren Auge vorbei – mit all den unglaublichen Momenten des Vortags, die ich glücklicherweise dank des herrlichen Sonnenscheins auf dem Rückweg vom Gipfel sammeln durfte.
Apropos Sonnenschein: Hier gilt es besonders aufzupassen, denn die Sonne entfaltet in diesen Gefilden eine schier unglaubliche Kraft. Ich hatte mir einen Sonnenbrand geholt – trotz Sonnencreme mit Sonnenschutzfaktor 30…

Dann ging es von der „Horombo Hut“ auf direktem Wege hinunter bis zum „Marangu Gate“, von wo aus ich mit einem Kleinbus wieder zurück zum Hotel gebracht wurde. Erst zu diesem Zeitpunkt habe ich so richtig realisiert, wie viele Träger, die man sonst nicht zu Gesicht bekommt, bei diesem Trip involviert waren. Doch mich beschäftigte vor allem eins: Wie es wohl meinen Mitstreitern in der Zwischenzeit ergangen ist? Ob sie wohlauf sind?
Als ich sie dann alle bei guter Gesundheit im Hotel wieder traf, war meine Erleichterung groß. Nachdem wir uns gegenseitig berichteten, wie sich die Dinge nach unserer Trennung entwickelt hatten, wurden wir abends allesamt mit Urkunden ausgezeichnet – natürlich auch diejenigen, die es nicht bis ganz hinauf zum Gipfel geschafft haben.
Wir saßen noch so einigen Stunden beisammen, tranken das ein oder andere Bier und ließen das Geschehene noch einmal Revue passieren. Für mich hieß es jedoch um ein Uhr schon wieder aufzustehen, weil mich da der Bus Richtung Flughafen bringen sollte…
„Ich war auf dem Kibo!“
Was am Ende meiner unvergesslichen Reise noch erwähnenswert ist: Das gesamte Gebiet rund um den Kilimandscharo ist ein Nationalpark und ein Naturschutzgebiet. Man sieht nicht den geringsten Müll, nicht das kleinste Papiertaschentuch oder was auch immer dort herumliegen. Ich habe mir sagen lassen, dass täglich mehrere Trupps unterwegs sind, die auf jeder Route für Sauberkeit sorgen und dies absolut gewissenhaft durchführen.
Die eigene Gefühlswelt lässt sich nach so einem Trip nur schwer beschreiben. Für mich war es in den kommenden Wochen und Monaten so, als würde ich noch immer 30 Zentimeter über dem Boden schweben. Wenn mich zuhause einer doof anmachte, dachte ich nur: „Was willst du denn von mir – ich war auf dem Kibo!“ Ein Gefühl der Erhabenheit, das ich dank dieses Erlebnisses bis heute in mir abrufen kann – und das mir auch keiner mehr nehmen wird…
Ludwig „Lui“ Ratzesberger