Passau. Als die Alliierten nach der Zerschlagung des Naziregimes vor 80 Jahren nach Lizenzträgern für größere Regionalzeitungen suchten, wählten sie für Ostbayern zwei Personen aus, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Der politisch Verfolgte SPD-Politiker und einstige KZ-Insasse Karl Friedrich Esser erhielt im Oktober 1945 die Lizenz mit der Nummer 3 für die Mittelbayerische Zeitung (MZ). Die Nummer 16 für die Passauer Neue Presse (PNP) wurde Dr. Hans Kapfinger (geb. 1902) erteilt, einem Journalisten, der während des NS-Regimes gut verdiente, sich nach dem Krieg als Regimegegner ausgab – und unter dem sich die PNP in der Folge zur „Kaderschmiede für rechtskonservative oder sogar rechtsextreme Journalisten“ entwickelte.

Dr. Michael Hellsterns Dissertation mit dem Titel „Meinungsmacher mit dunkler Vergangenheit. Die Heimatpresse in Bayern von 1945 bis 1962 am Beispiel der Passauer Neuen Presse und der Mittelbayerischen Zeitung“ ist im Pustet-Verlag in Buchform erschienen.

Personalmangel nach dem Weltkrieg

In seiner preisgekrönten Dissertation, die nun bei Pustet erschienen ist, untersucht und vergleicht der Historiker Dr. Michael Hellstern die Entstehungsgeschichte von MZ und PNP. Unter dem Titel Meinungsmacher mit dunkler Vergangenheit analysiert er unter anderem, aus welchem politischen Umfeld die beiden Lizenzträger stammen und welchen Lebenslauf die neuen Redakteure hatten.

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Die Suche nach solchen Redakteuren gestaltete sich schwierig. Das zeigt ein von Hellstern untersuchter interner Bericht der amerikanischen Militärregierung vom Herbst 1945. Dieser stellte fest, dass es zu wenige „hervorragende, begabte und demokratische Deutsche“ für die Lizenzträger-Stellen gab.

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Für seine 2021 an der LMU München eingereichte Dissertation wird Dr. Michael Hellstern am 14. Mai 2025 der Nachwuchsförderpreis des Vereins für Ostbairische Heimatforschung an der Uni Passau verliehen. Foto: privat

Die Hoffnung, „dass aus den Kriegsgefangenenlagern und von Seiten der Flüchtlinge bessere Redakteure dazustoßen würden“, erfüllte sich nicht. Man versuchte deshalb sogar, „ins Ausland emigrierte Journalisten aufzuspüren und diesen eine Rückkehr nach Deutschland zu ermöglichen.“ Doch auch das gelang nicht. Ab Ende des Jahres 1945 wurden die strengen Kriterien der amerikanischen Presseoffiziere langsam aufgeweicht und immer mehr belastete Journalisten kehrten in die Schreibstuben der neuen Redaktionen zurück.

Hellstern wertet in seiner Arbeit (mit dem Untertitel: Die Heimatpresse in Bayern von 1945 bis 1962 am Beispiel der Passauer Neuen Presse und der Mittelbayerischen Zeitung) erstmals auch den Nachlass des für Bayern zuständigen US-Presseoffiziers Ernst Langendorf aus. Der SPD-nahe Journalist Langendorf war 1933 nach seiner in einer Zeitung veröffentlichten scharfen Kritik an Hitler in die USA emigriert und „kam als Angehöriger der US-Army 1945 zurück nach Deutschland“. Danach „war er von 1945 bis 1948 OMGUS-Presseoffizier in München“ und damit beauftragt, „Lizenzen an neugegründete Zeitungen zu vergeben“. Sein Nachlass liegt im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte in München.

Angaben zur Haftdauer: widersprüchlich und nicht belegbar

Laut Hellstern liefert dieser Nachlass insbesondere wichtige Archivalien und Erkenntnisse zur Vergangenheit von PNP-Gründer Hans Kapfinger. Hellstern fand unter anderem Unterlagen, wonach „die US-Amerikaner wiederholt Ermittlungen gegen Kapfinger aufnahmen“, als immer mehr Zweifel an seiner Vita aufkamen und er in der PNP mehrfach bedenkliche Artikel im NS-Jargon veröffentlichte.

Hans Kapfinger auf dem Titelbild des Magazins „Der Spiegel“ im März 1962.

Kapfinger begann seine journalistische Karriere 1927 im BVP-nahen Straubinger Tagblatt und stieg dort zum Chefredakteur auf. Wie andere BVP-Blätter schrieb auch Kapfinger bis zur Machtübernahme gegen die aufstrebende Nazipartei an. Eigenen Angaben zufolge habe er damals geschrieben: „Man sollte Adolf Hitler und die Mitglieder des neuen Reichskabinetts auf ihren Geisteszustand untersuchen lassen, bevor man sie vereidigt.“ Daraufhin sei er verhaftet und mit Berufsverbot belegt worden.

Hellstern bezweifelt diese Darstellung – insbesondere, weil die Verhaftung Kapfingers vom 4. Mai 1933 „fast drei Monate nach der Veröffentlichung dieser Artikel erfolgte und daher in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu diesen stand.“ Die Angaben zur Haftdauer seien zudem widersprüchlich und nicht belegbar.

Nach der Machtübernahme der Nazis schwenkten Kapfinger und das Straubinger Tagblatt (wie andere BVP-Blätter auch) auf die Linie des NS-Regimes ein. Kapfinger begrüßte Anfang März 1933 beispielsweise die Verhaftung von Sozialdemokraten und Kommunisten und ihre Verschleppung ins Konzentrationslager Dachau.

Belege für Legenden Kapfingers fand Hellstern nicht

Entgegen den von Kapfinger selbst gestrickten und von vielen Medien bis heute am Leben gehaltenen Legenden hatte er „fast die gesamte Zeit des ‚Dritten Reiches‘ über stets eine Festanstellung im Pressewesen und wurde vermutlich von NS-Größen protegiert“, informiert Hellstern. Nachdem er Straubing verließ, arbeitete Kapfinger daraufhin bei verschiedenen bayerischen Verlagen, wurde 1937 Pressechef der Leipziger Messe und dann 1938 (ausgestattet mit Schriftleiterausweis der Reichspressekammer) stellvertretender Hauptschriftleiter der Deutschen Werbung, „des Amtsblatts des Werberates der deutschen Wirtschaft, das Reichspropagandaminister Goebbels direkt unterstellt war“. Jahresverdienst: zuletzt über 11.200 Reichsmark.

Kapfinger habe „die Verfolgung von Andersdenkenden und NS-Gegnern“ befürwortet. Er habe „Propagandaartikel über ‚Arisierungen‘ in besetzten Gebieten in ganz Europa“ geschrieben, selbst „ein ‚arisiertes‘ Grundstück“ erworben und als Schriftleiter einer NS-Werbezeitschrift gut verdient.

Nach dem Krieg gab Kapfinger sich als ein „Verfolgter des NS-Regimes“ aus (Spruchkammerurteil 1946: vom Gesetz nicht betroffen). Er behauptete unter anderem seine Beteiligung an einer antinazistischen Widerstandsgruppe („Aktion Riemenschneider“) und eine massive Benachteiligung im NS-Regime. Belege für diese Legenden Kapfingers fand Hellstern nicht.

Mehreren Rügen und scharfe Beobachtung

Seine Untersuchungen ergaben stattdessen, dass Kapfinger sich nach dem Ende des NS-Regimes 1945 in Berlin als KPD-Mitglied tarnte. Ab Frühjahr 1946 verschrieb sich der Lizenzträger der PNP dann der relativ starken Bayernpartei. Sein „Schüren von Ressentiments gegen Flüchtlinge und Fremde“ (insbesondere gegen Displaced Persons, also Überlebende des NS-Regimes) und die Veröffentlichung antisemitisch unterfütterter Berichte führten zu mehreren Rügen und scharfer Beobachtung seitens der US-Presseoffiziere.

Nachdem Kapfingers ehemaliger Studienfreund Georg Huber jun. (Verleger des Straubinger Tagblatts ab 1935) auf einer Spruchkammerverhandlung 1948 von Kapfingers Erwerb des „arisierten“ Grundstücks in Berlin berichtete, geriet er auch ins Visier des Staatskommissariats für Politisch Verfolgte (unter Philipp Auerbach), das im Sommer 1948 intervenierte und ihn als „belastet“ einstufte. Anlässlich der späteren Verhaftung des Staatskommissars Philipp Auerbach schrieb Kapfinger 1951 in einem zwei Seiten langen Leitartikel mit dem Titel „Die wahren Schuldigen“ :

„Sagen wir es ganz offen: Die jüdischen DPs sind die Hätschelkinder der US-Amerikaner gewesen. Es war ein Verhängnis und ein Fehler, dass der deutschen Polizei es nicht gestattet wurde, Ausländerlager zu betreten und diese großen, umfassenden Schwindeleien beim Amt Auerbach wären nicht vorgekommen, wenn die ausländischen DPs von der deutschen Polizei hätten vernommen werden dürfen. […] Mittlerweile haben auch die US-Amerikaner es eingesehen, dass es ein verhängnisvoller Fehler war, jüdische Emigranten [H.i.O] in US amerikanischer Uniform auf die Deutschen loszulassen.“ (PNP vom 17. März 1951)

Nach dem Niedergang der Bayernpartei wechselte Kapfinger zur obsiegenden CSU. Die PNP positionierte sich in der Folge als „Sprachrohr des politischen Katholizismus“. Später wurde sie Teil des Wahlkampfteams von Kapfingers Freund Franz Josef Strauß und betrieb maßgeblich eine von der Stasi gesteuerte Hetzkampagne gegen den SPD-Kandidaten Willy Brandt.

Kapfingers Entlastungslegenden werden immer noch verbreitet

Unzählige Unterlassungsklagen gegen Kapfinger und von ihm eingereichte Klagen beschäftigten Gerichte innerhalb und außerhalb Passaus viele Jahre lang. Einige Verurteilungen folgten, darunter wegen Kuppelei. Ein Strafprozess wegen mehrfachen Meineides in der Fibag-Affäre wurde 1971 wegen attestierter Verhandlungsunfähigkeit Kapfingers eingestellt.

Im BR-Band “Tradition verpflichtet” (Pustet Verlag, 1999) wurde Hans Kapfinger von Astrid Freudenstein, stellv. Bürgermeisterin der Stadt Regensburg, gelobhudelt.

Ab den 1950er Jahren habe sich, so Hellsterns These, „die PNP zur ‚Kaderschmiede‘ für rechtskonservative oder sogar rechtsextreme Journalisten“ entwickelt. Ehemalige NS-Journalisten hätten „Teile ihres verinnerlichten Gedankenguts des ‚Dritten Reiches‘ an den journalistischen Nachwuchs“ weitergegeben. Als Beispiele nennt Hellstern dafür Gerhard Frey („Deutschen Soldaten-Zeitung“, DVU), Enno von Loewenstern und Erwin Janik, „der bereits in jungen Jahren zur PNP stieß und von 1961 bis 1987 Chefredakteur blieb“.

Kapfingers Entlastungslegenden werden aktuell immer noch verbreitet. So etwa – wenig überraschend – auf der Homepage der Mediengruppe Bayern, dem Nachfolgekonzern der PNP. Aber auch im Eintrag des Historischen Lexikon Bayerns zur PNP, der von Markus Wennerhold stammt, dem Leiter der Bayerischen Staatsbibliothek Passau.

Der Bayerische Rundfunk hat sich dem legendären Werk Hans Kapfingers und seiner Familie sogar in Ton und Druck, ja fast unterwürfig angenommen. Als Teil einer Reihe von Radiosendungen im Jahre 1999 und unter dem programmatischen Titel: Tradition verpflichtet – Große Familien in Bayern hat der BR den NS-Profiteur Kapfinger zu einem aufrechten Gegner des NS-Regimes erklärt und dabei die ganze Unternehmerfamilie gewürdigt.

Eigene Recherchen stellte sie offenbar nicht an

Die damalige BR-Autorin Astrid Freudenstein, eine ehemalige PNP-Volontärin und Stipendiatin der Kapfinger Stiftung, übernahm dafür kurzerhand Kapfingers Erzählungen. Irgendwelche eigenen Recherchen stellte sie offenbar nicht an. Die Texte der Radiosendungen wurden im gleichen Jahr in einer Buchausgabe unter demselben Titel veröffentlicht…

Robert Werner

Wie es zu der schmeichelhaften Würdigung der Kapfingers durch den Bayerischen Rundfunk kam, wie die Gründung der Mittelbayerischen Zeitung durch Karl Esser verlief und warum sich in der einstigen MZ-Redaktion NS-Belastete befanden, darüber mehr im zweiten Teil.

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