Der KZ-Zug verließ Deggendorf am 19. April um 9 Uhr, war vormittags in Eging und erreichte Nammering um 16 Uhr. Da die zulässige Zuglast ab Eging beschränkt war, wurde der Gefangenen-Transport wahrscheinlich ab Deggendorf aufgeteilt. Als die Eisenbahn, die zu diesem Zeitpunkt aus drei Zugteilen und insgesamt noch 54 Waggons bestanden hatte, Nammering erreichte, war die Weiterfahrt aufgrund des Zugunglücks bei Witzmannsberg nicht mehr möglich. Schneeregen setzte während des Aufenthalts insbesondere den Häftlingen in den offenen Waggons zu. Dort stand das Wasser fünf Zentimeter hoch im Waggon. Der Transportführer Hans Merbach bezog in der Bahnhofsrestauration sein Quartier, von wo er das Geschehen am Bahnhof überblicken konnte. Zweiter Teil der Hog’n-Serie „Nammering 1945“.

Der ortsansässige Pfarrer Johann Bergmann beschreibt die Gefangenen: „Ihr Aussehen war das schwerleidender, unterernährter Menschen. Ihre Haltung schwankend, kraftlos, wie das von Leuten, die lange Zeit schwersten Hunger gelitten hatten. Die Augen hohl, die Gesichter eingefallen und blass wie von Toten.“ Die örtlichen Nazis verbreiteten die Lüge, dass es sich bei den Häftlingen um Kriminelle handeln würde. Doch die Nammeringer konnten die Schüsse hören und sahen die massiven Misshandlungen und willkürlichen Morde durch Erschießen und Erschlagen.
Blutbad im Waggon 46
Eindrücklich beschreiben sie, wie Gefangene misshandelt oder ermordet worden sind, weil sie aus Hunger Gras zum Essen pflücken wollten. Oder wenn sie misshandelt und ermordet worden sind, weil sie vor lauter Schwäche zu langsam arbeiteten, zum Wasser lassen austreten wollten usw. In der Nacht des 19. Aprils wurde ein ganzer Waggon mit 45 Häftlingen erschossen. Das Blut rann durch den Holzboden. Am nächsten Tag wurden die Verwundeten erschossen oder erschlagen.
Am 24. April, am Tag der Abfahrt, hatte ein Russe einen SS-Mann erstochen, woraufhin ein Blutbad im Waggon 46 angerichtet worden ist. Es seien bereits hunderte Tote im Zug mitgeführt worden – und täglich starben mehr. Zuerst sollten die Toten im Steinbruch Bauer vergraben werden, wogegen sich der Steinbruchbesitzer wehrte. Dann wurden auf Anordnung von Merbach am zweiten Tag im nahegelegenen, nicht mehr in Betrieb befindlichen Steinbruch Renholding bei Gstöcket „etwa 270 Leichen“ verbrannt.
Ein amerikanischer Soldat fand Schädel und Hände

Es sind hierfür zwei Verbrennungsstellen im Abstand von zirka 30 Metern errichtet worden: Es wurden rostige Eisenbahnschienen auf größeren Steinen übereinandergelegt und darunter Feuer gemacht. Auf den Schienen lagen zehn bis 20 Leichen. Vom Fürstensteiner Bürgermeister Bornhofen und der SS wurden Fuhrwerke von den Bauern angefordert, um die Leichen zur Verbrennungsstelle zu fahren.
Die Häftlinge mussten die Leichen aus zwei Zugwaggons, in denen sie gelagert worden sind, holen, das Feuer schüren und die Verstorbenen hineinwerfen. Vermutlich wurde auch ein Teil des Beerdigungskommandos erschossen. Es wurde dann eine Felswand auf diese Stelle heruntergebrochen, um die Überreste zu überdecken. Ein amerikanischer Soldat fand dort später noch Schädel und Hände.
In Nammering gab es zwei Lebensmittelsammlungen. Zu Beginn eine kleinere durch den Ortsbauernführer von Renholding, ein paar Tage später eine größere durch Pfarrer Bergmann. Bei der ersten Aktion kamen 20 Zentner Kartoffeln zusammen, die gekocht und dann an die Häftlinge verteilt worden sind.
Örtliche NS-Parteileitung verbot Lebensmittelsammlung
Pfarrer Bergmann von Aicha vorm Wald versuchte am 21. April mit dem Bürgermeister über offizielle Stellen in Passau eine Lebensmittelversorgung für die Gefangenen zu erreichen. Der Landrat von Passau sah sich nicht als zuständig an, der NS-Kreisleiter Moosbauer wollte Lebensmittel für den Zug nur in Passau zur Verfügung stellen. Daher entschloss sich der Pfarrer, selbst eine Lebensmittelsammlung durchzuführen, zu der er in der Predigt aufrief.

So konnten am Sonntag, den 22. April, mittags an die 160 Zentner Kartoffeln, mehrere hundert Pfund Brot, warmer Kaffee und nahrhafte Suppen aufgetrieben werden. Der Geistliche schreibt, dass diese Sammlung eine strafbare Handlung dargestellt habe. Es scheint aber, dass diese Sammlung letztlich mit Zustimmung Merbachs stattgefunden habe. Auch scheint das Wachpersonal in die Verteilung der Lebensmittel eingebunden gewesen zu sein.
Vielmehr war es die örtliche NS-Parteileitung, die Bergmann die Sammlung strikt verboten hatte. Bei der Verteilung der Lebensmittel durch das Wachpersonal kam es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen dem Wachpersonal und den Nammeringern Feichtinger Sepp und Würzburger Max, die zur Eile bei der Essensverteilung mahnten. Die Wachen behielten auch einige der Lebensmittel für sich, ohne sie den Gefangenen zu geben.
Es war kurz geplant, dass der Nammeringer Franz Schuberl mit seinem Motorrad den Amerikanern entgegenfährt, um Hilfe zu holen. Dieser Plan wurde dann aber in Absprache mit Pfarrer Bergmann aufgegeben. Dieser schreibt, er habe den Transportführer Merbach überreden können, die Erschießungen zu beenden, um gegenüber den näherkommenden Amerikanern nicht noch mehr Schuld auf sich zu laden.
Es sei daher ab dem Vormittag des 21. April zu keinen Hinrichtungen mehr gekommen. Dies widerspricht den Schilderungen des Bahnbediensteten Heinrich Klössinger: „Diese Quälerei und Schießerei hielt Tag und Nacht an.“ Eine Unterbrechung der Ermordungen schilderte er nicht. Im Gegenteil. Er berichtet, dass die Lebensmittelsammlung zwar das „Hungersterben etwas gelindert“ habe, „jedoch die Erschiessungen gingen immer weiter.“
Unfreiwillige Bestatter fielen aus Schwäche selber in die Grube
Da die Verbrennung der Leichen nicht gut funktionierte, wurden die restlichen 524 Leichen am Montag, den 23. April in mehreren Waggons an eine steile Böschung des Bahndammes geschoben und auf eine sumpfige Wiese hinuntergeworfen. In dieser später sog. Totenwiese wurden die Toten durch andere Häftlinge vergraben. Dabei fielen manche der unfreiwilligen Bestatter vor Schwäche in die Gruben und wurden auch mit Kalk überschüttet und begraben. Alois Bauer aus Nammering schreibt: „Als […] das Grab geschlossen wurde, hörte ich von dort auffallend viel Schießen. Beim Öffnen des Grabes sah ich oben Leichen welche bluteten, so daß anzunehmen ist, daß vor dem Schließen noch mancher sein Leben gab.“

Obwohl der Transport nur Lebensmittel für wenige Tage dabei hatte, gab es kaum Anstrengungen durch den Transportführer Merbach, auf der Fahrt Lebensmittel zu akquirieren. Wenn die Bevölkerung die Häftlinge mit Lebensmittel versorgen wollte, mussten sie sich gegen den Willen der SS durchsetzen. So schreibt ein Häftling: „Auf dem Bahnhof von Pilsen verschafft sich eine Gruppe tschechischer Frauen – trotz anfänglichen Widerstands der SS – die Gelegenheit, uns Wasser, Brot und Suppe zu bringen. Auf der Strecke, die unser Zug in der Tschechoslowakei zurücklegt, werfen uns Reisende aus vorbeifahrenden Zügen ihre belegten Brote und anderen Reiseproviant herüber.“
Dies stützt die Vermutung, dass das eigentliche Ziel des Transports die Ermordung der Häftlinge gewesen ist – eine mobile Fortsetzung der Konzentrations- und Vernichtungslager. Eine mögliche Erklärung dafür, dass der Zug erst nach Osten gefahren ist, obwohl er als Ziel anfangs Flossenbürg und dann Dachau hatte. Viele der Todesmärsche und Todeszüge nutzten unlogische Routen, die zu vielen Toten geführt haben. Der Nammeringer KZ-Zug brauchte für insgesamt 760 Kilometer ganze 21 Tage, wovon die Hälfte der Zeit Fahrtunterbrechungen waren. Es ging also in erster Linie nicht um den Transport der Häftlinge, sondern um die logistische Bewältigung der Vernichtung durch zeitliche Streckung und örtliche Verteilung des Massenmordes.
Kannibalismus unter der Gefangenen
Während die Berichte über Hilfen aus der Bevölkerung überwiegend die tschechische Bevölkerung betreffen, insbesondere in Pilsen und Klentsch (heute Klenči), ist Nammering ein Beispiel einer mutigen Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung. Es gab Überlegungen der SS, alle Häftlinge im Zug auf einmal zu ermorden, z.B. in Eging, in Nammering oder kurz nach Passau. Wieso dies nicht umgesetzt worden ist, ist unklar. Doch das Ziel der Vernichtung aller Häftlinge des KZ-Zugs ist auch ohne komplette Erschießung beinahe erreicht worden.

Die Häftlinge erduldeten nicht alle diese zeitlich gestreckte Ermordung. Es gab auch Widerstand gegen die Wachleute. Am 9. April gab es einen Aufstand der Männer aus Waggon 23, woraufhin 33 Gefangene erschossen worden sind. Bei einer angeblichen Hungerrevolte seien zwei Wachen getötet worden, weitere drei Wachen hatten dann Verbände auf dem Kopf. In der Nacht des 24. Aprils erstach, wie oben bereits erwähnt, ein Russe einen SS-Mann, worauf im Waggon 46 ein Blutbad angerichtet worden sei. Die unmenschlichen Umstände führten auch zu Morden der Gefangenen untereinander. Und aufgrund des schrecklichen Hungers ist sogar Kannibalismus beobachtet worden.
Es gab immer wieder Fluchtversuche, die meistens jedoch nicht geglückt sind. Manchmal unterstützten Einheimische die Fliehenden mit Unterschlupf oder Essen. Manchmal wurden die Geflohenen aber auch durch Einheimische wieder zum KZ-Zug zurückgebracht, wo sie ermordet worden sind – oder sie haben sie direkt selbst ermordet. In Eging wurde ein geflohener KZ-Häftling erst durch einen Bauern mit Essen versorgt und dann bei der weiteren Flucht von einer Einheit Hitlerjungen erschossen.
Kurz vor Passau verweigerte die Wachmannschaft einen Schießbefehl
Selbst bei den Wachmannschaften gab es vereinzelte Anzeichen von Mitgefühl während des Massenmordes. So schreibt Josef Dichtl:
„Einer der Wachmannschaften, der nicht der SS angehörte sondern Infanterist war, sagte zu mir, daß er in diesem Krieg schon viel mitgemacht hat, aber solch etwas Grauenhaftes noch nicht gesehen hat. Er wäre viel lieber an der Front als bei diesen armen Gefangenen.“
Es gab auch einen Wachmann, der bei einer Flucht geholfen hatte und dafür von der SS ermordet wurde. Einmal hat ein Wachmann einen Gefangenen vor der Erschießung bewahrt. Und kurz nach Passau verweigerte die Wachmannschaft einen Schießbefehl zur kompletten Ermordung aller Gefangenen.
Hog’n-Gastbeitrag von Toni Schuberl
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Im dritten und letzten Teil dieser kleine Hog’n-Serie steuert der KZ-Zug auf seine Endstation Dachau zu. Außerdem wird der Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart gespannt.