München. „Woke ist inzwischen vielmehr eine diffamierende Bezeichnung für alle Menschen, die aktiv versuchen, keine Arschlöcher zu sein, benutzt hauptsächlich von Menschen, die es als ein Menschenrecht betrachten, sich wie Arschlöcher zu verhalten.“ Ein Zitat, das zwar nicht aus der Feder von Christian Springer, sondern aus der des Publizisten Mario Sixtus stammt – mit dessen Inhalt der bekannte Kabarettist, der seit mehr als 40 Jahren auf der Bühne steht, jedoch sehr wohl übereinstimmen dürfte.

Legt gerne den Finger in die Wunde der Gesellschaft und hält ihr auf meist witzig-satirische Art den Spiegel vor: Kabarettist und Autor Christian Springer. Foto: Sina-Maria-Schweikle

Denn für den 60-Jährigen – so wird im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n schnell klar – zählen noch gewisse Werte wie Anstand und Moral. Selbst wenn er sich nicht als „woke“ bezeichnen würde. Wir haben mit dem „schlachthof„-Moderator unter anderem über sein aktuelles Buchprojekt, Alltagsrassismus, Vergangenheitsbewältigung und seine waidlerischen Wurzeln gesprochen:

„Das ist bodenlos!“

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Herr Springer: Raus mit der Sprache – wann werden Sie der neue Fastenprediger am Nockherberg? Oder möchten Sie den Job gar nicht machen?

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Der Nockherberg begleitet mich ein Leben lang. Ich habe als Kind dort Zitherkonzerte gespielt, zwei Eier auf Strauß geworfen und war beim Starkbieranstich sowohl als Mitspieler wie als Autor dabei. Es gab Rauswürfe und Hausverbote. Aber eine echte satirische Fastenpredigt in ihrer Schärfe und Genauigkeit und womöglich im christsozialen Sinne zu machen, ist dort nicht mehr möglich.

Christian Springers aktuelles Buch trägt den Untertitel: „Wie die Gewalt in die Politik einzog.“ Foto: christianspringer.de

Wenn’s beim Nockherberg auch noch vergleichsweise harmlos zugeht: Ihr aktuelles Buch, mit dem Sie sich auf Lesereise befinden, trägt den Titel „Der bayerische Mob – wie die Gewalt in die Politik einzog“. Dabei geht’s um die zunehmenden tätlichen und verbalen Angriffe auf Politiker und Politikerinnen. Warum hat sich dieses Phänomen im Verlauf der vergangenen Jahre derart ausgeprägt, was glauben Sie?

Im Jahr der Landtagswahl gab es in Bayern 2.800 Angriffe auf Grüne und SPD. Ich dachte, es kommt auch vom aufgeheizten Geschrei gegen die Ampel. Aber es hört ja nicht mehr auf. Wenn wir das weiter zulassen, ist dies das Ende der Demokratie. Der Anstand hat die Politik verlassen, warum sollten sich dann die Jungen im Land besser benehmen? Aiwanger, Söder und Gruber haben in Erding vor Leuten gesprochen, die Schilder hochhielten, auf denen zum Mord an den Grünen aufgerufen worden ist. Und sie haben nichts gemacht. Sondern den Applaus des Mobs genossen. Das ist bodenlos!

„Und dann wird wohin getreten? Nach unten!“

Die Frage, die sich hier aufdrängt: Ist die Fahnenstange von Hatespeech & Co. Ihrer Meinung nach schon erreicht? Oder wie wird sich das alles noch weiterentwickeln?

Wir alle wissen, dass sich die Sprache des Hasses immer in die Taten des Hasses weiterentwickelt. Davor muss uns alle grausen. Was kann man tun? Sich selbst und andere in den Herabsetzungen zügeln, die jungen Menschen über Rassismus und Antisemitismus aufklären und eine Art „Internet-Polizei“ einrichten.

Im Juni 2024 berichtete da Hog’n unter dem Titel „Schönanger goes Sylt: „Auslander-raus“-Gegröle im Barzelt“ über den Eklat am Dorffest. Feuerwehr Schönanger/ Facebook

Das Buch enthält ein ausführliches Kapitel über die rassistische Fassung des Gigi D’Agostino-Klassikers „L’amour toujours“, das auch schon in so manchem Bayerwald-Bierzelt frenetisch angestimmt wurde. Warum, denken Sie, ist gerade im ländlichen Raum der Rassismus inzwischen wieder salonfähig? Und: Was müsste sich ändern, um dem entgegen zu wirken?

Es ist nicht sehr kompliziert. Viele Menschen sind unzufrieden und suchen einen Sündenbock. Und dann wird wohin getreten? Nach unten! Das gibt es auch in der Stadt. Leider wird den Parolen mehr geglaubt als den echten Zahlen. Derjenige, der dem Staat am meisten schadet, ist nämlich nicht der Bürgergeld-Empfänger, sondern mit über 100 Milliarden Euro Steuerhinterziehung jährlich der Super-Verdiener. Darüber hör ich wenig…

„Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich“

Es gibt ein von Ihnen konzipiertes Schulprojekt zur Erinnerung an den Widerstand der Weißen Rose. Viele Leute sagen heute Dinge wie: „Ich will mit all dem Nazi-Kram nichts mehr zu tun haben; das waren die älteren Generationen, die hier mitgemischt haben, nicht die meinige. Und es muss endlich mal a Ruh‘ sein, die Vergangenheit soll nicht ständig hervorgeholt werden. Wir haben heute doch keine Schuld an alldem!“ Warum ist es so wichtig, nicht zu vergessen, was damals passiert ist?

Christian Springer ist der Kabarettist für Herz und Hirn, „kein Prediger, sondern ein Handwerksmeister der Weltverbesserung.“ Foto: christianspringer.de

Dieses dumme Geschwätz hat es ja immer schon gegeben. Diese Leute denken, man will ihnen an den Karren fahren. In Wahrheit ist die Aufklärung darüber, was in der Vergangenheit passiert ist, der Schlüssel dazu, was heute geschieht. Ständig wird die Vergangenheit gefeiert: 1.000 Stadtgründung hier, 100 Jahre Feuerwehr dort, aber wenn es um die dunkle Seite geht, heißt es: Weg, weg, weg. Wie dumm…

Am 27. Mai 2025 findet im Stadttheater Regensburg ein großes Event über den Aufstieg Hitlers statt – als Mahnung dafür, wie einfach und schnell das Rechtsextreme an die Macht kommen kann. Was erwartet die Besucher dabei? Und: Wie ernst ist die Lage diesbezüglich Ihrer Meinung nach?

Die Nazis sind nicht erst 1933 an die Macht gekommen. Da war alles schon fertig. Ab dem Hitler-Putsch 1923 ging es richtig los: Die alles vereinfachende Propaganda, der Hass auf „den linken Staat“, Hass auf Juden, die finanzielle Unterstützung usw. Deswegen heißt es auch so richtig: „Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich.“ Aber das Problem sind nicht die Extremisten, sondern die schweigende Mehrheit. Mit meinen prominenten Kollegen lesen wir die Texte jener Zeit – und am Ende denkt man: Die erzählen von heute…

„Da Woid war immer eines unserer Lieblingsziele“

Sie engagieren sich seit Jahren für Menschen, denen es weniger gutgeht als den Menschen hierzulande. Mit dem von Ihnen gegründeten Verein „Orienthelfer“ wollen Sie Kinder, Frauen und Familien aus dem Nahen Osten unterstützen, wollen helfen, humanitäre Katastrophe abzumildern. Wie groß ist die Not aktuell? An welchen Brennpunkten ist Hilfe nötiger denn je?

Nach langer Zeit des Blutvergießens werde ich endlich wieder nach Syrien reisen. Ebenso nach Israel und dem Libanon. Auch über Gaza werde ich mich vor Ort informieren. Ich denke, ich komme mit einem Packen an Notrufen zurück. Und dann wählen wir aus, wie und wo wir am besten helfen können. An oberster Stelle: die Kinder.

Orienthelfer e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der 2012 von Christian Springer gegründet wurde. Foto: christianspringer.de

Abschließend: Ihre Großmutter väterlicherseits stammt aus dem Bayerwald, genauer gesagt aus Spiegelhütte. Sie sind demnach ein „Viertel-Waidler“. Wie prägt sich dieses genetische Erbe bei Ihnen aus? Merken Sie etwas davon? Und: Welchen Bezug haben Sie heute zum Woid, der „Viertel-Wiege“ Ihres Daseins?

Ehrlich gesagt: in der Küche. Freitags hat die Oma ausm Woid immer ihre Süßspeisen gemacht. Das war super. Später hat sie mir viel davon beigebracht. Sie hatte ja mit meinem Opa in den 30er Jahren in München neben dem Alten Botanischen Garten eine vegetarische Gaststätte. Und da Woid war immer eines unserer Lieblingsziele. Immer noch gibt’s hier Verwandtschaft. Ich bin gerne da.

Die wirklich letzte Frage nun: Was wünschen Sie sich für das Land Bayern? Und für Deutschland, jetzt, wo wir eine neu-gewählte Regierung haben?

Sachverstand, Frieden und Glück. Mehr brauch ma net.

Haben Sie vielen Dank dafür, dass Sie uns etwas von Ihrer Zeit geschenkt haben. Alles Gute!

die Fragen stellte: Stephan Hörhammer


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