Hauzenberg. Die Stimmung ist aufgeheizt, äußerst emotional. Die Zerreißprobe könnte in der Hauzenberger Pfarrgemeinde und weit über deren Grenzen hinaus derzeit wohl nicht größer sein. Der Zorn der Bevölkerung hat sich gegen den Passauer Bischof Stefan Oster gewandt, der den allseits beliebten wie geschätzten Pfarrer Alexander Aulinger abgesetzt hat. Zelebrationsverbot. Und ein „Verbot des öffentlichen Auftritts als Priester“, wie das Bistum mitteilt.

Dem Geistlichen wird „schwerwiegendes Fehlverhalten im Umgang mit Jugendlichen“ vorgeworfen, insbesondere was das Thema Alkohol angeht. Zugleich liegt laut einer Pressemitteilung des Bistums von der „unabhängigen Beauftragten für sexuellen Missbrauch“ die dringende Empfehlung vor, Vorgänge bzgl. des Pfarrers strafrechtlich zu prüfen. Das Verhalten von Alexander Aulinger würde über ein Anbahnungsverhältnis hinausgehen, heißt es. Auch von „geistiger Manipulation“ ist die Rede. Der Betroffene selbst streitet die Vorwürfe ab. Diese würden „jeder sachlichen Grundlage entbehren“, wie er über seinen Anwalt mitteilen lässt.
Harter Alkohol und Saufgelage auf „Malle“?
Die Solidaritätsbekundungen der Aulinger-Anhänger (Pfarrgemeinderäte, Ministranten, Kirchenverwaltungen, Laien und große Teile der Bevölkerung) reißen unterdessen nicht ab. Die Süddeutsche spricht vom „Volksaufstand in Hauzenberg„. Sie sehen „ihren Pfarrer“ zu Unrecht seitens des Bischofs (vor)verurteilt – und wollen den Geistlichen wieder zurückhaben, wollen dafür u.a. Demonstrationen organisieren und einen Protestbrief an Kardinal Marx, den Vorsitzenden der Bayerischen Bischofskonferenz, verfassen. Rund 10.000 Petitionsunterzeichner (Stand: 26.3.25, 10 Uhr) sind der Meinung: „Unser geschätzter Pfarrer steht aufgrund falscher Anschuldigungen im Fokus und soll zum Rücktritt gezwungen werden.“
Die Frage, über die sich die beiden Hog’n-Redakteure Hörhammer und Weigerstorfer nun auseinander zu setzen versuchen, ist folgende: Wie weit darf ein Priester im Umgang/ in der Beziehung mit Jugendlichen gehen? Was ist noch vertretbar? Und zu welchem Zeitpunkt werden Grenzen überschritten?
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Hörhammer: Das ist echt heftig, was da gerade in Hauzenberg passiert – und ist meiner Meinung nach nur ein weiteres Zeichen dafür, dass Religion im Allgemeinen und Kirche im Speziellen generell nichts Gutes mit sich bringen. Sie sorgen – einmal mehr – für Spaltung, Streit und Zwietracht, nur weil ein Pfarrer vielleicht ein paar Mal mit Minderjährigen Alkohol getrunken hat. Das ist doch nichts Verwerfliches. Ich selbst war auch mal Ministrant – und wir waren als Jugendliche gewiss keine Kinder von Traurigkeit. Bei unseren erinnerungswürdigen Ausflügen nach Rom, Wien oder Prag war freilich auch immer wieder Mal Alkohol im Spiel. Und das nicht zu knapp. Unser Kaplan hat selbst zwar nicht mitgebechert, aber toleriert hat er’s dann doch irgendwo. Zumindest gab’s keine größeren Standpauken…

Weigerstorfer: Ich bin auch als Ministrant aktiv gewesen. Weniger aus religiösen Gründen, mehr aus gesellschaftlichen. Und klar: Als Heranwachsender sind Alkohol, Zigaretten, Sex und sonstige Dinge, die Erwachsene nunmal so tun, überaus interessant – weil sie bekanntermaßen ja für Teenager verboten sind. Aber dass uns ein Pfarrer, wie Aulinger vorgeworfen wird, „bei Gruppenstunden, auf Partys und Ausflügen Unmengen an Alkohol an Minderjährige ausgeschenkt“ hatte, daran kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.
Die Rede ist ja nicht nur von Bier, sondern auch von Wodka. Unter anderem soll es Trinkgelage gegeben haben – auf Mallorca, mit „ausgewählten Ministranten“. Sollte dies der Wahrheit entsprechen, hat er ganz eindeutig den Bogen überspannt. Harter Alkohol und Saufgelage haben bei Jugendlichen im Beisein eines Geistlichen nichts verloren. Und auch nicht ohne sein Beisein. Als Pfarrer hat er eine Vorbildfunktion zu erfüllen.
Die bringt das natürlich schnell mal auf die Palme…
Hörhammer: Ja, die Dosis macht freilich immer das Gift. Alkohol sollte aber kein Tabu-Thema sein – auch nicht in der Kirche. Ist es ja ohnehin nicht, wenn man allein die sonntägliche Eucharistiefeier betrachtet, während dieser der Herr Pfarrer beherzt zum Messwein greift. Und es scheint doch so zu sein, dass sich keiner der Jugendlichen wirklich daran gestört hat – im Gegensatz zu ein paar Gemeindemitgliedern, denen der Herr Pfarrer ob seines augenscheinlich recht offenen, sehr weltlichen und lockeren Lebensstils schon seit Längerem ein Dorn im Auge ist. Ich kann mir das schon vorstellen, dass da ein paar Ewiggestrige, erzkonservative Kirchgänger nicht gerade begeistert sind, wenn da ein in deren Augen so unmoralisch handelnder Mensch gewisse Grenzen überschreitet. Die bringt das natürlich schnell mal auf die Palme…

Weigerstorfer: Man ist doch nicht „erzkonservativ“ und „ewiggestrig“, wenn man der Meinung ist, dass Alkohol-Exzesse unter Jugendlichen nichts verloren haben. Die Aufgabe eines Priesters ist sicherlich, für gewisse Gemeinschaftsaktivitäten unter den Jugendlichen zu sorgen. Ja, sie sollen sogar in gemeinschaftliche Unternehmungen wie Jugendfreizeiten, Wallfahrten oder soziale Projekte einbezogen werden. Vom Pfarrer animierte Saufereien gehören da sicher nicht dazu. Genauso wenig wie irgendwelche sexuellen Ausschweifungen. Doch da haben sich, wie man weiß, so einige Kirchenmänner in der Vergangenheit alles andere als korrekt verhalten. Stichwort: Missbrauchsfälle. Aber das ist ein anderes Thema…
Hörhammer: Da gebe ich dir recht. Die Frage ist halt: Wie weit darf eine Beziehung zwischen einem Priester und seinen Schutzbefohlenen gehen? Ich finde es gut, wenn Berührungsängste abgebaut werden und freundschaftliche Nähe – freilich nur bis zu einem gewissen Grad – hergestellt wird. Wenn sich die Vertreter der Kirche, die am Ende auch nur Menschen sind, auch menschlich zeigen dürfen. Wenn althergebrachte Konventionen fallen und sich dieses Konstrukt Kirche endlich einmal nach außen hin öffnet. Es geht doch um Lebensfreude, um Austausch auf Augenhöhe, um Momente der Zwischenmenschlichkeit – fernab von Religionsunterricht und Katechismus. Aber da sind wir dann bei einem grundlegenden Problem dieses klerikalen Konstrukts, das seit zwei Jahrtausenden immer wieder für Leid, Unrecht und Elend gesorgt hat, angelangt. Und genau deshalb kehren der Kirche immer mehr „Mitglieder“ den Rücken und treten aus…
Alles, was darüber hinaus geht, hat keinen Platz…
Weigerstorfer: Nähe hin, Nähe her – und sicherlich ist kein Mensch fehlerfrei, aber: Fakt ist doch, dass Priester keine persönlichen oder emotionalen Grenzen überschreiten dürfen. Intime Beziehungen zu Jugendlichen – egal, ob auf körperlicher oder geistiger Ebene – geziemen sich in diesem Rahmen einfach nicht. Denn was passieren kann, wenn’s mehr wird als das rein dienstliche Pfarrer-Ministranten-Verhältnis, haben wir ja gesehen: Die vielen vom Zölibat gegängelten Männer versuchen ihre Machtposition zu missbrauchen, um auch einmal „zum Zug“ zu kommen. Widerlich ist das alles! Und menschengemacht. Und wäre wohl völlig vermeidbar, wenn es hier ein anderes Regelwerk als das in der katholischen Kirche Bestehende gäbe.

Ein Priester darf – vollkommen egal, in welcher Hinsicht – Jugendliche niemals unter Druck setzen, um bestimmte Entscheidungen zu treffen – sei es in Bezug auf den Glauben oder persönliche Angelegenheiten. Punkt. Sie können die Heranwachsenden seelsorgerisch begleiten, mit ihnen Gespräche führen und ihnen ihre Unterstützung anbieten. Aber alles, was darüber hinaus geht, hat da keinen Platz. Das ist meine Meinung.
Hörhammer: Und die sei dir auch vergönnt. Ich denke: Solange ein Geistlicher verantwortungsvoll handelt und seine Grenzen im Umgang mit Jugendlichen kennt, soll er auch die Möglichkeit haben, sich und seine Persönlichkeit im Kirchenrahmen frei entfalten zu dürfen. Und wenn es mal ein Bierchen oder zwei oder vielleicht auch drei werden, wenn mal ausgelassen miteinander gesungen, gefeiert und gelacht und der Lebensfreude fernab vom katholischen Verhaltenskodex freien Lauf gelassen wird, dann soll das auch so sein dürfen.
Ich hoffe, dass Bischof Oster und Pfarrer Aulinger sowie alle anderen Beteiligten hier noch einmal die Kurve kriegen und miteinander ins Gespräch kommen. Und dass natürlich alle im Raum stehenden Vorwürfe und gegenseitigen Anschuldigungen – von mir aus gerne unter Zuhilfenahme staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen – aus der Welt geschaffen werden können. Damit die Spaltung beendet und wieder Ruhe einkehren kann…
Frage an die Leserschaft: Wie weit darf ein Priester im Umgang mit Jugendlichen gehen? Und was darf er nicht (mehr) machen? Zu welchem Zeitpunkt werden Grenzen überschritten? Und was ist noch vertretbar? Wir sind gespannt auf Eure Kommentare direkt unter diesem Artikel bzw. auf unserer Hog’n-Facebook-Seite.
da Hog’n