Herzogsreut. Seine erste komplette Weltcup-Saison endete mit einer doppelten Enttäuschung: Im Riesenslalom in Hafjell (Norwegen) verpasste Jonas Stockinger den zweiten Durchgang – und somit auch die Qualifikation für das große Winter-Finale in Sun Valley (USA). Insgesamt blickt der Herzogsreuter, der oft nur „Stocki“ oder „Meijna“ genannt wird, nicht nur deshalb mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die vergangenen Monate zurück, wie im Hog’n-Interview deutlich wird. Stockis Saisonbilanz!

Jonas, zunächst etwas Zahlenwerk: Du hast in der vergangenen Saison 37 Punkte gesammelt und bist 31. im Riesenslalom-Weltcup geworden. Wie klingt das in Deinen Ohren?
Ganz ehrlich: Wenn ich das höre, denke ich mir: Ziel nicht erreicht. Einerseits. Andererseits habe ich gezeigt, dass ich mit den Besten mithalten kann – zumindest im Ansatz. Ich hätte gerne mehr gezeigt, was mir aber leider nicht gelungen ist.
Dein Ziel war?
Ein grobes Zwischenziel war die WM-Teilnahme, was mir ja gelungen ist. Und ich wollte am Ende unter den Top 25 stehen. Es wäre schon schön gewesen, beim großen Weltcup-Finale mit dabei sein zu dürfen.
„Lange Wettkampf-Pausen haben mich aus Rhythmus gebracht“
Du sprichst vom Saisonabschluss in Sun Valley (USA – am 26. März), an dem nur die ersten 25 der jeweiligen Disziplinen-Wertung teilnehmen dürfen. Du bist leider nicht dabei. Warum?
Eine genaue Analyse gibt es erst mit etwas Abstand zur Saison. Ich will das alles erst einmal sacken lassen. Aber ein erstes Fazit lautet: Ab einem gewissen Zeitpunkt habe ich mich in dieser Saison schwer getan. Die langen Pausen zwischen den Wettkämpfen haben mich aus dem Rhythmus gebracht. Ich konnte die nötige Spannung nicht aufrecht halten. Körperlich und geistig bin ich müde geworden zum Schluss. Ich wollte mich aufraffen, doch das ist mir nicht mehr gelungen. Weshalb das so passiert ist, werde ich mir noch einmal genau durch den Kopf gehen lassen.

Auffällig ist, dass bessere Platzierungen offensichtlich möglich sind – Du sie Dir aber immer wieder selber zunichte machst.
Reine Kopfsache. Fahre ich intuitiv, fahre ich am besten. Sobald ich das Nachdenken anfange, ist es vorbei. Schwierige Stellen meistere ich besser, wenn ich einfach drauf losfahre.
„Ging nach hinten los“
Das ist ein kleiner Ansatz, den ich mir zuletzt schon zu Herzen genommen habe. Motto: Scheiß da nix, dann feid da nix! Vergangenes Jahr im Europacup hat das hervorragend funktioniert. Da habe ich den Lauf besichtigt – und wollte bis zum Start nichts mehr hören und sehen. Und dann bin ich einfach gefahren.
Der Bruch in der zweiten Saisonhälfte ist also – zusammengefasst – reine Kopf- und keine Qualitätssache?
Qualitätssache auf keinen Fall! Stimmt alles, kann ich garantiert mit den Besten mitfahren. Der entscheidende Punkt, an dem sich Unsicherheit eingeschlichen hat, war wohl der Europacup in Turnau, bei dem ich nur Zwanzigster geworden bin. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, da teilzunehmen. Eine gute Trainingseinheit. Aber irgendwie ist dieses Vorhaben nach hinten losgegangen…
„Absolute Top-Platzierung gar nicht so unrealistisch“
Wie realistisch sind die Top 15?
Mein großes Ziel ist Platz eins. Wäre es das nicht, wäre ich fehl am Platz. Eine absolute Top-Platzierung ist gar nicht so unrealistisch. Zwei Durchgänge wie in Sölden oder Adelboden – und ich bin vorne dabei. Einfach befreit dasjenige machen, was ich kann. Ohne, dass der Rücken zwickt oder mich etwas anderes nervt.
Kannst Du mit den Stars der Szene wie Odermatt mithalten – oder ist das eine andere Galaxy?
Es kann schnell gehen. Das sieht man alleine in dieser Saison, in der Marco Odermatt nicht mehr unschlagbar gewesen ist. Jeder, der im Weltcup dabei ist und sein Bestes rausholt, kann vorne mitfahren.
Ungewollt geriet der Waidler in Adelboden in den Mittelpunkt
Immer wieder hast Du Probleme mit dem Rücken: Lassen sich diese nicht dauerhaft beseitigen?
Nein, leider nicht. Das habe ich irgendwie auch schon akzeptiert. Bis jetzt haben wir noch nicht die super Lösung gefunden. Und das werden wir wohl auch nicht. Da hat sich eine Entzündung gebildet, die immer wieder ausbricht. Mal ist es besser, mal schlechter. Die Belastung beim Skifahren ist in unseren Sphären einfach nicht gesund für den Körper. Jeder hat solche Wehwehchen. Und es geht darum, wer am besten mit diesen umgehen kann.
Ist für Dich die Teilnahme am Weltcup immer noch etwas Besonderes? Oder längst Alltag?
Es wird schon ein bisschen mehr Routine, dort mit dabei zu sein. Ich versuche mir immer wieder vor Augen zu halten, wo ich herkomme. Die FIS-Rennen, der Europacup – die Jahre, in denen ich mich durchgekämpft habe. Das erdet. Und dann wird mir immer wieder bewusst, dass es ein Privileg ist, im Weltcup dabei sein zu dürfen.
„…wieder so ein Lernprozess“
Muss der Weltcup nicht Alltag sein, damit Du Deine Top-Leistungen bringen kannst? Ist es dann nicht einfacher, einfach Sport zu machen – Stichwort: Intuition?
Auf alle Fälle. Der Mittelweg muss her. Das Reinschnuppern im Winter 23/24 war sehr wichtig für mich. Da habe ich viele Erfahrungen gesammelt, sodass ich zum Saisonauftakt in Sölden eine andere Sicherheit hatte als zuvor. Ich wusste, was auf mich zukommt. Ich habe mich nicht mehr so übermannen lassen wie bei den ersten Rennen im Weltcup.

Die Zahl an Riesenslalom-Weltcups ist sehr begrenzt. Denkst Du deshalb daran, auch in anderen Disziplinen an den Start zu gehen?
Wieder so ein Lernprozess. Ich habe heuer gemerkt, dass es ungewohnt ist, nur Weltcup zu fahren. Eigentlich bin ich eher der Typ, der lieber Rennen fährt als zu trainieren. Sind zwei Monate Pause zwischen zwei Wettkämpfen, tue ich mich schwer. Genau deswegen fahre ich nebenher inzwischen etwas Slalom und versuche, ein paar FIS-Punkte zu sammeln. Vielleicht baue ich auch mal einen Super G ein.
Ist es sehr schwierig, beispielsweise auch im Slalom an den Start zu gehen?
Grundsätzlich habe ich keine Probleme bei der Umstellung. Beim Slalom aber in den Weltcup zu kommen, ist schon eine Aufgabe. Ich muss mich dafür – genauso wie im Riesenslalom – über FIS-Rennen und den Europacup qualifizieren. Das ist kein Zuckerschlecken, die Konkurrenz ist riesig.
„Nur, weil ich Weltcup fahre, bin ich kein besserer Mensch“
Deine Erfolge, Dein steiniger Weg in den Weltcup, hat sich inzwischen herumgesprochen. Der ganze Bayerwald spricht über Dich, fiebert mit Dir. Regelmäßig bist Du im TV zu sehen und zu hören. Stehen Rennen von Dir an, werden in Deinem Heimatdorf Herzogsreut kurzerhand Feiertage ausgerufen. Wie gehst Du mit diesen Hype um? Beflügelt oder hemmt er Dich?
Das wirkt eher beflügelnd. Es ist cool, wenn meine Rennen so viele Leute mitreißen. Ich freue mich auch über jede Nachricht nach den Wettkämpfen. Der hohe Zuspruch ist mega. Es ist eine Ehre für mich, wenn ich meine Heimat auf der großen Bühne repräsentieren kann.
Es gibt also keine Phasen, in denen deshalb „drei große Steine“ mehr auf den Skiern stehen?
Nein, nicht wirklich. Hin und wieder denke ich mir, dass ich gerne für meine Unterstützter abgeliefert hätte. Da nerven mich dann schlechtere Ergebnisse doppelt. Es ist aber auch nicht so, dass ich verstärkten Druck verspüre deshalb.

Bist Du etwas Besonderes?
Ich fahre doch nur auf zwei Brettern den Berg hinunter. Ich bin nicht mehr wert als jeder andere. Nur, weil ich im Weltcup dabei bin, bin ich doch kein besserer Mensch. Meine Freunde nehmen mich so, wie ich bin – und umgekehrt. Und das soll sich auch nicht ändern.
Abschließend der Blick in die Zukunft: Wie stellst Du Dir diese vor? Sportlich und privat?
Ich möchte einfach so lange wie möglich das machen, was mir Spaß macht – und das ist Skifahren. Ich darf diesen Sport betreiben, ich muss es nicht. Wichtig ist mir die Vereinbarkeit mit dem Privatleben. Meine Freundin soll nicht zu kurz kommen. Genauso meine Familie. Sportlich möchte ich noch viel mehr erreichen. Mein Ehrgeiz ist ungebrochen.
Vielen Dank für das Gespräch – und alles Gute für die Zukunft.
Interview: Helmut Weigerstorfer