Berlin/Bernried. Sebastian Damm ist viel rumgekommen. Aufgewachsen ist er in Mittelsachsen, später verbrachte er eineinhalb Jahrzehnte in Düsseldorf. Seit 2021 lebt er in Bernried – und hat dort eine Heimat gefunden. In privat-persönlicher, aber auch in politischer Hinsicht. Denn der 45-Jährige, der sich im Hog’n-Interview vorstellt, ist Direktkandidat der Grünen im Wahlkreis Deggendorf (226)…
„Die Welt gerät zunehmend aus den Fugen“
Bitte stellen Sie sich zunächst unseren Lesern kurz vor.
Ich bin Sebastian Damm, 45 Jahre alt und arbeite als IT-Spezialist bei einem mittelständischen Telekommunikations-Unternehmen in Deggendorf. Ich lebe seit vier Jahren mit meiner Frau und unserem Labradoodle in Bernried. Aufgewachsen in Mittelsachsen, nach dem Studium beruflich für 15 Jahre im Rheinland untergekommen, haben mich die Landschaft und mein aktueller Arbeitgeber nach Niederbayern geführt. Mitglied bei den Grünen bin ich seit 2019, nach meinem Umzug 2021 habe ich mich hier im Vorstand des Kreisverbandes Deggendorf engagiert.
Bei der Integration ins Dorfleben helfen Vereine sehr. Ich bin aktives Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr Edenstetten, neben dem guten Gefühl, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben, helfen die Übungen und Abende im Floriansstüberl auch, den Sprachkurs „Niederbairisch“ zu meistern. Abseits der Politik bin ich oft draußen mit meiner Frau (und meist dem Hund) unterwegs, sei es in Wanderschuhen oder auch auf dem Rennrad.
Warum wollen Sie in den Bundestag einziehen?
Die Welt gerät zunehmend aus den Fugen. Sowohl politisch als auch klimatisch scheinen die stabilen Jahre hinter uns zu liegen. Allerdings können die Antworten auf die komplexen Herausforderungen der Zeit nicht einfache Rezepte aus der Vergangenheit sein. Die Politik muss größere Antworten geben. Die Lösungen der aktuellen Probleme liegen in vielen Fällen in den Technologien von heute und morgen. Als IT’ler bin ich in dieser Welt zuhause. Mit fachlicher Expertise und 20 Jahren Berufserfahrung bin ich der Richtige, um mitzuhelfen, unser Land fit für die Zukunft zu machen.
„Mehr Digitalisierung bedeutet weniger Bürokratie“
Welche politischen Ideen wollen Sie dort in erster Linie umsetzen?
Deutschland hat immer noch Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung. Noch immer sind ganze Orte ohne zeitgemäßen Breitbandzugang, und im Woid haben wir wohl alle unser Lieblings-Funkloch. Ich möchte den Ausbau beschleunigen, und ebenso die Digitalisierung der Behörden vorantreiben. Ich möchte von der Couch aus meinen Ausweis verlängern, das Auto oder auch meine Hochzeit anmelden können, ohne auf Öffnungszeiten der Ämter achten zu müssen. Daten, die in einer Behörde schon vorhanden sind, sollen an anderer Stelle genutzt werden können. Mehr Digitalisierung bedeutet auch gleichzeitig weniger Bürokratie, und somit eine Entlastung für die Wirtschaft.
Welche Themen aus ihrem Wahlkreis wollen Sie „im fernen Berlin“ in den Fokus rücken?
Mir ist die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger ein Anliegen. Jeder soll mit dem Auto fahren, wenn er oder sie das will. Aber dass Menschen auf das Auto angewiesen sind, um am öffentlichen Leben teilzunehmen, kann auch hier auf dem Land nicht richtig sein. Es ist aber leider die Regel. Der öffentliche Personennahverkehr ist außerhalb der Städte quasi nicht existent. Ebenso Radwege zwischen den Gemeinden im Wahlkreis. Das gilt es zu ändern. Die Ampel hat mit dem Deutschlandticket eigentlich ein wirklich gutes Instrument für bezahlbare Mobilität jenseits des Autos geschaffen. Leider ist es bislang für uns auf dem Land aber kaum von Nutzen, weil die nötige Infrastruktur fehlt.
„Parteien innerhalb der Ampel keine gute Figur abgegeben“
Inwiefern ist es überhaupt möglich, Themen des ländlichen Raums, der in Sachen Aufmerksamkeit und Bedeutung den Großstädten und Metropolregionen hinterherhinkt, auf Bundesebene zu platzieren?
Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten eine zunehmende Konzentration auf die Großstädte und Ballungszentren erlebt. Und damit sind dort auch viele Probleme entstanden, wie knapper Wohnraum, teilweise unbezahlbare Mieten, Verkehrskollaps, finanzielle Engpässe, verfallende Schulen und öffentliche Gebäude. Die Stärkung der ländlichen Regionen und die Steigerung der Attraktivität könnte dazu beitragen, den Druck etwas zu mindern.
Wir haben in der Corona-Zeit erlebt, wie Menschen wieder ihren Lebensmittelpunkt nach „außerhalb“ verlegt haben. Das Leben im ländlichen Raum ist durchaus attraktiv. Zum einen wegen der Nähe zur Natur, aber auch dank günstigerem Wohnen und z.B. besserer Kinderbetreuung. Wenn die Politik jetzt klug steuert, mit guter Infrastruktur und auch zum Beispiel dem Recht auf Homeoffice, könnte daraus ein Trend werden, von dem alle profitieren. Die Stadt, in der wieder Räume frei werden, und das Land, auf dem wieder mehr Leben einzieht.
Die Politikverdrossenheit, insbesondere was die Bundespolitik betrifft, nimmt immer mehr zu. Wie wollen Sie diesem Trend entgegenwirken?
Die Verdrossenheit entsteht aus meiner Sicht, weil vielfach nicht mehr Fakten zählen, sondern nur noch Bauchgefühl. Bei vielen Themen, die eigentlich sachlich geklärt werden könnten, verstrickt sich die Politik in Kultur- und Grabenkämpfen, Differenzen werden so lange hochgekocht, bis keine Einigung mehr möglich ist, ohne dass eine Seite vermeintlich ihr Gesicht verliert. Dafür haben die Bürgerinnen und Bürger zu Recht kein Verständnis. Hier haben sowohl die Parteien innerhalb der Ampel als auch die Union in der Opposition in der vergangenen Legislaturperiode keine gute Figur abgegeben.
„Bruch der Ampel eine Befreiung“
Diese Art Politik ist nicht meine. Ich gehe Probleme systematisch an, versuche, sie zu durchdringen und dann unter Abwägung verschiedenster Interessen eine evidenzbasierte pragmatische Lösung zu finden. Und dann muss natürlich eine entsprechende Kompromissfähigkeit innerhalb der demokratischen Parteien vorhanden sein, so dass eine für alle Seiten tragbare Entscheidung getroffen werden kann. Große Egos und ideologisches Beharren sind dafür nicht förderlich. Zu guter Letzt muss der gefundene Kompromiss dann auch noch erklärt werden, und zwar von allen Seiten. Und gerade bei diesem Schritt scheiterte die letzte Regierung zu oft.
Wie bewerten Sie generell das „Ampel-Aus“ und die in der Folge notwendig gewordenen vorgezogenen Wahlen?
Am Ende war der Bruch der Ampel eine Befreiung. Auch wenn der Zeitpunkt nicht ungünstiger hätte sein können. Am selben Tag, an dem Donald Trump die US-Wahl gewinnt, an dem Tag an dem Europa eigentlich Halt brauchte, zerbricht in der größten Volkswirtschaft Europas die Regierung. Ich hätte mir gewünscht, dass wenigstens die Haushaltsverhandlungen noch erfolgreich zu Ende geführt worden wären. Aber wie wir inzwischen wissen, hatte die FDP schon Wochen vorher den Plan geschmiedet, die Regierung platzen zu lassen. Aus meiner Sicht hat sie sich damit in der aktuellen Konstellation für kommende Regierungen disqualifiziert.
Zu Beginn der Regierungszeit hatte ich große Hoffnungen in die „Fortschritts-Koalition“ gesetzt. Und die Bilanz dessen, was erreicht wurde, ist deutlich besser als das öffentliche Bild, das die Regierung abgegeben hat. Ich hoffe, die nächste Regierung, wie auch immer sie aussehen wird, schafft es, die Ambitionen bei der Modernisierung des Landes und dem Klimaschutz beizubehalten, aber vermittelt dabei ein Bild der Geschlossenheit.
„Union hat ein düsteres Bild von Deutschland gezeichnet“
Die politisch (extremen) Ränder freuen sich über wachsenden Zuspruch in der Wählergunst. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung? Ist aufgrund dieser Entwicklung ein freies, offenes und demokratisches Deutschland ihrer Meinung nach in Gefahr?
Die Entwicklung besorgt mich. Die Parteien der extremen Ränder versprechen einfache Lösungen, meist mit altbewährten Rezepten. In unsicheren Zeiten sehnen sich die Menschen nach Halt in Bekanntem. Und die demokratischen Parteien haben es in den vergangenen beiden Legislaturperioden nicht verstanden, den Leuten mit einer Stimme zu erklären, wie drastisch sich die Welt gerade verändert und dass wir deshalb andere Wege gehen müssen.
Dazu kommt noch die Rolle der Union in der Ampel-Zeit. Sie hat in meinen Augen ihre Rolle als konstruktive Opposition gar nicht wahrgenommen. Sie hat – bei allen Herausforderungen, die wir zu lösen haben – ein düsteres Bild von Deutschland gezeichnet, und dabei nicht mit drastischen Worten gespart. Teilweise hat sie Positionen eingenommen, die kurz vorher noch außerhalb des demokratischen Diskurses beheimatet waren. Und wenn diese Positionen plötzlich sagbar werden, wählt man im Zweifelsfall halt das Original.
Noch sehe ich die Demokratie nicht in Gefahr. Allerdings sollten alle Parteien der demokratischen Mitte die drängenden Herausforderungen unserer Zeit – neben dem Klimawandel der größte technologische Umbruch seit der industriellen Revolution – anerkennen und dies gemeinsam angehen. Und zwar so, dass die Bürgerinnen und Bürger auch Verbesserungen in ihrem Leben spüren. Wenn dann die Lösungen der Extremisten auch wieder klar als solche erkennbar sind, dann wird der Rand auch wieder kleiner.
„Wünsche mir, dass Anstand in der Debatte zurückkehrt“
Welcher Person/ welcher Partei geben Sie am 23. Februar ihre Stimme?
Wenn ich schon mal mich selber wählen darf, dann werde ich das natürlich auch tun. Und die Zweitstimme bekommen die Grünen, weil sie als einzige derzeit im Parlament vertretene Partei ein schlüssiges Konzept von Zukunftsgestaltung haben – das Zusammenspiel von Ökonomie und Ökologie, gepaart mit sozialer Gerechtigkeit.
Abschließend der obligatorische Blick in die Zukunft: Welche drei Dinge wünschen Sie sich für die Bundesrepublik Deutschland?
Ich wünsche mir, dass der Anstand in die politische Debatte zurückkehrt. Mehr Ehrlichkeit, dass die Wählerinnen und Wähler als mündige Bürger behandelt werden, denen man auch mal unbequeme Wahrheiten zumuten kann. Und dass wir Wandel eher als Chance statt als Gefahr sehen.
Vielen Dank für das Interview – und alles Gute weiterhin.
Die Fragen stellte: Helmut Weigerstorfer