„Ich hab zu viele Entscheidungen nicht getroffen, in meinem Kopf sind zu viele Tabs offen. Ich hab zu viele Gedanken gleichzeitig zu denken. Ich habe damit zu tun, mich für alle zu verrenken und ich habe zu wenig Zeit, sie an mich zu verschenken. Ich bin zu wach, um zu schlafen und zu müde zum Schaffen. Ich habe zu viel damit zu tun, mir ständig Sorgen zu machen, über meine zu hohen Ziele und damit nicht aufzugeben, ich habe zu viele Pläne für ein so kurzes Leben.“
Diese Zeilen der Slam-Poetin Lisa Pauline Wagner sind mir kürzlich beim Scrollen durch Social Media begegnet. Der Beitrag der gebürtigen Österreicherin dauerte insgesamt nur wenige Minuten, doch trieb mir sofort die Tränen in die Augen. Er beschreibt auf eine sehr direkte und emotionale Weise genau das, was aus unserer Welt geworden ist: Ein Alltag voller Leistungsdruck, Hektik, Stress, To-Do-Listen, Sorgen, Erwartungen, Neid und Selbstoptimierung. Teil zwei unserer neuen Hog’n-Serie „Midlife Moods“.
Und mit meinen glasigen Augen bin ich sicher nicht allein. Vermutlich werden Millionen von Menschen durch solche Sätze getriggert. Denn wir befinden uns mittendrin im Hamsterrad. Wir haben keine Zeit mehr für nichts. Die Akkus sind leer. Der Kopf zu voll. Wir sind „durch“ – geistig und auch körperlich. Wir können nicht mehr und sehnen uns nach Ruhe, einer Pause vom Alltag – und das nicht nur für ein paar Stunden. Viele schieben diese Auszeiten auf das nächste Wochenende, auf die Ferien, auf die Rente. Für andere, wie mich, reichen Pausen an Sonn- und Feiertagen oder im Urlaub nicht mehr aus – die Zeit zur Regeneration ist zu knapp geworden. Wer nicht rechtzeitig etwas unternimmt, landet im Burnout – der Volkskrankheit unserer Leistungsgesellschaft, die uns dann zur nötigen Auszeit zwingt.
Wenn der Akku leer ist – zur Pause gezwungen
Soweit muss es natürlich nicht kommen. Das Internet ist voll mit Videos, E-Books, Podcasts und Ratgebern, die uns verklickern, wie wichtig Pausen sind, um unsere „Work-Life-Balance“ nicht außer Acht zu lassen. Das scheint aber nicht zu gelingen, denn: So richtig „ausgeglichen“ sind doch nur die wenigsten – „gestresst“ sein ist das dominierende Gefühl. Ich habe mich gefragt: Was ist eigentlich eine Auszeit, die sich wirklich positiv auf unsere Gesundheit auswirkt? Wie sieht die aus? Was tun wir da? Tun wir überhaupt etwas? Wie lange kann so eine Pause dauern? Ein paar Stunden oder auch einfach mal zwei Jahre? Geht das in unserer Gesellschaft überhaupt noch? Dürfen wir auch mal die „Stopp-Taste“ drücken – ohne Scham und Schuldgefühle? Oder haben wir einfach nur verlernt, wie man Pausen macht?

Jede Faser unseres Körpers, jede Hirnzelle schreit nach einer Pause – und doch machen wir manchmal weiter und übergehen uns einfach… Foto: pixabay
Ich hatte das Ding mit der Work-Life-Balance im vergangenen Jahr eigentlich ziemlich gut im Griff. Zumindest dachte ich das. Ich habe zwar Vollzeit gearbeitet, kleinere Nebenjobs gemacht, Hausarbeiten erledigt und was es eben sonst noch zu tun gibt (- bei den meisten ist die To-Do-Liste ja eine „Never Ending Story“). Aber ich hatte tatsächlich trotz acht Stunden Schlaf täglich noch ein bisschen Zeit übrig – und habe sie mit wirklich schönen Dingen gefüllt:
Ich war auf Konzerten, Stadtfesten, am maltesischen Meer, in der marokkanischen Wüste, in den slowenischen Bergen, für einen Kurztrip in London. Und habe auch sonst jeden freien Tag und jedes verlängerte Wochenende genutzt, um zu „leben“! Work-Life-Balance – check! Doch war der letzte Trip mit dem Zug nach Budapest nach ohnehin schon stressigen Weihnachtstagen einer zu viel? Jedenfalls geht seitdem nichts mehr: Schwindel, Müdigkeit, Erschöpfung. Diagnose unklar. Vermutlich Burnout. Krankgeschrieben. Zwangspause.
Pause ist nicht gleich Pause
Ich wurde nachdenklich. Ob meine „Pausen“ wirklich so erholsam für mich waren. Ob planen, buchen, packen, fahren, fliegen, Großstadt, Sightseeing und Roadtrips nicht eher noch mehr Stress verursachen – zwar positiven Stress (sog. Freizeitstress), aber eben immer noch Stress. Kann mein Körper überhaupt negativen und positiven Stress unterscheiden? Und wie sieht überhaupt eine echte, erholsame Pause für Körper und Geist aus?

Wie uns das Loslassen am besten gelingt, ist wohl sehr individuell – da können wir uns einfach ausprobieren. Foto: pixabay
Fernsehen und „Handydaddeln“ auf der Couch gehören vermutlich nicht dazu. Denn auch wenn wir dabei eine körperliche Entspannung erleben – unser Geist arbeitet weiterhin auf Hochtouren. Dann gibt es Menschen, die glauben, ihren Akku mit einem Besuch im Day Spa wieder aufladen zu können. Was sicher auch funktionieren mag – für den Moment. Doch ich glaube, um Yin und Yang, Spannung und Entspannung, langfristig ins Gleichgewicht zu bringen, braucht es mehr als ein schickes Wellness-Hotel.
Ich denke, wir müssen für unsere Auszeiten Wege finden, die uns tatsächlich „abschalten“ lassen – und das im wörtlichsten Sinne. TV aus, Handy aus, alle Medien aus – und dem Geist Momente der Stille geben, in denen er an nichts denken muss, sich um nichts sorgen muss, einfach loslassen kann. Wie uns das am besten gelingt, ist wohl sehr individuell – da können wir uns einfach ausprobieren. Der eine schwingt sich aufs Rad oder geht im Wald spazieren, der andere spielt ein Instrument, malt oder meditiert. Wir sollten versuchen, einen Weg zu finden, regelmäßig in der Stille und ganz bei uns selbst anzukommen, um die beiden Pole wieder in Einklang zu bringen.
Die bewusste Pause – das Sabbatical
Wenn wir merken, dass die kurzen Pausen – auch wenn sie wirklich erholsam sind – nicht mehr ausreichen, haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder wir machen weiter bis zum Burnout, zur Zwangspause – was ich niemandem empfehlen würde. Oder wir beugen vor, reagieren, bevor es zu spät ist. Die meisten von uns haben sicher schonmal von einem sog. Sabbatical gehört – also einer längeren Auszeit vom Job, vom Alltag -, in dem wir tun können, worauf wir Lust haben: endlich unser Hobby zum Beruf machen, die Welt bereisen oder ehrenamtliche Arbeit verrichten. Dinge, für die wir im normalen Leben eben nie Zeit haben.
„Man merkt nie, was schon getan wurde,
man sieht immer nur, was noch zu tun bleibt.“ (Marie Curie)
Viele kennen diese Möglichkeit, nutzen sie aber nicht, weil es scheinbar zu viele Hürden gibt: Der Arbeitgeber spielt nicht mit, wir haben zu wenig Geld dafür, Angst vor einer Lücke im Lebenslauf – und vor allem fehlt uns meist der Mut. Schließlich sieht es die Gesellschaft nicht so gerne, wenn man nicht mehr funktioniert, eine Pause braucht – unserer Berufung nachgehen können wir ja auch noch im Ruhestand…
„Manche halten einen ausgefüllten Terminkalender,
für ein ausgefülltes Leben.“ (Gerhard Uhlenbruck)
Doch wer anfängt, sich davon zu lösen, loszulassen, in sich hinein zu hören, der kann trotz vermeintlicher Hindernisse einen Weg finden – es gibt zahlreiche Möglichkeiten, ein Sabbatical umzusetzen. Wir müssen nur anfangen, uns damit auseinanderzusetzen und die erste Tür aufzustoßen.
„Die Leistungsgesellschaft ist längst abgelöst,
durch die Hochleistungsgesellschaft.“ (Ernst Reinhardt)
Wie lange ihr euch Zeit nehmt und was ihr tun möchtet, liegt ganz bei euch! Aber nehmt euch Pausen – echte Pausen. Und habt Mut, entspannt euch und atmet… ihr dürft das, denn ihr seid der wichtigste Mensch in eurem Leben!
Eure Jenny Seestern