Berlin/Passau. Die Wahrscheinlichkeit, dass Johanna Seitz dem nächsten Bundestag angehören wird, ist eher gering. Das liegt vor allem daran, dass ihre Partei, die ÖDP, eine typische Kleinpartei ist, die nur auf kommunaler Ebene in Gremien vertreten ist. Trotz alledem nimmt die 23-Jährige ihre Direktkandidatur im Wahlkreis Passau (228) nicht auf die leichte Schulter, wie im Hog’n-Interview deutlich wird…
„Stehe für Politik ohne Einfluss von Parteispenden“
Bitte stellen Sie sich zunächst unseren Lesern kurz vor.
Ich bin Johanna Seitz und 23 Jahre alt. Ich wohne in Passau, habe Grundschullehramt studiert und bin seit September 2024 Lehramtsanwärterin an einer Grundschule im Landkreis Passau. In meiner Freizeit treibe ich gerne Sport, vor allem fahre ich gerne Rennrad und gehe ins Fitnessstudio. Im Sommer schwimme ich gerne. Mein politischer Werdegang startete 2019 mit dem Beitritt in das Orga-Team des „Fridays for Future“-Ortsverbandes in Passau.
In diesem Rahmen habe ich Urban Mangold von der ÖDP kennengelernt. Inzwischen bin ich stellvertretende Vorsitzende der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) Niederbayern und Passau Stadt. Im März 2020 habe ich den Einzug in den Passauer Stadtrat knapp verpasst. Bei der Bundestagswahl 2021 und den Bezirkstagswahlen 2023 war ich Direktkandidatin.
Warum wollen Sie in den Bundestag einziehen?
Ich möchte im Bundestag die Perspektiven und Anliegen der Menschen aus der Region Passau vertreten. Es braucht frischen Wind, ehrliche Politik und klare Prioritäten. Ich stehe für eine Politik, die ohne Einfluss von Parteispenden agiert. Für mich ist diese Unabhängigkeit ein zentraler Baustein, um sich für diejenigen Themen einzusetzen, die den Bürgerinnen und Bürgern wichtig sind – unabhängig von den Wünschen wirtschaftlicher Interessenvertretungen. Wie potentiell gefährlich für die Demokratie eine Verschränkung von Wirtschaft und Politik sein kann, wird womöglich schon bald in den USA unter Musk und Trump zu beobachten sein.
Welche politischen Ideen wollen Sie dort in erster Linie umsetzen?
Ich möchte das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger gerne wieder in Richtung Umwelt- und Klimaschutz lenken. Ich habe das Gefühl, dieses Thema gerät in letzter Zeit aufgrund vielschichtiger Krisen und sonstiger Baustellen in Vergessenheit. Mir ist bewusst, dass wir uns in Deutschland momentan in einer wirtschaftlich schwierigen Lage befinden; das begrenzt natürlich den finanziellen Spielraum.
„Klima- und Umweltschutz negativ konnotiert“
Ich halte es aber für falsch, das Thema Klimaschutz völlig auszublenden und nur noch dann zu thematisieren, wenn die nächste Flut enorme Schäden anrichtet. Es gibt zahlreiche Berechnungen und Modelle, die zeigen, dass sich Klimaschutz vor allem auch wirtschaftlich lohnt. Ich glaube, das kommt bei vielen aber nicht in dieser Form an. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern sind die Worte „Klima- und Umweltschutz“ negativ konnotiert. Das möchte ich ändern.
Ich bin außerdem der Auffassung, dass ein Festhalten am Status Quo Deutschland nicht zurück auf seinen Erfolgsweg führt. Deutschland muss fit werden für die Zukunft – wir sollten wieder eine Vorreiterrolle in der EU einnehmen. Das bedeutet auch, dass wir bereit sind, die Mobilitätswende anzupacken. Die Deutsche Bahn steht mit ihren Verspätungen und Missständen nahezu sinnbildlich für den bisherigen Stand der Mobilitätswende in Deutschland. Die DB ist leider zu selten eine echte Alternative zum Auto. Auch auf Deutschlands Straßen sieht es selten besonders gut aus – wie sich medial zuletzt vor allem durch zahlreiche baufällige Brücken gezeigt hat.
„Brücken bauen“ ist in diesem Kontext gleichzeitig ein passendes Stichwort: Auto und ÖPNV sollten, wie ich finde, nicht in einem Konkurrenzverhältnis gesehen werden. Vielmehr können und sollten sie sich ergänzen. Ich halte es beispielsweise für sinnvoll, den Ausbau von „Park and Ride“-Zentren mehr in den Fokus zu nehmen. Denn diese ermöglichen es Bürgerinnen und Bürgern außerhalb der Stadt in Richtung Stadt zu pendeln, die letzten Kilometer übernimmt hingegen der ÖPNV. In der Stadt gibt es weniger Autos, mehr freie Flächen und die Bürgerinnen und Bürger stehen weniger im Stau oder nutzen ihre Zeit für andere Dinge als eine Parkplatzsuche.
„Kein Auto-Bashing, kein ÖPNV-Bashing“
Schließlich bin ich der Auffassung, Deutschland muss zwingend bürokratische Hürden abbauen und die Digitalisierung vorantreiben. Anträge, Baumaßnahmen – vieles dauert zu lange und ist zu kompliziert. In diesem Bereich ist viel Luft nach oben.
Welche Themen aus ihrem Wahlkreis wollen Sie „im fernen Berlin“ in den Fokus rücken?
Wie bereits angedeutet, ist das Auto als Fortbewegungsmittel für viele Menschen unverzichtbar. Deshalb sollte zwischen ÖPNV und Auto kein Konkurrenzverhältnis herrschen oder herbeigeschworen werden. Ich denke, es ist wichtig, dass sich das System Auto und das System ÖPNV ergänzen. Ich bin der Meinung, eine solche Einordnung würde gesellschaftlich auch auf Zustimmung treffen: Kein Auto-Bashing, kein ÖPNV-Bashing, sondern Vorschläge, um eine Infrastruktur zu schaffen, die alle Bürgerinnen und Bürger mitnimmt – physisch und im übertragenden Sinne.
Inwiefern ist es überhaupt möglich, Themen des ländlichen Raums, der in Sachen Aufmerksamkeit und Bedeutung den Großstädten und Metropolregionen hinterherhinkt, auf Bundesebene zu platzieren?
Ich stimme zu, dass Themen des ländlichen Raums häufig weniger Aufmerksamkeit zukommt als typisch urbanen Themen. Dabei wird leider vergessen, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung eben nicht in Großstädten lebt. Damit geht Hand in Hand, dass ein großer Teil der Bevölkerung von den spezifischen Herausforderungen des ländlichen Raums betroffen ist.
„Es fehlt an Vertrauen in die Politik“
Allerdings ist es, wie ich finde, ebenso wenig zielführend, die Themen der jeweiligen Regionen gegeneinander aufzuwiegen und Land und Stadt gegeneinander auszuspielen. Themen des ländlichen und des urbanen Raums müssen gleichermaßen Einzug in der politischen Tagesordnung finden. Unterschiede müssen erkannt, gleichzeitig sollten aber auch Gemeinsamkeiten sichtbar gemacht werden. Insgesamt halte ich es für wichtig, dass Mandatsträger einen Querschnitt der Gesellschaft abbilden. Ein solcher Pluralismus ist erforderlich, um verschiedene Sichtweisen und Themenschwerpunkte auf die politische Tagesordnung zu bringen.
Die Politikverdrossenheit, insbesondere was die Bundespolitik betrifft, nimmt immer mehr zu. Wie wollen Sie diesem Trend entgegenwirken?
Zunächst denke ich, dass der Vorwurf der „Politikverdrossenheit“ keine Neuerscheinung ist. Ein pauschaler Vorwurf ist aus meiner Sicht aber nicht zielführend, da er implizit die These beinhaltet, man könne die Leute ohnehin politisch nicht mehr abholen. Ich denke, eine solche These ist falsch. Aufgabe der Politik ist es, die Frage zu stellen, wie die Bürgerinnen und Bürger abgeholt werden können, nicht ob diese überhaupt noch erreicht werden können.
Ich denke, dass das medial häufig beschriebene „Die-da-oben“-Gefühl vor allem aus Enttäuschung und falscher politischer Kommunikation entsteht. Letztlich fehlt es womöglich auch am Vertrauen in die Politik und die politischen Akteure. In wenigen Fällen mag auch das allgemein fehlende Interesse an Politik eine Rolle spielen.
„Hätte mir mehr Professionalität innerhalb der Regierung gewünscht“
Ich möchte durch transparente Kommunikation, echte Bürgerbeteiligung und klare, nachvollziehbare Entscheidungen Vertrauen in die Politik und ihre Akteure zurückgewinnen. Wir müssen ein „Die-da-oben“-Gefühl verhindern. Politikerinnen und Politiker sind gewählte Vertreter des Volkes, keine Auserwählten. Jeder kann mitwirken und mit seinem Handeln etwas bewirken. Deswegen müssen Formen der Bürgerbeteiligung unbedingt gefördert werden. Für die ÖDP sind Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung schon immer ein Kernthema.
Wie bewerten Sie generell das „Ampel-Aus“ und die in der Folge notwendig gewordenen vorgezogenen Wahlen?
Ich finde es insgesamt bedauerlich, dass es zu einem solch drastischen Schritt kommen musste. Mich hat aber vor allem überrascht, mit welcher Polemik das Ampel-Ende von den Regierungsakteuren kommuniziert wurde. Die Konflikte so offen und aufgeheizt von gegenseitigen Vorwürfen und Schuldzuweisungen in der Öffentlichkeit auszutragen, hat sicherlich bei einigen Bürgerinnen und Bürgern das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Regierung erschüttert. Das nach außen Tragen der Konflikte hat sich wie ein roter Faden durch die Regierungszeit der Ampel gezogen. Ich hätte mir insgesamt eine andere Herangehensweise und ein mehr an Professionalität bei der Kommunikation innerhalb der Regierung gewünscht.
Die politisch (extremen) Ränder freuen sich über wachsenden Zuspruch in der Wählergunst. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung? Ist aufgrund dieser Entwicklung ein freies, offenes und demokratisches Deutschland ihrer Meinung nach in Gefahr?
Der Zuwachs an den extremen Rändern liegt unter anderem an der sozialen und wirtschaftlichen Unsicherheit vieler Menschen. Rand-Parteien bieten häufig einfache Antworten auf Probleme. Nicht selten sind diese Antworten nur scheinbarer Natur. Das ist natürlich nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Ich bin deshalb der Auffassung, es ist Aufgabe der Parteien der politischen Mitte, entschlossen darzulegen, an welchen Stellen die vermeintlich einfachen Lösungen an ihre Grenzen stoßen oder gar falsch und/oder impraktikabel sind.
„Ehrliche Politik ohne Lobbyismus“
Ich sehe es außerdem als Angelegenheit aller Politikerinnen und Politikern der politischen Mitte, in einen respektvollen Austausch miteinander zu treten und nicht gleichermaßen mit Stammtischparolen oder unterkomplexen Lösungen um sich zu werfen.
Welcher Person/ welcher Partei geben Sie am 23. Februar ihre Stimme?
Ich werde die ÖDP wählen – für eine ehrliche Politik ohne Lobbyismus und Parteispenden.
Abschließend der obligatorische Blick in die Zukunft: Welche drei Dinge wünschen Sie sich für die Bundesrepublik Deutschland?
- Mehr Zusammenhalt innerhalb der deutschen Gesellschaft
- Eine stabile Regierung, die einen Blick für Zukunftsthemen hat und keine rückwärtsgewandte Politik betreibt
- Enge Zusammenarbeit mit den europäischen Bündnispartnern
Vielen Dank für das Interview – und alles Gute weiterhin.
Die Fragen stellte: Helmut Weigerstorfer