Berlin/Zenting. Ihr Weg zeigt, dass so gut wie alles möglich ist. Erst absolvierte Rita Hagl-Kehl nach ihrem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zur Damenschneiderin. Es folgten das Abitur über eine Abendschule, ein Lehramtsstudium sowie fünf Jahre als Deutsch- und Geschichtslehrerin am Gymnasium Freyung, ehe sie 2013 erstmals in den Bundestag eingezogen ist. Und in Berlin will die Zentingerin, Direktkandidatin der SPD im Wahlkreis Deggendorf (226), weiterhin große Politik machen, wie sie im Hog’n-Interview betont.
„Fühlte mich verpflichtet, etwas zurückzugeben“
Bitte stellen Sie sich zunächst unseren Lesern kurz vor.
Ich bin 54 Jahre alt, verheiratet und habe vier Kinder in einer Patchwork-Familie großgezogen. Mittlerweile habe ich bereits vier Enkel, die mir viel Freude bereiten. Mein Lebensmittelpunkt ist, trotz meiner Arbeit in Berlin, meine Heimatgemeinde Zenting.
Vor meiner Arbeit als Abgeordnete war ich Lehrerin am Gymnasium Freyung, was mir großen Spaß bereitet hat. Der Wunsch, unsere Zukunft zu gestalten, liegt mir im Umgang mit Jugendlichen genauso am Herzen, wie bei der politischen Arbeit im Bundestag. Mein Engagement für die Politik ist groß, aber ich habe nichts davon minutiös geplant. Ich bin da eher reingeraten und fühlte mich verpflichtet, den Leuten und meinem Land dienlich zu sein – etwas zurückzugeben und mich für meine Region einzusetzen.
Als Deutsch- und Geschichtslehrerin überrascht es vermutlich nicht, dass ich gerne lese oder auf meinen langen Fahrten Hörbücher höre. Um vom Trubel mal abschalten zu können, verbringe ich gerne mal einen Nachmittag im Garten und kümmere mich um meine Blumen. Ich bin außerdem Mitglied im Gartenbauverein und im Katholischen Frauenbund in Zenting sowie Vorsitzende der Seliger-Gemeinde Niederbayern-Oberpfalz.
„Kein Platz für Leute, die sich abgeschnitten fühlen“
Warum wollen Sie in den Bundestag einziehen?
Der Bundestag ist der Ort, an dem die wichtigen Entscheidungen für unser Land getroffen werden. Wenn man etwas verändern will, führt kein Weg an Berlin vorbei. Dort war in den vergangenen Jahren mein Platz, um für die Leute, die sich vom Politikzirkus abgeschnitten fühlen, Interessen durchzusetzen und anständig zu vertreten. Das würde ich natürlich gerne weiterhin tun.
Welche politischen Ideen wollen Sie dort in erster Linie umsetzen?
Meine politische Arbeit ist von den Grundwerten unserer Demokratie und den Leitlinien der SPD geprägt. Wir machen in Deutschland gerade keine leichte Zeit durch, deswegen ist es wichtig, dass wir unsere Wirtschaft stärken. Das geht nur durch Investitionen. Genauso verhält es sich mit Bildung und Infrastruktur. Mit einem Finanzminister, der das Einmaleins seines Ministeriums verstanden hat, könnte man das endlich angehen. Von nichts kommt nichts, deswegen müssen wir mit Investitionen jetzt den Weg für unsere Zukunft und die unserer Kinder und Enkel ebnen.
Welche Themen aus Ihrem Wahlkreis wollen Sie „im fernen Berlin“ in den Fokus rücken?
Im Bayerischen Wald und dem Donautal gibt es viele Probleme, die es in den großen Städten so nicht gibt. Entfernungen sind größer, Verkehrsmittel rar gesät – ohne Auto ist man da aufgeschmissen. Der Schienenverkehr muss beispielsweise weiter ausgebaut werden und erschwinglich sein. Durch die Inflation merken auch hier viele Menschen, dass sie weniger für ihr Geld bekommen.
„Kitas und Schulen endlich gut und verlässlich“
Ich möchte, dass die Einkommenssteuer gesenkt wird, damit vom erarbeiteten Geld mehr übrigbleibt. Wir haben hier viele mittelständische Unternehmen, die wir entlasten sollten. Und ich will sehen, dass Kitas und Schulen endlich gut und verlässlich sind. Das Mittagessen soll für alle Kinder kostenlos sein. Und nicht auf niedrigem Niveau, sondern bestenfalls mit hochwertigen Produkten von den zahlreichen Bauern und Unternehmen hier in der Region; davon haben wir ja genug. Das ist nicht zu viel verlangt und den Anspruch haben die Menschen hier.
Inwiefern ist es überhaupt möglich, Themen des ländlichen Raums, der in Sachen Aufmerksamkeit und Bedeutung den Großstädten und Metropolregionen hinterherhinkt, auf Bundesebene zu platzieren?
Das geht, indem man den Leuten hier zuhört und in Berlin dementsprechend Furore macht. Ich bin hier ständig unterwegs – in Unternehmen, ehrenamtlichen Einrichtungen, den Ortsvereinen etc. Da bekommt man immer gesagt, was falsch läuft. Das nehme ich dann mit nach Berlin und versuche, dort in die richtige Richtung zu drängen.
Als Niederbayerin aus Zenting kann das mitunter sehr mühsam sein, aber in meiner Partei bin ich ja nicht die Einzige, der diese Themen am Herzen liegen. Ich war noch nie damit zufrieden, mich einfach mit den Gegebenheiten abzufinden. Themen klar benennen, Mehrheiten und Unterstützung finden und dann umsetzen – das ist der Weg, den man nehmen muss. Das sagt mir meine Erfahrung.
„Probleme sind das Ergebnisse jahrzehntelanger Fehler“
Die Politikverdrossenheit, insbesondere was die Bundespolitik betrifft, nimmt immer mehr zu. Wie wollen Sie diesem Trend entgegenwirken?
Dafür gibt es kein Allheilmittel. Ich glaube auch nicht, dass gute Politik immer für sich spricht. Man muss sie den Leuten mitteilen. Ihnen erklären, welche Arbeit man macht und wie schwierig es ist, Kompromisse mit Menschen und Parteien zu finden, die grundlegend anderer Meinung sind als man selbst. Wenn man sich erklärt und die Leute erkennen, dass sich was tut, dann sehen sie auch nicht nur das Schlechte.
Das Problem ist, dass wir in einer Zeit leben, in der manche den Untergang des Abendlandes ausrufen, wenn was nicht so läuft, wie gewünscht. Manche Probleme sind das Ergebnis jahrzehntelanger Fehler. Das auszubügeln und in die richtige Richtung zu schubsen, braucht leider viel Fleiß und Geduld. Eigenschaften, mit denen nicht alle etwas anfangen können.
Wie bewerten Sie generell das ‚Ampel-Aus‘ und die in der Folge notwendig gewordenen Neuwahlen?
Die Worte des Kanzlers zum Aus der Regierung kann ich nur so unterschreiben. Unter einer SPD-geführten Regierung wird es keine Politik auf Kosten der Ärmeren in unserem Land geben. Dass das überhaupt zur Debatte stand, bis die Intriganz der FDP schließlich aufgeflogen ist, ist ohnehin beschämend. Der ehemalige Finanzminister hat seiner Partei und den Wählerinnen und Wählern einen wahren Bärendienst erwiesen, indem er willentlich und wissentlich mit absurden Vorschlägen unsere Regierung manipuliert hat. Vor diesem Hintergrund waren Neuwahlen eindeutig die einzige Möglichkeit.
„Das ist ungesund und bedroht unsere Gesellschaft“
Die politisch (extremen) Ränder freuen sich über wachsenden Zuspruch in der Wählergunst. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung? Ist aufgrund dieser Entwicklung ein freies, offenes und demokratisches Deutschland Ihrer Meinung nach in Gefahr?
In Zeiten von Krisen und Schwierigkeiten sind die Menschen anfälliger für extreme Parteien. Das war schon immer so und wird sich vermutlich nicht ändern. Jedoch haben auch fragwürdige Gender-Debatten und ein immer rauer werdender Ton in den Sozialen Medien zu mehr Polarisierung geführt. Nicht das Gendern sollte im Fokus stehen, sondern soziale Gerechtigkeit und Pläne für ein zukunftsfähiges Land. Realpolitik, keine ideologischen Luftschlösser.
Menschen, die früher nur hinter vorgehaltener Hand Naziparolen geflüstert haben, wähnen sich jetzt in bester Gesellschaft. Die finden jetzt leichter Anschluss und merken, dass sie mit ihren Ansichten nicht allein sind. Das ist ungesund und bedroht auf jeden Fall unsere Gesellschaft. Wohin das führt, sieht man teilweise in Europa, jedoch am besten in den USA. Dort wird ein streitsüchtiger Lügner zum Präsidenten gewählt, weil der politische Diskurs sich nur noch mit plakativen Schlagzeilen beschäftigt.
Die wichtigen Themen sind einfach nicht so gut medial auszuschlachten. Ich denke, dass wir aufhören müssen, jede Meinungsverschiedenheit als politisches Statement zu betrachten und wir sollten wieder eine faire Diskussionskultur etablieren. Mehr Konzentration auf die wirklichen Probleme, weniger ideologische Identitätspolitik.
„… muss man kein Prophet sein…“
Welcher Person/welcher Partei geben Sie am 23. Februar Ihre Stimme? Und warum?
Ich mache meine Wahlentscheidungen in der Regel nicht öffentlich. Aufgrund meiner Werte und Vorstellungen muss man jedoch kein Prophet sein, um meine Stimmen vorherzusagen.
Abschließend der obligatorische Blick in die Zukunft: Welche drei Dinge wünschen Sie sich für die Bundesrepublik Deutschland?
Ich erhoffe mir eine stabile Regierung, die die richtigen Entscheidungen trifft. Denn es gibt viele Herausforderungen, die auf uns warten. Ich wünsche mir, dass wieder mehr Frieden einkehrt und die tobenden Kriege endlich ein Ende finden. Ich hoffe, dass die Grundwerte unserer Demokratie alle Krisen überstehen und wir an den Hürden als Gesellschaft wachsen und resilienter werden.
Vielen Dank für das Interview – und alles Gute weiterhin.
Die Fragen stellte: Helmut Weigerstorfer