Neukirchen beim Heiligen Blut. „Des is nur ein Riss in der Bauchdecke, des is net weiter tragisch“, sagt Sepp Maurer, als wir ihn am Telefon erreichen. Er liegt gerade zuhause auf der Couch, um sich von einem aus seiner Sicht kleinen operativen Eingriff zu erholen. Seine Stimmung ist gelassen, er freut sich hörbar über den Interviewtermin. Und schnell wird klar, aus welchem Holz der 46-Jährige geschnitzt ist: Sepp Maurer ist ein „Hoglbouchana“ , wie man im Bayerischen Wald Menschen bezeichnet, die als besonders robust und zäh gelten. Einfach unverwüstlich. Oder kurz gesagt: „Made in Hell“ …

Bei der Premiere von „Made in Hell„: Sepp Maurer mit Freundin Jasmin Rank (Mitte), Bruder Lucki Maurer (links) mit Frau Stephanie und Boxer Robin Krasniqi (rechts) mit Frau Marigona. Schon bald soll der Film auch für die größten deutschen Online-Streaming-Kanäle bereitstehen. Fotos: Sepp Maurer
„Made in Hell“ – so lautet nicht nur der Titel des Buchs, das der mehrmalige Deutsche Meister im Kreuzheben und Inhaber der Sportschule KINEMA gemeinsam mit Autorin Diana Binder vor rund zwei Jahren veröffentlichte, sondern so heißt auch die Dokumentation, die vor wenigen Wochen unter großer medialer Aufmerksamkeit erfolgreich in Cham Premiere feierte.
Der Film berichtet über sportliche Höchstleistungen, eisenharten Willen und den unbändigen Zusammenhalt eines wohl einzigartigen Teams. Darin kommen mitunter Box-Weltmeister Robin Krasniqi, die dreifache Box-Weltmeisterin Tina Rupprecht, Ski-Weltcupfahrer Jonas Stockinger, Rallye-Legende Walter Röhrl, Motorradrennfahrer Jorge Navarro sowie viele weitere Wegbegleiter Maurers zu Wort. Mit seinem Trainer-Knowhow hat er vielen Spitzensportlern aus den unterschiedlichsten Bereichen in den vergangenen 20 Jahren den Weg zum Erfolg gewiesen und sie begleitet.
Doch der Athletik-Trainer aus dem südöstlichen Landkreis Cham hat nicht nur eine harte Schale, sondern auch einen weichen Kern – und vor allem ein großes (Waidler-)Herz, wie im folgenden Gespräch mit dem Onlinemagazin da Hog’n deutlich wird:
Ein schicksalsträchtiger Unfall
Sepp: Dein Film „Made in Hell“ hat im Dezember Premiere gefeiert – warum dieser Titel?
Zum einen wohnen wir auf der Höllhöhe, die auf Boarisch ja Hellheh’n genannt wird. Zum anderen trägt unser Steinheber-Cup, der vor mehr als 20 Jahren erstmals stattgefunden hat, den Namen HellHill-Cup. Aufgrund der Geschichte mit meinem Bein hat dann irgendwann mal einer – vermutlich einer meiner ehemaligen Sportler – gemeint: Du bist ja wirklich made in Hell‘, so krass wie du dich zurück gekämpft hast und wieder Gewichte hebst, obwohl das ganze Bein kaputt war.
Was hatte es mit deiner Verletzung damals auf sich?
Die Verletzung ist nun ziemlich genau 20 Jahre her – und ist im Endeffekt der Ursprung von allem. Ich hatte damals einen Motorrad-Unfall, als ich mit meiner Motocross im Wald unterwegs war. Dabei hatte ich mir das Bein gebrochen – eigentlich keine große Sache, nicht wirklich schlimm. Doch der Knochen ist nicht mehr richtig zusammengewachsen – und dann sind aus einer Operation irgendwann einmal 30 geworden. Ich bin dann dreieinhalb Jahre mit Krücken rumgelaufen und konnte nicht mehr richtig gehen.
Kurz vor einer möglichen Amputation habe ich natürlich versucht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um diesen Schritt zu vermeiden. Und im Zuge all dieser Probleme und Schwierigkeiten ist schlussendlich der Entschluss gefasst worden, die Sportschule Kinema zu gründen, in der mittlerweile Experten aus vielen Bereichen beschäftigt sind. Ja, man kann sagen: Ich hab das alles diesem Bein zu verdanken. Ich habe mich zurück gekämpft ins Leben – es war ein überaus harter Kampf. Wenn ich gewusst hätte, wie hart dieser Kampf wird, hätte ich mir – im Nachhinein betrachtet – das Bein lieber abnehmen lassen…
Der Moment der Hoffnung
Das klingt alles sehr einschneidend und fordernd.
Das Bein hat mein Leben bestimmt. Es hat mindestens zehn Jahre gedauert, wieder so fit zu werden wie zuvor. Es sind zehn Jahre vergangen, bis ich wieder normal gehen konnte. Vor der Verletzung war ich voll im Saft, sportlich aktiv, war in Form – und ich es war viel Energie und Aufwand nötig, um dieses Level wieder zu erreichen.

Am Limit: Sepp Maurer bei seinem Weltrekord-Versuch mit künstlichem Kniegelenk – und 320 Kilogramm auf der Stange.
Doch weil das Bein so kaputt war, wurde letzten Endes ein künstliches Kniegelenk nötig. Nach der Operation im Jahr 2020 hat mein Körper das neue Gelenk gut angenommen – sogar so gut, dass in mir die Idee gewachsen ist, einen Weltrekord im Gewichtheben aufzustellen. Ein Unterfangen, das schlussendlich auch geklappt hat (lacht): Mit 320 Kilogramm bin ich nun Träger des inoffiziellen Weltrekords beim Gewichtheben mit künstlichem Kniegelenk. Nur zum Vergleich: Selbst wenn man kein künstliches Kniegelenk hat, kann man mit diesem Gewicht bei einer Europameisterschaft starten. Daher war die Freude umso größer…
Leid, Schmerz und Erfolg gehören offensichtlich zum Leben von Sepp Maurer dazu – welches dieser drei Elemente hat überwogen?
Im Endeffekt bin ich ja ein sehr positiv eingestellter Mensch, deshalb tendiere ich zum Erfolg. Mein erster riesengroßer Erfolg war, als ich mit meinem lädierten Bein wieder aufstehen und allein aufs Klo gehen konnte. Das war der Moment, in dem ich wieder Hoffnung geschöpft habe…
Sepp und die Waidler-Mentalität
Würdest du sagen: Ohne Schmerz und Leid gibt’s keinen Erfolg?
Ja, das würde ich so unterschreiben. Das ist meine Lebensanschauung. Mag sein, dass es auch anders geht, aber im Endeffekt ist es immer so – egal, was man macht: Es muss sich entwickeln und man muss in Vorlage gehen, investieren – entweder mit Geld, mit Schmerzen, mit extremem Aufwand, was das Training betrifft, was die Arbeit betrifft. Und dann kommt der Erfolg von allein. Eine Errungenschaft, die mir einfach so in den Schoß fällt, kann ich nicht als Erfolg werten. Deshalb sag ich häufig: Ich möchte nicht im Lotto gewinnen. Das ist mein voller Ernst. Ich möchte das nicht, ich würd das Geld verschenken oder damit soziale Projekte unterstützen. Weil ich’s mir nicht selbst verdient habe, könnte ich das Geld nicht annehmen.
Ich bin ein Mensch, der generell nicht viel braucht zum Leben. Solange ich meinen Schnupftabak habe, ich trainieren kann und mit meiner Familie alles passt, brauche ich nichts. Und wenn man etwas will, muss man auch etwas dafür tun – das ist mein Lebensmotto. So sind mein jüngerer Bruder und ich erzogen worden. Das entspricht auch der Waidler-Mentalität. Ich freue mich über alles Positive, was in den letzten Jahren in meinem Leben passiert ist und bin sehr dankbar für all das. Aber wenn es einmal nicht mehr so sein sollte, dann ist’s eben so – und ich muss mich anstrengen, damit ich’s wieder zum Positiven verändern kann.

„Wir haben miteinander alles geschafft“, sagt Sepp Maurer über den von ihm trainierten Box-Champion Robin Krasniqi (Mitte, rechts).
Den Film hast du dir gewiss schon ein paar Mal angeschaut mittlerweile. Wie gefällt er dir insgesamt? Was sind aus Deiner Sicht die schönsten, die emotionalsten Momente?
Zunächst: Eine Sache gefällt mir nicht ganz so gut (schmunzelt): Nämlich die Szene, in der ich mit meinen Eltern im Biergarten sitze. Das würde ich heute etwas anders machen, weil es sehr… (überlegt)… wie soll ich’s sagen… sehr dialekt-lastig ist (lacht) bzw. generell sehr wenig gesprochen wird. Einfach so, wie wir Waidler eben sind – wir kommen mit sehr wenigen Worten aus. Auf Zuschauer, die die Mentalität der Waidler nicht kennen, mag das Ganze etwas komisch wirken. Aber für Einheimische ist’s super (lacht)…
Gelungen sind die Szenen mit Robin Krasniqi. Die gehören zu meinen Favoriten. Genauso der Ausschnitt mit Johannes, dem kleinen Buben, dem ich auf die Beine geholfen habe. Und dann am Schluss die Worte von Skifahrer Jonas Stockinger. Das ist schon sehr berührend – und ich musste das ein oder andere Mal eine Träne verdrücken…
Sepp und seine Schützlinge
Was sagt Jonas denn zum Schluss?
Seine Geschichte ist ja relativ ähnlich zu der von Robin Krasniqi. Jonas wurde ja zur Corona-Zeit aus dem Verband genommen, was für ihn ein harter Schlag war. Und dann hat er sich wieder hochgekämpft, ist wieder aufgestanden und hat gefightet. Er ist ein unfassbar begnadeter Skifahrer und ein Mega-Talent. Er hat sich in kürzester Zeit mittels Athletik-Training empor gearbeitet, sodass er heute Weltcup-Rennen fährt. Wir haben das miteinander geschafft – und das hat er im Film nochmals unterstrichen, was mich sehr berührt hat.

Mit großer Begeisterung verfolgte das Premieren-Publikum – darunter die Protagonisten – Sepp Maurers Film „Made in Hell“ Mitte Dezember im Chamer Kino „Cine-World“.
Wie kommt der Film beim Publikum an? Welche Reaktionen hast du bislang bekommen?
Die Schlange vor dem Kino war mehrere hundert Meter lang. Bei der Premiere in Cham gab’s am Ende Standing Ovations. Die Betreiberfamilie Wittmann hat gemeint, das sei der größte Andrang, den sie jemals erlebt hätte. Das ist schon gaga (lacht)…
Es kommen darin Menschen vor, mit denen du im Laufe deines Trainer-Lebens zusammengearbeitet und trainiert hast. Welche Kooperation war für dich persönlich am prägendsten?
Mit Robin Krasniqi, weil die Zusammenarbeit bislang am längsten währt, mittlerweile 13 Jahre. Wir haben uns in dieser Zeit nicht einmal gestritten, es gab nie Probleme zwischen uns. Wir haben miteinander alles geschafft, sind gemeinsam von null auf Weltranglisten-Platz eins vorgedrungen – und wollen in diesem Sommer versuchen, nochmals den Weltmeistertitel zu holen.

„Vom Ski-Talent zum Elite-Athleten“: Sepp Maurer (links) hält große Stücke auf seinen Schützling Jonas Stockinger.
Dein Schützling Jonas Stockinger kommt – wie angesprochen – ebenfalls in der Dokumentation vor. Wie beurteilst du seine sportliche Entwicklung?
Ich freue mich sehr für ihn, denn ich bin großer Ski-Fan – schon immer gewesen, sogar mehr als Kraftsport. Ich bin früher auch Ski gefahren, bin – genau wie Jonas – neben einem Skilift groß geworden. Sein Werdegang mit wenigen Worten zusammengefasst: vom Ski-Talent zum Elite-Athleten. Man kann ein toller Athlet sein, aber wenn man nicht – so wie er es gemacht hat – hart an sich arbeitet und seine Schwächen erkennt, dann fährt man halt „nur“ FIS-Rennen. Menschlich betrachtet ist er ein super Kerl, mit großem Herz und feinem Charakter. Zudem ist er sehr klug und sehr ehrgeizig. Und hey: Er ist drei Monate im Jahr bei mir im Fitnessstudio – das macht sonst kein Athlet. Zusätzlich hat er mit seinem Vater einen großen Unterstützer.
Zwei wie Pech und Schwefel
Was beurteilst du sein bisheriges Abschneiden in dieser Saison?
Unglaublich. Ich schaue jedes seiner Rennen. Rein statistisch gesehen, hat er sich bislang kein einziges Mal verschlechtert. Bei jedem Welt-Cup-Rennen, in dem er ins Ziel gekommen ist, konnte er sich rangtechnisch verbessern. Ich denke, dass er es in diesem Jahr unter die besten 20 in der Riesen-Slalom-Wertung schaffen kann. Das wäre für sein zweites Weltcup-Jahr einfach mega. Ich trau ihm jedenfalls viel zu.
Dein jüngerer Bruder Lucki kommt freilich auch vor in der Doku. Wie würdest du dein Verhältnis zu ihm beschreiben?
Er ist nicht nur mein Bruder, sondern auch mein bester Freund und mein Vorbild. Wir beide waren immer schon wie Pech und Schwefel. Eigentlich haben wir ein nahezu identisches Schicksal: Fast zur selben Zeit, als ich mir das Bein gebrochen habe, hat mein Bruder die Diagnose Krebs bekommen. Das ist Wahnsinn. Da hat uns das Schicksal noch mehr verbunden.
Du hast gesagt: Er ist dein Vorbild – als jüngerer Bruder. Erklär uns gerne, warum du das so siehst.

Bruder, bester Freund, Vorbild: Sepp Maurer (46, rechts) und sein jüngerer Bruder Ludwig (44, genannt: „Lucki“) Maurer.
Das, was er mittlerweile geschafft hat, musst man erst einmal auf die Beine stellen. Er hat, nachdem er die Krebserkrankung diagnostiziert bekam, eine Art Bucket-Liste geschrieben. Und dann ist er in die Welt aufgebrochen, wollte gemeinsam mit Stefan Marquard in der Küche stehen und kochen. Viele andere hätten sich vermutlich zur Ruhe gesetzt und darauf gewartet, bis alles vorbei ist. Er aber nahm sein Schicksal in die Hand und wurde zu einem der besten Köche. Zwischendurch ist er einfach so mal kurz nach Japan geflogen, um Spermazellen eines Wagyū-Rinds zu kaufen (lacht). Meine Mutter hatte ihn noch gefragt, was das kostet – und er so: 7.000 Euro… Heute hat er die größte Wagyū-Zucht Europas, wo er zu den ersten Züchtern überhaupt gehört. Und mein Bruder ist so geblieben, wie er immer schon war: bodenständig, nicht abgehoben – einfach super.
Welche Unterschiede gibt’s zwischen euch?
Wir sind ziemlich gleich. Aber: Ich habe einen Auto-Vogel – und er hat eher einen Musik-Vogel (lacht).
„Das ist positive Energie für mich“
Neben deinem Trainer-Job machst du auch noch das Hotel Waldschlößl, richtig?
Richtig. Ich habe das Hotel von meinen Eltern überschrieben bekommen und bin deshalb auch im Betrieb voll integriert – leider. Denn ich bin wirklich kein Hotelier (lacht). Ich mag die Leute gern, bin hier aufgewachsen. Die Stimme des Hotels ist jedoch immer noch meine Mutter. Aber mein Leben ist der Sport, mit dem ich viel in der Welt unterwegs bin. Das Fitnessstudio ist im Hotel integriert, wir haben vieles neu hergerichtet. Mein Bruder hat den Bauernhof bekommen, wo er sein Restaurant eingerichtet hat – laut Tim Mälzer das verrückteste Restaurant Deutschlands…

Blick in die „Koch- und Küchen-Vergangenheit“: Sepp Maurer (von links) mit seinem Bruder Lucki und Vater Sepp senior.
Wie ist das alles zu schaffen? Hat dein Tag 36 Stunden?
Ich bin so aufgewachsen und ich will auch sonst nichts anderes machen. Ich muss es nicht machen, ich will es machen. Das ist positive Energie für mich. Und das Schönste für mich ist, wenn ich einen Sportler habe, denn ich ein Stück weit besser machen kann. Oder einen Patienten, zu dessen Heilung ich beitragen kann. Das will ich machen – und es scheint bis heute gut zu funktionieren.
Abschließend: Was wünschst du dir für die Zukunft, Sepp?
Ich wünsche mir, dass ich den Bayerischen Wald wieder sehe – weil ich ihn verloren habe.
Okay… Wie ist das denn passiert?
Ich bin grundsätzlich ein sehr heimatverbundener Mensch. Ich mag die Leute, ich mag den Wald, die Wiesen, die Berge. Ich finde den Bayerwald ehrlich gesagt schöner als die Alpen. Letztens fahre ich wieder mal nach Hause, komme an einem Dorf vorbei und sehe einen Bauern auf der Wiese stehen. Er hat einfach nur dagestanden und hat geschaut. Die Sonne schien, ich hab bei ihm angehalten und hab ihn gefragt, was er denn gerade macht. Woraufhin er antwortete: Nix! Und dann hat er mich gefragt: Siehst du’s denn nicht? Und ich fragte ihn: Was soll ich denn sehen? Und er meinte nur: Ja, dann kann dir keiner mehr helfen, wenn du nicht siehst, wie schön es bei uns ist…
In diesem Moment habe ich erkannt, dass ich vor lauter Arbeit und durch die Welt gondeln den Blick für die Heimat verloren habe. Mein Vorsatz für 2025 lautet deshalb, dass ich das, was ich ja eigentlich so unendlich gerne mag, wieder sehe, wieder erkenne und wieder achtsamer und bewusster durch den Bayerwald gehe… So schaut’s aus! (lacht)
Dafür wünschen wir gutes Gelingen und ein allzeit achtsames Auge. Ois Guade!
Interview: Stephan Hörhammer