Passau. Die Wirtschaftskrise ist längst auch in Niederbayern angekommen. Die Schwäche der Großen zieht auch viele kleinere Unternehmen mit nach unten. Die Industrie- und Handelskammer Niederbayern (IHK), die Selbstverwaltungsorganisation der regionalen Wirtschaft, sieht vor allem die Politik gefordert.

„Nach einer leichten Erholung im Frühjahr zeigt sich die niederbayerische Wirtschaft im Herbst erkennbar geschwächt“, ist im IHK-Konjunktur-Bericht zu lesen.Symbolfoto: pixabay/ jannonivergall
Im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n blickt IHK-Hauptgeschäftsführer Alexander Schreiner auf das sich zu Ende neigende Wirtschaftsjahr zurück und spricht davon, dass der Wirtschaftsstandort Niederbayern an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Außerdem haben wir ihn zu dem Themen Knaus Tabbert, Ladensterben, Verkehrsinfrastruktur, Personalmangel und Ampel-Aus befragt.
„Kurzfristige Verbesserungen sind nicht in Sicht“
Herr Schreiner: Ein unruhiges Wirtschaftsjahr geht zu Ende. Auch unsere Region blieb nicht von negativen Nachrichten und Hiobsbotschaften verschont. Vor allem die ehemals so starke Autobranche samt ihrer Zulieferer schwächelt. Wie sehen Sie die Situation im Rückblick? Wo gibt es Hoffnungsträger? Und: Ist der Mittelstand besser aufgestellt?

Alexander Schreiner, seit sieben Jahren Hauptgeschäftsführer der IHK Niederbayern. Foto: IHK/Marcel Peda
Die niederbayerische Wirtschaft konnte sich im Jahr 2024 von den um sich greifenden Negativfaktoren nicht abkoppeln. Dazu gehören etwa hohe Arbeits- und Energiekosten, Arbeitskräftemangel, Bürokratiebelastung auf allen Ebenen, sinkende Nachfrage bis hin zum Totalausfall, viel Unsicherheit im internationalen Geschäft und nicht zuletzt eine Wirtschafts- und Industriepolitik, die viele unserer Betriebe als „unternehmerfeindlich“ bezeichnen.
Gerade die für den Wirtschaftsstandort Niederbayern so wichtige Industrie ist von der Abwärtsbewegung in diesem Jahr besonders betroffen, die genannten Punkte betreffen aber Betriebe aller Branchen und aller Größen – das sehen wir in den Umfragen, das zeigt sich aber auch in vielen Gesprächen mit Unternehmerinnen und Unternehmern. Mit Blick auf die Beschäftigungsentwicklung in unserer Industrie kommen diese Probleme mittlerweile in der breiten Öffentlichkeit an. Es sind vor allem auch die größeren, starken Unternehmen, die in Kurzarbeit gehen oder einen längerfristigen Personalabbau planen. Sie sind mit vielen weiteren kleinen und mittleren Betrieben in der Region eng vernetzt und sorgen gemeinsam mit ihnen für Wertschöpfung und Wohlstand – bisher. Das ist in Gefahr.
Knaus Tabbert ist im Bayerwald ein wichtiger Arbeitgeber. Bedeuten die jüngsten Vorfälle und die wirtschaftlichen Einbrüche eine Gefahr für das Wohlstandsniveau in dieser Region? Wie sehen Sie den Bayerischen Wald und seine Unternehmen insgesamt? Sind Sie mit der Entwicklung des Tourismus – speziell auch im Bayerwald – zufrieden? Wo orten Sie Chancen, wo eher Defizite und Handlungsbedarf?
Der Premium-Tourismus im Bayerischen Wald ist ein Leuchtturm der Wirtschaft, als IHK haben wir aber die Aufgabe, auf die Gesamtwirtschaft zu schauen. Und hier ist der Befund klar: Der Wirtschaftsstandort Niederbayern verliert an Wettbewerbsfähigkeit, aus der Konjunkturkrise droht eine Standortkrise zu werden. Kurzfristige Verbesserungen sind nicht in Sicht. Längst haben die Unternehmen das Vertrauen verloren, dass aus der Wirtschaftspolitik tragfähige Wachstumsimpulse kommen oder ein spürbarer Abbau von Hürden und Belastungen erfolgt.
Forderungen nach einem klaren politischen Kurs und entschlossenem Handeln verhallen weitgehend ungehört. Viele Belastungen kommen von der Bundesebene oder der EU, dazu gehören etwa Bürokratie, einengende Vorschriften, praxisferne Vorgaben oder überzogene Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz. Das trifft den Wirtschaftsraum Bayerischer Wald genauso wie andere Regionen.
„… aber bitte zu gleichen und fairen Bedingungen“
Immer mehr Geschäfte schließen, nicht zuletzt auch weil der Online-Handel boomt. Als „Ersatz“ tauchen zunehmend Selbstbedienungsboxen etc. auf – quasi als Mini-Supermärkte der Neuzeit. Wie stehen Sie dazu? Ist das Ladensterben auch am Land nicht mehr aufzuhalten?
Der niederbayerische Handel ist eine innovative und wandlungsfähige Branche, das beweisen gute Beispiele aus unserer Region. Viele Betriebe setzen längst nicht mehr allein auf das stationäre Ladengeschäft, sondern sind ebenso online aktiv. Aber auch dabei werden die Unternehmen zu oft ausgebremst – durch eine immer noch ausbaufähige Digitalinfrastruktur, durch zähe und langwierige Genehmigungsverfahren, durch das sehr hohe Niveau von Produktstandards und Verbraucherschutz. Diese Standards werden bei unseren Betrieben genau geprüft und streng kontrolliert, aber offenbar nicht bei den chinesischen Billig-Plattformen wie Temu oder SHEIN, die den Markt überschwemmen.
Unsere Unternehmen stellen sich gerne dem Wettbewerb, aber bitte zu gleichen und fairen Bedingungen. Das ist ein Auftrag an die Politik, die nicht nur die Regeln macht, sondern auch deren Vollzug sicherstellen muss. Gefordert sind aber genauso die Kunden: Wenn Innenstädte und Ortskerne veröden, wenn es dort keine lebendige Mischung aus Handel, Gastronomie, Dienstleistungen und Kultur mehr gibt und sich der Leerstand ausbreitet, dann liegt das auch daran, wo die Konsumenten ihr Geld gelassen haben.
Wer mit dem Auto nach Passau fahren will und über die Donau muss, hat ein Problem. Was wünschen Sie sich für 2025 von den Verkehrsplanern?

Gilt als renovierungsbedürftig: Die Passauer Schanzlbrücke, Hauptverkehrsader über die Donau. Foto: pixabay/ schauhi
Die Verkehrsinfrastruktur, das sind die Lebensadern der Wirtschaft, ohne die wirtschaftliche Entwicklung nicht möglich ist. In unserem Wirtschaftsraum sind die Straßen der wichtigste Verkehrsweg für den Personen- und Güterverkehr, aber Infrastruktur ist alles: Wasserstraßen, Flugverbindungen und Schienenkorridore, natürlich Brücken, Autobahnen und Straßen, aber ebenso Breitband- und Mobilfunkverbindungen oder die Energienetze. Es gibt daher viele wichtige Verkehrsprojekte, die direkt mit dem Raum Passau verbunden sind, etwa der zweigleisige Ausbau der Schienenverbindung nach München, die Ertüchtigung der Bahnstrecke von Nürnberg über Passau bis Wien und Budapest, ein rascher Lückenschluss bei der A 94 von Passau nach München sowie natürlich eine funktionierende und bedarfsgerechte Verkehrsanbindung der Passauer Innenstadt.
Was die Wirtschaft aber fordert, ist ein intelligentes und aufeinander abgestimmtes Gesamtkonzept für die Verkehrsinfrastruktur, denn im besten Fall bauen die einzelnen Verkehrsträger aufeinander auf und greifen ineinander. Genau das haben die Unternehmer in der Vollversammlung unserer IHK erst vor Kurzem auf den Punkt gebracht, mit einer Resolution für zukunftsfähige Mobilität und tragfähige Infrastruktur im Wirtschaftsraum Niederbayern.
„Vor allem aber muss sich Arbeit schlicht wieder lohnen“
Überall fehlt Personal: in der Gastronomie, im Handel, bei den Verkehrsunternehmen und Industriebetrieben. Haben Sie Lösungsvorschläge, die rasch greifen könnten?
Der Arbeitskräftemangel ist weiterhin einer der größten Risikofaktoren für die wirtschaftliche Entwicklung. Es müssen mehr Menschen in Beschäftigung kommen – und zwar mit der richtigen Qualifikation an der richtigen Stelle. Wenn die Zahl der Studienanfänger so hoch bleibt und wir gleichzeitig in der beruflichen Ausbildung stagnierende bis rückläufige Zahlen sehen, dann geht das am Bedarf der Wirtschaft komplett vorbei.

„Es müssen alle Potenziale genutzt werden, um den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen.“ Symbolfoto: pixabay
Die wissenschaftliche Untersuchung zum IHK-Fachkräftemonitor hat es in diesem Jahr erneut bestätigt: In den Betrieben fehlen vor allem Kräfte mit beruflicher Aus- und Weiterbildung und nur zu einem geringeren Teil Akademiker. Das gilt heute wie in Zukunft. Der wichtigste Lösungsansatz ist daher die Stärkung der beruflichen Bildung – dazu gehören Information und Aufklärung zu den vielfältigen Karrierewegen und Verdienstmöglichkeiten, Förderung und Investitionen in die berufliche Bildung, aber ebenso ein gesellschaftlicher Wandel mit mehr Anerkennung für diesen hervorragenden Ausbildungsweg.
Außerdem müssen alle Potenziale genutzt werden, um den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen. Die Fachkräfteeinwanderung aus dem Ausland muss schneller, einfacher und vor allem unbürokratischer werden. Wir brauchen einen Ausbau der Betreuungsstrukturen, um beispielsweise mehr Frauen eine Vollzeitbeschäftigung zu ermöglichen. Und auch die stille Reserve der Langzeitarbeitslosen muss besser aktiviert werden. Vor allem aber muss sich Arbeit schlicht wieder lohnen – das reicht von der Besteuerung bis zu den Sozialleistungen.
„Ein Wechsel in der Wirtschaftspolitik“
Nach dem Ampel-Aus und vorgezogenen Neuwahlen steht ein Politikwechsel bevor. Wenn Sie drei Wünsche hätten, wie würden diese lauten?
Mein erster Wunsch ist mehr Verlässlichkeit und Geradlinigkeit in den politischen Entscheidungen, um die drängenden wirtschaftlichen Probleme konsequent anzugehen. Mein zweiter Wunsch ist, dass diese Entscheidungen dann auch entschlossen umgesetzt werden, anstatt sich im politischen Streit, in der bürokratischen Umsetzung oder in unendlichen Klageverfahren festzufressen. Und mein dritter Wunsch ist ein Wechsel in der Wirtschaftspolitik: weg von der Idee, der Staat sei der bessere Unternehmer und müsse die Wirtschaft zum Guten lenken – und wieder hin zu den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft mit einer positiven und vertrauensvollen Haltung zu einem verantwortlichen Unternehmertum.
Interview: Christine Hochreiter