Die Weihnachtszeit ist die heiligste Zeit unserer Vorfahren. Es ist die quasi „leere“ Zeit zwischen dem zu Ende gegangenen Sonnenjahr am 21. Dezember und dem bis 31. Dezember noch weiterlaufenden Mondjahr. In christlicher Zeit verschob sich nicht nur der Weihnachtstermin um drei Tage auf den 24. Dezember, die zwölf „geweihten Nächte“ (die Zwölften) begannen erst am 25. und dauerten bis Epiphanias am 6. Januar.

Eine Geburt ohne Klinik, ohne Hygiene, ohne Zimmer, ohne Hilfe in einem Viehstall. Foto: pixabay/ geralt
Termine hin, Termine her: diese Zeit ist Ruhezeit. Da schweigen die Waffen (zumindest hierzulande) und es wird nicht gearbeitet. Da trifft sich die ganze Sippe und feiert die Familie. Auch der Ahnen wird gedacht. Die Zwölften sind zugleich eine gute Zeit der inneren Einkehr, der Schau zurück und des Blickes nach vorn.
Lux lucet in tenebris
So war es in heidnischer Zeit. So ist es mit einer anderen Symbolik auch bis heute. Immer noch ist der Heilige Abend landauf landab der am besten besuchte Gottesdienst im ganzen Jahr. Noch immer ist zwischen den Jahren Urlaubs- und Ruhezeit. Immer noch verabschieden wir das alte Jahr am 31. Dezember mit einem „Heidenspektakel“ – und begrüßen zugleich das neue. Auch wenn nur wenige mehr dessen so bewusst sind: Das neugeborene Kindlein ist die wiederkehrende Kraft des Lichtes auf allen Ebenen; der geschmückte Tannenbaum ist der immergrüne Weltenbaum in all seinen Dimensionen; die Tore der Anderswelt (des Geistes) können sich öffnen, ob wir „Heut schleußt er wieder auf die Tür“ singen oder ein Orakel nehmen.

Frau Perchta: Ihr Name ist möglicherweise vom althochdeutschen Wort „peraht“ (hell, glänzend) abgeleitet und bedeutet demnach „die Glänzende“.
Und es ist auch die Zeit der Lieder und Geschichten. Märchenhaft ist sie eigentlich nicht. Es ist die kalte, dunkelste Jahreszeit. Nur unmerklich kehren sich die Licht- und Wärmeverhältnisse wieder um.
Auch das Evangelium erzählt von einem Notfall, einer Geburt ohne Klinik, ohne Hygiene, ohne Zimmer, ohne Hilfe in einem Viehstall. Weit und breit keine Feststimmung, kein Kerzenschein, keine Geschenke, kein Lichterbaum.
Und doch ist es gerade dies, was uns Mythen und Märchen immer wieder nahebringen: Dort, wo wir auf der Schattenseite des Lebens sind oder dahin geraten, kann durchaus auch etwas geschehen. Manchmal sind da Dinge möglich, die wir nicht für möglich gehalten hätten. So sind die „wihen nahten“, die geweihten Tage und Nächte tatsächlich eine Festzeit der Hoffnung, das man in vielerlei Weise begehen kann – aber wir sollten es feiern! Lux lucet in tenebris: das Licht scheint in die Dunkelheit – und erhellt sie.
Die Raunächte
Die Rau(h)nächte sind ein anderer Name für die zwölf Nächte um den Jahreswechsel, denen man früher besondere Bedeutung zumaß. Meist rechnet man vom 25. Dezember bis zum 6. Januar. In diesen Tagen machte man in alter Zeit Bekanntschaft mit der rauen Seite der Natur und damit auch der Gottheit. Man war den heftigen Winterstürmen und ihrem Brausen und Toben früher noch viel mehr ausgesetzt als heute. Man ahnte in der „Wilden Jagd“ den Göttervater Odin (Wodan) mit seinem Heer verstorbener Seelen und Hunden durch den Himmel reiten oder seine Gattin Frigga/Holle.

Die Perchten vertreiben von Ende November bis Anfang Januar die bösen Geister des Winters. Foto: pixabay/ strichpunkt
Es war ratsam, sich ins Haus zurückzuziehen und keinen Anlass zu geben, dass man da mitgenommen wird. Von Odin erzählte man Geschichten – und mehr noch von seiner Frau Frigga, die unter verschiedenen Namen im Volk bekannt war: Hulda, Perchta, Holle, Herke, Gode usw. In ganz Deutschland wurden Sagen von ihr erzählt: von wundersamen Begegnungen, Gaben, aber auch Verfehlungen.
Sie stand den Menschen in dieser harten Zeit näher als der so oft kriegerische Wodan. Sie vermochte eher die Güte in den Menschen zu wecken und sie zur Arbeitsruhe in dieser Zeit anzuhalten. Dennoch war auch vor ihr, die in den winterlichen Umzügen nicht nur die Menschen prüfte, sondern auch die Fruchtbarkeit des neuen Jahreszyklus vorbereitete, der Respekt groß:
„In den Zwöften zieht Fru Gode herum, und schon mancher ist ihr da begegnet. Mal ist auch ein Knecht bei seinen Pferden im Stall, da kömmt Fru Gode, reicht ihm einen Pfahl und sagt, an den solle er ihr eine Spitze hauen. Erst will er zwar nicht, aber als sie ihm guten Lohn verspricht, tut er’s. Als er fertig ist, sagt sie ihm, er solle sich nur die Späne, welche abgefallen seien, auflesen; das tut er, da sind sie am anderen Morgen eitel Gold. Ehedem erzählte man auch viel von Fru Gode, wie sie mit ihren Hunden durch die Luft zöge. So ist sie auch einmal über einen Bauernhof fortgezogen, und als der Bauer vor die Tür hinaustritt, liegt ein kleiner Hund da; den nimmt er mit sich hinein und zieht ihn mit seiner Frau auf. Andern Jahres aber, gerade um dieselbe Zeit, ist der Hund auf einmal fort; an seiner Lagerstätte aber liegt ein großer Klumpen Gold. Das musste dem Bauer doch wohl so von Fru Gode zugedacht worden sein, denn er war bisher nur ein armer Mann gewesen und wurde nun auf einmal sehr reich.“ (Kuhn/Schwartz, Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche 1848).
Solche Sagen halfen, diese raue Zeit zu bewältigen und durchzustehen in Zeiten, als es noch keine Zentralheizung gab und der Sturm heftig an den Fensterläden rüttelte…
Frau Gode führt die „Wilde Jagd“ an
Auch in vorchristlicher Zeit waren die Menschen angehalten, Güte zu zeigen gegenüber Mensch und Tier. Frau Holle, hinter der sich die alte Muttergöttin Frigg verbirgt, erschien in dieser Zeit den Menschen – so wie wir heute vom Weihnachtskind sprechen oder vom Weihnachtsmann. Das war in den Heiligen Zwölf Nächten, wenn der Sturm die Felder fegt und die Wälder kämmt. Da fuhr Frau Frigg noch einmal über das märkische Heideland. Und die Menschen verriegelten Fenster und Türen. Denn ihre segenbringende Sturmfahrt soll kein sterbliches Auge mit ansehen.
Es saß aber um die gleiche Stunde ein Bauer bei seiner Frau im ärmlichen Haus. Da kam es näher mit schrecklichem Sturmgesang und schlug auf das morsche Strohdach, dass den beiden da drinnen ganz bange wurde um ihr Häuschen, denn ihre Armut war groß.
Früher, als ihre Kinder noch lebten, kamen in diesen Nächten die segnenden Gabenbringer auch unter ihr Dach, sprachen den Spruch, gaben die Frucht und sahen auf Zucht. Dann hielten die Tiere wohl Zwiesprache in den Ställen, schwärmten die goldenen Bienen um das verschneite Heidekraut, dass es würzig nach Honig roch und es gab süßen Wein in diesen Nächten der Wintersonnwende.
Später aber hat es Missbildungen bei den Tieren im Hof gegeben und Seuchen. Die hatten Kind und Kuh, Kalb und Katze hinweggerafft. Und nun bedrohte wieder der Sturm das morsche Gebälk und das Fachwerk krachte in allen Fugen.
Vor dem Druck der winselnden Winde sprang auf einmal die Haustür auf – und es fauchte herein wie eine wilde Meute, rasselte durch alle Ecken, prasselte in der Flamme am Herd und sprühte dann mit tausend Feuerfunken den Kamin hoch, weit hinaus in den Buschwald. Der Bauer erhob sich schwer und benommen, schlurfte zur Haustür und schlug sie wütend ins Schloss.
Da stieg aus dem aufgestöberten Aschenhaufen die Flamme hell hoch in dem Rauchfang. Bei ihrem Schein erkannten die beiden einen winselnden kleinen Hund am Herdplatz. Der lag da mit zottigem Fell und schlug bettelnd mit dem Schwanz auf den Boden. Er musste wohl eben bei der offenen Haustür hereingesprungen sein. Die Bäuerin nahm das Tier mitleidsvoll auf, strich ihm über das struppige Fell und sprach: „Du bist in unsere Armut gelaufen. So haben wir wenigstens wieder eine lebendige Seele im Haus. Darum sollst du bei uns bleiben; so viel fällt immer noch ab.“ Man konnte es dem Hund ansehen, er hatte sie Wort für Wort verstanden. Dankbar blickte er zu der neuen Herrin auf und rollte sich wohlig zusammen.
Mit der Zeit entpuppte sich das Tier als ein lustiger Spitz mit blanken Augen. Durch ihn kam neues Leben in das verfallene Haus.
Es war wohl so, dass die Herzen der beiden mit dieser Gabe gewogen werden sollten. Und es stellte sich heraus, dass sie recht und treu waren und voll Freundlichkeit. Von Stund‘ an ging ihnen alles wieder so leicht von der Hand wie vor Zeiten, als sie noch in Fülle und Glück gewirtschaftet hatten. Das alles kam durch die warme Seele des Hundes in ihre kalte Einsamkeit.
Die Sonne indes stieg in den Sommerbogen und sank zurück mit dem Jahr, bis dass es noch einmal Winter wurde und die Zwölf Nächte kamen. Der Bauer aber hatte einen neuen Riegel für die Haustür geschnitzt. Mochte die Windsbraut auch noch so rütteln und schütteln: der Klotz hielt stand.
Poch, poch, poch, schlug etwas gegen die Haustür. Die beiden dachten, es wird wohl jemand sein, der sich verirrt hat und vor dem Wetter noch ein schützendes Dach sucht. Darum erhob sich der Bauer und ging mit schweren Schritten, den Riegel zu lösen. Da stand im Eichenrahmen eine mächtige Frau. Die ragte hoch in die Sturmwolken unter den blitzenden Sternen. Lang wehte ihr Haar über das weiße Kleid. In der rechten Hand hielt sie eine Peitsche.
Doch ihre Stimme klang ganz vertraut: „Fürchte dich nicht“, rief sie ihm zu, „ich will nur meinen Hund zurück, den ich im Vorjahr an dieser Stelle verlor. Ich weiß, ihr habt ihn gehalten wie euer eigen. So sind euch auch mit ihm die guten Geister zurückgegeben. In dieser Einöde soll nun ein neues Leben wachsen. Es werden wieder Kinder im Haus spielen, Pferde und Kühe die Ställe beleben, hinter dem Giebel werden wieder all die Früchte lagern. Das alles gebe ich euch und den euren, solange warme Menschenherzen hier im Hause wohnen.“
Die weiße Frau lockte ihren Hund, zog ihn auf ihren Schoß, und auf einmal standen alle Sterne in der leeren Haustür. Noch einmal ächzte das alte Gebälk. Dann aber wurde es still und feierlich wie im Wald. Im Nu schlug eine neue Flamme aus der gesunkenen Herdglut und ihr Schein erhellte den ganzen Raum. In der Ecke, in der der Hund gelegen hatte, da glänzte es sonnenhell. Das war Gold! Ein großes Stück fanden die beiden in dieser Nacht als Geschenk der fahrenden Frau. Nun wussten sie wohl, dass dies Frau Frigg gewesen war, der sie den neuen Wohlstand verdankten. Da umarmten sie sich wie vor Zeiten im Schein einer neuen Lebensglut.
Mit dem kommenden Frühling füllte und festigte sich wieder das Haus. Kuh und Kalb, Ferkel und Fohlen, Hund und Huhn belebten den alten Hof. Und bald ging die Wiege wieder den alten Gang und Kinderlachen erklang überall, wo sonst die Seufzer der Armut hingen…
(nach K. Paetow, Volksmärchen und Sagen)
Dr. Jürgen Wagner
Siehe dazu J. Wagner und H.C. Heim, Weihnachtserzählungen ohne Krippe und Kind, 30 Geschichten mit vorchristlicher Tradition und Gedichten für die Rauhnächte mit Epubli Berlin, 2018)