Neuschönau. Auf persönlicher Ebene stimmt die Chemie zwischen den Nationalpark-Chefs dies- und jenseits der deutsch-tschechischen Grenze, wie im ersten Teil des Interviews mit Ursula Schuster und Pavel Hubený deutlich wurde. Die Zusammenarbeit beider Schutzgebiete war bereits unter Dr. Franz Leibl sehr fruchtbar. Und das wird – so weit darf man sich wohl aus dem Fenster lehnen – auch unter dessen Nachfolgerin so bleiben. Nicht nur, weil es zwischenmenschlich passt, sondern auch, weil man inhaltlich auf einer Wellenlänge liegt.

„Da Woid mocht di xund“ (auf Tschechisch: „Šumava uzdravuje“): Kollege Marek Matoušek vom tschechischen Partner-Portal sumava.eu überreichte beim Interview-Termin an Pavel Hubený (links) und Ursula Schuster jeweils ein T-Shirt mit jenem inzwischen über die Grenzen hinweg bekannten Motto.
Im zweiten Teil des Gespräches mit dem neuen Park-Duo, das wir gemeinsam mit den Kollegen unseres tschechischen Partnerportals sumava.eu geführt haben, geht es in die Tiefe – und es wird „tierisch“. Denn Ursula Schuster und Pavel Hubený sprechen über das Auerhuhn, den Wolf, die Borkenkäfer und den Habichtskauz. Allesamt Lebewesen, die zu einem wilden Wald dazugehören – die aber auch immer wieder mit Diskussionen verbunden sind…
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„Größte außer-alpine Population Mitteleuropas“
Die beiden Parks haben mittlerweile bereits das dritte Auerhuhn-Monitoring durchgeführt: Warum in dieser hohen Anzahl?
Schuster: Das Auerhuhn ist eine der Flaggschiff-Tierarten des Schutzgebietes im Böhmerwald. Es handelt sich um eine Art, die sehr sensibel auf Störungen durch den Menschen reagiert. Gleichzeitig haben wir bei uns hier die größte außer-alpine Auerhuhn-Population in Mitteleuropa. Deshalb haben beide Parks eine besondere Verantwortung. Viele Schutzbemühungen, wie das Wegegebot, basieren eben darauf, dass diese Art so störungssensibel ist. Und aus diesem Grund ist es sehr wichtig, über die Bestände genau Bescheid zu wissen, was durch ein fortlaufendes Monitoring gewährleistet werden kann.
Hubený: Die Ergebnisse sind sehr positiv. Noch kurz dazu, warum das Monitoring alle sechs Jahre stattfindet: Es handelt sich hierbei um ein langfristiges Modell, das im Nationalpark-Plan verankert ist. Wir rechnen damit, dass die zeitlichen Abstände auch beibehalten werden. Vogel-Populationen können stark oszillieren. Würden wir also die Intervalle vergrößern, könnten wir dann nicht zeitnah auf negative Auswirkungen reagieren.
Aktuell Leben im Böhmerwald zirka 35 Wölfe
Wie fallen die Beobachtungen anderer Tiere aus? Beispielsweise des Wolfes. Wie viele Rudel gibt es im Nationalpark Bayerischer Wald? Wie viele im Šumava?
Schuster: Ähnlich wie beim Auerhuhn ist eine Unterscheidung von tschechischen und deutschen Wölfen nicht möglich. Die Tiere machen ja nicht an der Grenze Halt. Es sind derzeit acht Rudel, die sich hier im Böhmerwald, d.h. auf bayerischer und auf tschechischer Seite, angesiedelt haben. Wann zuletzt Wölfe gesichtet worden sind, ist mir nicht bekannt. Die Tiere sind sehr heimlich unterwegs.

Der Wolf ist mehr und mehr zurück im Böhmerwald, was nicht nur freudig wahrgenommen wird. Foto: Nationalpark Bayerischer Wald
Noch einmal konkret nachgefragt: Es geht keine Gefahr von den Wölfen für die Bevölkerung aus?
Schuster: Nein. Wölfe sind sehr zurückhaltende, heimliche Tiere. Insbesondere die Rudel, die wir hier haben, sind, was den Aufenthaltsort und das Spektrum der Nahrungsaufnahme betrifft, sehr zurückhaltend. Untersuchungen zufolge ernähren sie sich hier hauptsächlich von Rotwild, Rehwild und Bibern.
Hubený: Noch eine kleine Ergänzung, weil mir ein aktueller Bericht zum Wolf vorliegt: Es sieht danach aus, dass wir in diesem Jahr nicht viele Jungtiere hatten. Das Wetter war nicht entsprechend. So sind es aktuell um die 35 Wölfe.
Sind denn die Wölfe derzeit das brennendste Thema?
Schuster: Es gibt derzeit eigentlich keine negativen Themen in Zusammenhang mit dem Wolf im Nationalpark.
„Die Wölfe werden im Šumava akzeptiert“
Wie lässt sich verhindern, dass – wie beispielsweise in Jandelsbrunn und Lenora – Wölfe Nutztiere reißen?
Schuster: Der Nutztierriss in Jandelsbrunn liegt meines Wissens schon einige Zeit zurück. Letzten Endes kann man nie sicher sagen, wo die Wölfe genau herkommen. Was immer klar ist: Bei der Anwesenheit von Wölfen sollte man Nutztiere mittels Herdenschutz-Maßnahmen entsprechend schützen. Da gibt es einige Möglichkeiten und auch staatliche Förderungen. Der Nationalpark unterstützt in seinen Enklaven die Nutztierhalter z. B. mit entsprechenden Herdenschutzzäunen. Insgesamt müssen wir dafür sorgen, dass der Wolf erst gar nicht lernt, dass Nutztiere leichte Beute sind.
Hubený: Ganz ausschließen können wir es nie, dass der Wolf Nutztiere angreifen wird. Man kann das Risiko nur minimieren. Das müssen aber auch die Nutztier-Halter wollen. Wir auf tschechischer Seite haben – weil wir auch für das Landschaftsschutzgebiet zuständig sind – deutlich mehr Interaktion zwischen Wolf und Nutztier. Deshalb stehen wir regelmäßig mit den Bauern in Kontakt. Es gibt auch einen Fond, der einspringt, wenn Schäden durch den Wolf entstehen. Zudem haben wir elektrische Zäune gekauft, die wir verleihen. Mein Gefühl: Die Wölfe werden im Šumava akzeptiert.
2024 ein „gutes“ Borkenkäfer-Jahr
Wie hat sich das Borkenkäfer-Aufkommen in den Schutzgebieten entwickelt? Aus den Staatswäldern war zu hören, dass die Zahlen rückgängig sind…
Schuster: Nach einem sehr intensiven Borkenkäfer-Jahr 2023 ist der Befall heuer zurückgegangen. Vergangenes Jahr hatten wir 144.000 Festmeter Borkenkäfer-Holz, 2024 werden es ungefähr 37.000 Festmeter sein. Zugute kam uns dabei die feuchte Witterung über den vergangenen Sommer hinweg. Die Fichte konnte deshalb viel Harz bilden und sich somit gegen den Käfer wehren. Hinzu kam noch, dass wir im Borkenkäfer-Management sehr gut aufgestellt waren. Bestimmte Prozesse – von der Suche bis zur Aufarbeitung – wurden zum Beispiel dank einer App automatisiert. Wir konnten im Fall der Fälle sehr schnell handeln.

Knapp die Hälfte des aufgearbeiteten Borkenkäferholzes wurde streifenförmig entrindet. In dieser für Borkenkäfer brutuntauglichen Art kann es als Lebensraum und Nahrungsangebot für andere Arten im Wald verbleiben. Foto: Nationalpark Bayerischer Wald
Hubený: Bei uns sieht es ähnlich aus – wobei die Entwicklung nicht so positiv ist wie auf bayerischer Seite. Auf der Fläche, auf der wir den Borkenkäfer bekämpfen müssen, sind wir bei 53 Prozent vom vergangenen Jahr. In den Naturzonen wurden die Daten noch nicht ausgewertet. Aber auch dort ist abzusehen, dass sich die Verbreitung verlangsamt hat. Aus meiner Sicht eine sehr wichtige Nachricht!
Letztes Tier, das angesprochen werden muss: Der Habichtskauz. Wir bitten Sie auch hier um den Stand der Dinge.
Schuster: Der Habichtskauz ist eine Art, bei der man schon kurz nach der Gründung unseres Nationalparks damit begonnen hat, Schutzbemühungen zu unternehmen. Diese Art war im Böhmerwald seit den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts ausgestorben. Bereits 1975 wurde ein Wiederansiedlungsprojekt gestartet. Das hat dazu geführt, dass grenzüberschreitend wieder eine gute Population vorhanden ist. Mittlerweile gibt es 100 Brutpaare. Aufgrund der guten Waldentwicklung brütet die Eulenart nun auch schon in natürlichen Bruthöhlen. Eine Auswilderung ist nicht mehr nötig. Eine tolle Entwicklung!
Gemeinsame Streifen der Ranger
Hubený: Man hat es geschafft, eine neue Habichtskauz-Insel in Mitteleuropa herzustellen, die einst vom Menschen zerstört worden ist. Wenn wir weiter die europäischen Schutzbestimmungen erfüllen, sollte es möglich sein, dass sich die Population weiter ausbreitet.
Zurück zum menschlichen Miteinander: Für die Besucher der Schutzgebiete gibt es praktisch keine Staatsgrenzen. Welche Auswirkungen hat das auf das Besuchermanagement?

Im Juli 2023 trat Ursula Schuster die Nachfolge von Dr. Franz Leibl (links) als neue Chefin des Bayerwald-Nationalparks an. Dazu gratulierte u.a. Umweltminister Thorsten Glauber.
Schuster: Natürlich begrüßen wir es sehr, dass Besucher im Rahmen einer Wanderung beide Schutzgebiete erleben können. Genau deshalb bieten wir Informationen inzwischen dreisprachig an – auf Deutsch, Englisch, Tschechisch. Es soll keine Sprachbarriere geben, die nicht überwunden werden kann. Das ist die eine Seite. Die andere: Beidseitig sind wir darauf bedacht, dass die Regeln – Stichwort: Wegegebot – eingehalten werden. Wir organisieren deshalb immer wieder gemeinsame Streifen unserer Ranger.
Hubený: Wir haben es endlich geschafft, den Schutz der Gebiete, in denen sensible Tierarten leben, zu vereinheitlichen. Gleichzeitig sind die anderen Areale noch zugänglicher geworden. Insgesamt gibt es in allen Bereichen des Besuchermanagements fast einheitliche Regeln. Das ist sehr wertvoll!
„Natürliche Prozesse werden vom Klimawandel nicht gestört“
Was noch nicht geregelt ist: der Grenzübergang Blaue Säulen. In der Zugänglichkeit dieses Gebietes gibt es Nachholbedarf. Man sucht derzeit nach Möglichkeiten, wie man dies schaffen kann – ohne die dort lebenden sensiblen Arten zu stören. Da hier nicht nur die Nationalparks mitreden, ist dieser Prozess sehr langwierig. Wir sind aber, denke ich, nah am Ziel!

In den Naturzonen kann „ungefiltert beobachtet“ werden, wie sich die Natur an veränderte Rahmenbedingungen anpasst.
Zum Abschluss: Der Blick in die Zukunft. Herr Hubený, was können Sie in der Glaskugel erkennen?
Hubený: In 15 Jahren wird es wunderbar sein. Beide Schutzgebiete werden als eins wahrgenommen werden. Wir werden das größte Waldgebiet mit wilder Natur innerhalb ganz Europas haben. Besucher beider Länder werden sich auf den Wegen treffen und vermischen. Die einheimische Bevölkerung wird stolz sein, dass sie ein Teil dieses einen großen Nationalparks ist.
Wo können Probleme entstehen – Stichwort: Klimawandel?
Hubený: Natürliche Prozesse werden vom Klimawandel nicht gestört. Ganz im Gegenteil. In den Naturzonen können wir dann sogar ungefiltert beobachten, wie sich die Natur an die neuen Bedingungen anpasst. Wir sorgen mehr oder weniger dafür, dass sich Ökosysteme außerhalb unserer Grenzen dank unseren Erkenntnissen und Erfahrungen auf das neue Klima einstellen können.
„Die Natur kennt keine Grenzen“
Schuster: Ich kann da nur beipflichten. Noch ein Wort zum letzten Aspekt mit dem Klimawandel: Es ist deshalb besonders wichtig, dass man weiterhin in der Forschung die Prozesse genau anschaut. Denn so können Handlungsempfehlungen nach außen – in den Wirtschaftswald beispielsweise – gegeben werden, die sehr wertvoll sein können.
Der Nationalpark Bayerischer Wald in zehn, fünfzehn Jahren?
Schuster: Ein grenzenloser Urwald, der weiterhin eine hohe Akzeptanz von Seiten der Bevölkerung erfährt. Ich wünsche mir, dass wir insgesamt bis dahin noch weiter zusammenwachsen. Die Natur kennt keine Grenzen!
Das Gespräch führten: Helmut Weigerstorfer und Marek Matoušek
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