Neuschönau. Wer geglaubt hätte, das gute Miteinander des Nationalparks Bayerischer Wald und des Schutzgebiets Šumava war einzig und allein dem erstklassigen Verhältnis der beiden Chefs geschuldet, der irrt. Denn nach dem Ausscheiden von Dr. Franz Leibl besteht die deutsch-tschechische Grenze weiterhin nur auf dem (geographischen) Papier. Auch dessen Nachfolgerin Ursula Schuster (49) und Pavel Hubený (61) sind sich wortwörtlich sehr „grün“. Das wird im Rahmen des Nationalpark-Doppelinterviews im Hans-Eisenmann-Haus in Neuschönau schnell deutlich.
Im ersten Teil des Gesprächs mit dem Onlinemagazin da Hog’n und dessen tschechischem Partnerblog sumava.eu wird es zunächst persönlich, ehe man mit der Park-Vergrößerung am Wistlberg und den Naturzonen-(Erweiterungen) als erste Sachthemen fortfährt:
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Herr Hubený: Ist es für Sie inzwischen alltäglich, dass auf der anderen Seite der Grenze nicht mehr Dr. Franz Leibl erster Ansprechpartner ist, sondern nun Ursula Schuster?
Hubený: Ganz normal (lacht herzlich).
Frau Schuster, seit wann kennen Sie Pavel Hubený?
Schuster: Seit fast zwei Jahren. Schon bevor ich mein Amt im Nationalpark Bayerischer Wald angetreten habe, hatten wir eine Exkursion mit Dr. Franz Leibl in den Nationalpark Šumava. Da haben wir uns kennengelernt. Ich glaube, das war im April 2023.
„Intensive Gespräche und auch gesellige Stunden“
Dass sich Pavel Hubený und Ihr Vorgänger Dr. Franz Leibl bestens verstanden haben, ist bekannt. Ist das gute Verhältnis zwischen den beiden für Sie eine Art Messlatte?
Schuster: Mir ist eine Zusammenarbeit beider Nationalparks – und dazu gehören eben auch die Leiter – ganz, ganz besonders wichtig. Und ich würde mal sagen: Zwischen uns passt kein Blatt.
Mögen Sie eigentlich Bier?
Schuster: Tschechisches Bier probiere ich schon einmal gerne.
Hintergrund der Frage: Pavel Hubený und Dr. Franz Leibl haben sich ab und an auf eine halbe Bier getroffen. Eine Tradition, die Sie fortsetzen möchten?
Schuster: Also: Bei unseren regelmäßigen Treffen führen wir sehr intensive Gespräche und haben auch gesellige Stunden.
Herr Hubený, stellen Sie Änderungen im Nationalpark Bayerischer Wald fest, seitdem Ursula Schuster die Führung übernommen hat?
Hubený: Die Zusammenarbeit findet für mich auf höchstem Niveau statt. Das Miteinander ist ein kontinuierlicher Prozess, den ich mit Freude erlebe. Genauso wie viele Themen weiterhin dieselben sind, ist die Kommunikation gleich gut geblieben. Aber natürlich gibt es andere Schwerpunkte: Mit Franz Leibl habe ich oft wegen der Borkenkäfer-Problematik gesprochen, bei Ursula Schuster geht es nun beispielsweise um die Anwesenheit des Wolfes.
„Es gibt kein drüben und herüben“
Auf diese Themenfelder kommen wir später noch einmal zurück. Vorab: Frau Schuster, wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit den tschechischen Kollegen?
Schuster: Sie gehört einfach dazu und ist selbstverständlich für uns. Stehen grenzüberschreitende Themen an, werden diese besprochen – ohne irgendwelche Hürden. Wir haben die glückliche Situation, dass wir mit Pavel Bečka, der in beiden Verwaltungen angestellt ist, ein hervorragendes Bindeglied haben. Hinzu kommen noch zwei, drei große Leiter-Treffen pro Jahr, in denen man bewusst zusammenkommt und bewusst gemeinsame Themen bespricht.
In welchen Bereichen muss noch gearbeitet werden, sodass das Miteinander noch besser wird?
Schuster: Die Sprache stellt natürlich weiterhin eine gewisse Barriere dar, ganz klar. Aber auch hier steht uns Pavel Bečka immer zur Seite. Insgesamt wollen wir noch mehr darauf hinweisen, dass die beiden Nationalparke ein großes Schutzgebiet sind. Die Natur kennt keine Grenzen! Es gibt kein drüben und herüben. Es ist ein Miteinander! Und dafür wollen wir die Öffentlichkeit noch besser sensibilisieren.
„Zu wenig, zu klein“
Vom Persönlichen zu den Sachthemen: Herr Hubený, die Erweiterung des Nationalparks im Bereich Mauth ist inzwischen vollzogen. Erst kürzlich ist das Zentrum am Wistlberg eröffnet worden. Wie bewerten Sie diesen Schritt der deutschen Kollegen?
Hubený: Zu wenig, zu klein (lacht herzlich). Im Ernst: Durch die Erweiterung ist ja auch für uns die gemeinsame Fläche größer geworden. Wir haben nun noch mehr Berührungspunkte, sodass der zentrale Teil des Nationalparks Šumava inzwischen fast komplett an den Nationalpark Bayerischer Wald angrenzt. So können wir das Vorgehen auf beiden Seiten noch besser synchronisieren.
Ganz konkret heißt das, dass wir das Management in unserem Gebiet, das sich an den Bereich nahe des Wistlbergs anschließt, angepasst haben. Früher haben wir dort Borkenkäfer-Management betrieben, nun nicht mehr. Wir sprechen hier von ungefähr 200 Hektar. Die Erweiterung auf deutscher Seite hat uns geholfen, die weitere Wildnis-Insel im Südosten des Nationalparks Šumava an die große gemeinsame Naturzone anzubinden.
„Nationalpark-Idee muss immer wieder erklärt werden“
Apropos Erweiterung: Welche Bedeutung haben die (gemeinsamen) Naturzonen für die Schutzgebiete?
Schuster: Es ist ein ganz wichtiger Schritt im Zusammenwachsen beider Schutzgebiete, dass eine gemeinsame Fläche existiert, auf der annähernd gleiche Schutzbestimmungen herrschen. Denn: Wir haben ein inzwischen für Mitteleuropa einzigartig großes Gebiet, auf dem die Philosophie ‚Natur Natur sein lassen‘ gilt. Hier darf sich die Natur nach ihren ureigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln. Das ist von unschätzbarem Wert!
Wie geht man damit um, dass jede Erweiterung der Naturzonen mit Argusaugen von Seiten der Öffentlichkeit beobachtet wird?
Schuster: In einem Nationalpark muss man immer – egal bei welchen, aber natürlich insbesondere bei konfliktären Themen – mit der Bevölkerung die Kommunikation aufrechterhalten. Bestimmte Entscheidungen müssen mit Kommunalpolitikern und der Bevölkerung frühzeitig abgesprochen werden. Ein ständiger Prozess – auf dieser und jener Seite der Grenze: Die Nationalpark-Idee muss immer wieder erklärt werden. Transparente Öffentlichkeitsarbeit ist hier natürlich ebenfalls unabdingbar. Wir sind mittlerweile in der glücklichen Lage, dass die Akzeptanz für den Nationalpark in der Bevölkerung bei knapp 90 Prozent liegt. Darüber hinaus ist der Austausch mit den Kommunalpolitikern sehr eng und vertrauensvoll.
„Vor zehn, fünfzehn Jahren nicht vorstellbar…“
Hubený: Der Nationalpark Bayerischer Wald hat den Prozess, eine Naturzone von 75 Prozent im Nationalpark zu schaffen, bereits erfolgreich beendet. Jüngst wurde er von der Internationalen Union zum Schutz der Natur (IUCN) ausgezeichnet und international anerkannt. Jetzt sind wir gefordert. Vor zehn, fünfzehn Jahren war es auf tschechischer Seite nicht vorstellbar, dass wir ebenfalls eine Naturzone von 75 Prozent erhalten könnten. Nun ist dies als langfristiges Ziel im Nationalpark-Plan verankert.
Die Mehrheit der Bürgermeister hat dem zugestimmt. Das sind hervorragende Voraussetzungen, dass wir einstige Wirtschaftswälder wieder zu Wildnis werden lassen können. Jedes Jahr werden ein paar weitere Prozente der Gesamtfläche in diese sog. Nicht-Angriff-Zone überführt.
Sie haben gesagt, die Mehrheit der Bürgermeister ist für die Ausweisung von Naturzonen. Nimmt der Rest diese Entscheidung einfach so hin – oder gibt es auch kritische Stimmen?
Hubený: Nicht mehr so viele. Auch bei der Bevölkerung hat die letzte Untersuchung, die das Umweltministerium im August dieses Jahres durchgeführt hat, gezeigt, dass sich nur acht Prozent der befragten Leute sehr skeptisch geäußert haben, was die Ideen des Nationalparks betrifft.
Helmut Weigerstorfer und Marek Matoušek
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Im zweiten Teil des großen Interviews mit den Nationalpark-Chefs auf beiden Seiten der deutsch-tschechischen Grenze, Ursula Schuster und Pavel Hubený, wird es tierisch. Denn dann sind u.a. der Borkenkäfer, der Wolf und das Auerhuhn im Fokus.