Oberseilberg. „Wahrscheinlich hätten unsere Vorfahren nicht geglaubt, dass ihre Fotos mehr als 100 Jahre überdauern“, ist sich Simon Hackl sicher. Als Vorstand des Oberseilberger Kapellenvereins hat sich der 30-Jährige Gedanken gemacht, wie man die Geschichte des Heimatdorfes anschaulich in Form von Bildern und Texten aufbewahren kann. Das Ergebnis: Ein Wandkalender zum 500-jährigen Dorfjubiläum im Jahr 2025. Auf 28 Seiten ist nun die Entwicklung der Ortschaft festgehalten – von der Ersterwähnung im Jahr 1525 bis in die Gegenwart.
Im Jahr 2008 interessierte sich Kreisheimatpfleger Rupert Benrdl für einen unterirdischen Gang, der sich versteckt in einem Wald nahe Oberseilberg befindet. Seine Herkunft konnte – wie bei vielen Erdställen in unserer Region – noch nicht geklärt werden. In dem unzugänglichen Gelände war man auf ortskundige Einheimische angewiesen „Damals war auch mein Vater Leopold mit dabei“, erinnert sich Simon Hackl. Den Beteiligten wurde dabei die Kopie einer unscheinbaren Karte ausgehändigt. Darauf eingezeichnet waren die alten Saumwege zwischen Fürholz und Hinterschmiding. „Andrea Weber von der Kommission für Bayerische Landesgeschichte hat uns nun bestätigt, dass dieser grobe Wegeplan auf das Jahr 1525 datiert wird und die älteste bekannte Erwähnung von Unter- und Oberseilberg beinhaltet“, berichtet der 30-Jährige.
Vom „Franzlbauer“ übern „Jacklfranz“ bis zum „Sebbal“
Von da an beschäftigte sich seine Familie näher mit der Historie und versuchte die lange Lücke in der Geschichte ihres Heimatortes so gut es geht zu füllen. Leopold Hackl fertigte in der Folge Häuser- und Familienchroniken an, die über die Jahre hinweg fortlaufend um neue Erkenntnisse ergänzt wurden. Die Quellen hierzu sind vielfältig – Sohn Simon recherchierte etwa in diversen Online-Angeboten nach alten Zeitungsberichten. Auch die hiesigen Bibliotheken sowie das Stadtarchiv Waldkirchen, das Bistumsarchiv in Passau und das Staatsarchiv in Landshut wurden besucht, um Urkunden und Bücher ausfindig zu machen, die den Ort und seine Bewohner erwähnen.
Mehr als 400 Jahre prägte vor allem Familie Gutsmiedl die Dorfentwicklung. Da deren Name so häufig war, wurden die Häuser vor gut 200 Jahren allein an den Vornamen der Väter unterschieden. Da gab es den Johann Gutsmiedl, der „Hansl“ gerufen wurde, den „Franzlbauer“ bzw. „Jacklfranz“ Franz Gutsmiedl – oder den Josef Gutsmiedl, der „Sebbal“ genannt wurde. Alle waren für die damalige Zeit erfolgreiche und einflussreiche Landwirte. Zu ihren Nachbarn zählten zum Beispiel die Familien Fenzl, Sammer, Schmeizl, Bogner und Lenz. Den ortskundigen Lesern wird auffallen, dass sämtliche dieser Namen wegen Heirat und Wegzug seit ungefähr einem Jahrhundert aus dem Dorf verschwunden sind.
Die Geschichten von früher zu hören ist das eine. Die Gesichter der Beteiligten zu kennen, das andere. Dem Kalenderprojekt kam zugute, dass Annemarie Eckerl – selbst begeisterte Fotografin – die alten Fotos aus dem Dorfgeschehen aufbewahrt und genau beschriftet hat. Ohne diese Informationen hätte man wohl kaum die abgebildeten Personen und den Entstehungszeitraum der Bilder einordnen können, die bis in die 1920er Jahre zurückreichen.
„Sie haben den Grundstein für uns Nachfolger gelegt“
Simon Hackl zeigt sich dankbar dafür, dass Josef Eckerl das Fotoarchiv seiner verstorbenen Frau geöffnet hat und nun die Bilder den nächsten Generationen zugänglich macht. „Man staunt über die Entwicklung der letzten 100 Jahre. Auch der Menschenschlag, der gegen die rauen Bedingungen und zahlreichen Schicksalsschläge anzukämpfen hatte, ist bemerkenswert. Sie haben den Grundstein für uns Nachfolger gelegt“, verdeutlicht der gelernte Bankkaufmann.
Während der Weltwirtschaftskrise der 1920er und 30er Jahre wurde mit einigen Häusern in Oberseilberg spekuliert und rege gehandelt. Da zählten kurzzeitig der Staat, die Bayerische Landsiedlung oder wohlhabende Geschäftsleute aus Oberbayern zu den Besitzern. 1932 sind zwei Anwesen im unteren Dorfteil einem Brand zum Opfer gefallen. Trotzdem wurden sie kurz darauf wiederaufgebaut. Die betroffenen Familien blieben hier. Ähnliche Brandereignisse führten im selben Jahr zur Abwanderung der Bevölkerung aus dem benachbarten Schwendreut. Dort wurden die Ruinen nicht mehr aufgebaut.
Man musste sicher darauf achten, Oberseilberg, das auf einem Hochplateau gelegene Dorf, nicht „zurückzulassen“. So wurde 1966 die erste befestigte Straße für Kraftfahrzeuge nach Grainet gebaut. Bis 1971 gehörte man noch der Altgemeinde Rehberg an. Sicherlich ist die heute vorhandene Infrastruktur auch ein Grund dafür, dass zu Oberseilberg und Kienzlberg mittlerweile 48 Wohnhäuser zählen. Dies entspricht nahezu einer Verfünffachung der Wohngebäude über die letzten 200 Jahre hinweg. Die Expansion hat vor allem in den vergangenen Jahrzehnten Fahrt aufgenommen.
Kalenderbestellung – „wenige Exemplare noch verfügbar“
Manche Seiten im Dorfkalender widmen sich nicht nur den Vorfahren und ihren Häusern, sondern auch dem Brauchtum, verschwundenen Bauwerken sowie den gefallenen und vermissten Männern der beiden Weltkriege. Der Kalender, der vom Kapellenverein herausgegeben wird, beinhaltet neben historischen Bildern auch Farbaufnahmen aus der Gegenwart. Somit lohnt sich das Zurückschauen auch noch in einigen Jahrzehnten.
„Die Nachfrage ist größer als erwartet – es sind nur noch wenige Exemplare verfügbar“, informiert Simon Hackl, Vorsitzender des Kapellenvereins und Gestalter des Kalenders. Wer Interesse an einem Nachdruck hat, kann den Verein via Facebook anschreiben oder eine E-Mail mit seinen Kontaktdaten und dem Betreff „Dorfkalender Oberseilberg“ an info@hogn.de schicken. Ein Exemplar kostet 12 Euro. Der Erlös wird für den Erhalt der Oberseilberger Dorfkapelle eingesetzt.
da Hog’n