So wie die Natur eines Landes ist, so sind auch seine „Naturgeister“. Sie sind im Grunde die Personifikation der Energie, der Atmosphäre, der Eigenart eines Ortes. Ein sanfter Hügel ist Wohnsitz von Feen, in einem tückischen Moor hausen natürlich dunkle Moorgeister.

Elfen personifizieren meist ein kleines, liebliches Stück Natur. Symbolbild: PixxlTeufel_pixabay.com
Personifikationen bringen uns die Natur näher: „Mutter Erde“ klingt anders als „Erde“ oder „Planet“, „Vater Rhein“ anders als nur „der Rhein“. Mit Sprache entsteht Beziehung, mit Beziehung Zuneigung oder auch Abneigung. So wundert es wenig, dass die Geschichten der Menschheit voll sind von Meerfrauen, Berggeistern, Quellennymphen, Flussgöttern, Baumfeen u.a.m.. Von sich aus ist ein Berg eben ein Berg. Aber wenn wir in Beziehung zu ihm gehen, wird er uns zu einem Gegenüber. So ist der Watzmann für die Bayern mehr als irgendein Berg, Iona für die Schotten mehr als nur eine Insel, Tara für die Iren mehr als nur ein Hügel.
Der Wohnsitz der Elfen
Die Elfen sind meistens Bewohner von Hügeln. Sie personifizieren ein kleines, liebliches Stück Natur. Große, markante Berge sind Sitz der Götter – kleine, anmutige Hügel Sitz der Elfen. Die Elfen gehören ursprünglich ebenso wie die Götter zur himmlischen Welt und waren machtvolle Lichtwesen. Die Hausfrau brachte ihnen in Skandinavien im Herbst Opfer dar (das Álfablòt), um die Lebenskraft der Familie und Fruchtbarkeit des Landes zu erhalten und zu fördern. Diese Rituale waren streng geheim, woraus man erkennen kann, wieviel Ehrfurcht man vor diesen Wesen hatte.
Heute verbinden wir mit Elfen etwas Zartes, Schönes, Feines. Junge Mädchen verkleiden sich zu Fasching gerne als Elfe und träumen sich in diese Rolle hinein. Shakespeares Sommernachtstraum hat unsere Vorstellung von Elfen sehr mitgeprägt als winzige Frauen mit Flügeln – was sie nie waren. J.R.R. Tolkien schildert sie als menschengroße, unsterbliche, extrem intelligente, starke und geschickte, aber nicht makellose Wesen. So mag jede Zeit ihre Vorstellung von ihnen haben. Doch von den Anfängen her sind sie die, die den Göttern am nächsten stehen.
Gibt es Elfen?
Es gibt viele Berichte darüber, wie Menschen Naturgeister und andere Geistwesen erschienen sind. Daran braucht man nicht zweifeln. Auch nicht am Verstand dieser Menschen. Aber es ist hilfreich zu verstehen, dass dies nicht im normalen Bewusstseinszustand geschieht. Wer zum Himmel schaut, sieht einfach Wolken. Wer einen Baum ansieht, sieht nur den Baum. Aber wenn wir unser Bewusstsein etwas anders ausrichten, sehen wir in den Wolken vielleicht eine Herde Schafe, im Baum ein Gesicht.
Das ist der Blick des Poeten. Aber auch der Blick des Schamanen. So schauen die Liebenden und so schauen die Träumenden. Diese Seite unserer Seele ist angesprochen, wenn wir von solchen Wesen reden. Es ist nicht die Frage, ob es sie gibt, sondern ob wir die Welt so anschauen und erleben mögen – und ob wir uns auch wieder davon lösen können. Denn die Geister, die wir auf diese Weise rufen und kreieren, können magisch sein und uns in ihren Bann schlagen.
Davon wissen die Märchen viel zu erzählen – und diese Warnung ist durchaus angebracht. So schön es ist, ein Dichter zu sein oder ein Schamane – so einseitig ist dieser Weltzugang letztlich doch. Er kann bezaubern, er kann sogar heilsam sein und Wunderdinge vollbringen. Aber wenn wir davon gefangen sind, wird uns die Erde zum Geisterhaus und wir sind nicht mehr in der Lage, den Berg einfach so zu sehen, wie er ist. In der Psychologie würde man sagen: wir erliegen unseren Projektionen.
Die Ursprünge der Elfen
Die ersten Zeugnisse der Elfen haben wir in der nordischen Mythologie. Dort heißen sie Alben oder Elben, was wohl so viel bedeutet wie die Weißen, Glänzenden. Im lateinischen Wort albus (Deutsch: weiß) oder im russischen Wort lébed (Deutsch: Schwan) haben wir noch Erinnerungen an diese indogermanische Wortwurzel „albh“. Sie stehen in großer Nähe zu den Göttern, Asen und Alben konnten in einem Atemzug genannt werden.
So können wir festhalten, dass die Elfen ursprünglich Lichtgestalten und der himmlischen Welt zuzurechnen sind – vergleichbar den Engeln unserer christlichen Kultur. Und so wie den Engeln die Dämonen als Ausgleich gegenüberstehen, so findet man auch schwarze Alben im Gegenüber zu den lichten. Sie sind nicht zwangsweise böse, sie stehen den Zwergen nahe und verkörpern die dunkle, erdhafte Seite der Natur.
Viele Zwerge tragen das Elbische in ihrem Namen (Alberich, Alfr, Gandalfr …). Dämonisch wurden die Elfen erst durch die Christianisierung, in der sie viel von ihrer einstigen Macht einbüßten, bis sie für uns heute zum Ausdruck des mädchenhaft Schönen, Leichten und Anmutigen wurden. Sie ist wie eine Elfe, sagen wir zu einer zarten Mädchengestalt.
Elfen und Feen
Wir könnten auf Anhieb wahrscheinlich kaum sagen, was hier der Unterschied ist. Tatsächlich werden im Märchen „Der Page und sein Silberkelch“ die Bezeichnungen austauschbar verwendet. Ein neugieriger Bursche wagt sich in einen „Elfenhügel“ und sieht die „Feen“ aus einem Wunderkelch trinken, der sich stets von neuem mit Wein füllt. Er raubt ihn und kann nur mit Mühe dem wütenden Feenvolk entkommen.

Auch die legendären Gebrüder Grimm befassten sich mit Elfen bzw. Feen. Symbolbild: s-m_1989/pixabay.com
Die Elfe stammt aus germanischer, die Fee (französisch: fée) aus romanischer Tradition. Es sind nur Nuancen, die das Elfenhafte vom Feenhaften unterscheiden. Tatsächlich könnte man manche Feengeschichten wie z.B. die vom jungen Ritter Tam Lin, der von einer Feenkönigin geraubt wird, auch problemlos als Elfengeschichte erzählen. Bei anderen Märchen wie Dornröschen verkörpern die Feen keine Naturgeister, sondern Nornen. Weissagende, mächtige Frauen, die das Netz des Schicksals mit weben.
Was wir heute unter Feen verstehen, ist im 18. und 19. Jahrhundert aus der englischen und französischen Literatur zu uns nach Deutschland gekommen und man muss immer genau hinschauen, ob damit das fatum (Schicksal) angesprochen wird oder der Naturgeist. Die Brüder Grimm z.B. veröffentlichten 1826 einen Band irischer fairy tales, in dem Naturgeister verschiedener Art versammelt sind. Damit ist die Gleichsetzung praktisch vollzogen, aber leider auch der Unterschied verwischt.
Der Wandlung der Elfen im Zuge der Christianisierung
Je christlicher die europäischen Länder wurden, desto mehr dämonisierten sie die Geistwesen der alten Traditionen. Auch die lichtvollen oder erdhaften Elfen wurden zu dämonischen Wesen, die mit Vorliebe Säuglinge stahlen oder ihren eigenen ‚Balg‘ mit einem menschlichen austauschten und den Menschen böse Streiche spielten. Das taten sie zwar gelegentlich auch schon vorher, um ihre eigenen Kinder von Menschen erziehen zu lassen. Aber eine grundsätzliche Bosheit war ihnen fern. So wurde auch in unserer Sprache das Wort elbisch im Mittelalter ein Synonym für jenseitig und unheimlich:
Ich sehe wol, daz dû elbisch bist;
ein elbische ungehiure!
sprach sie, dû sist verwâzen (verflucht)! (Ruodiger)
Nur weniges in unserer Sprache erinnert noch an die Elben. Der Fluss Elbe (lateinisch: albis) trägt die Elfe in ihrem Namen. Ein Traum, der einen in Angstzustände versetzt, nennt man einen ‚Alb’traum“ (Alptraum). Hier kommt das Berückende und Bedrückende am klarsten zum Ausdruck, das der Christenmensch auf die Geister der Vorfahren projizierte.
Was haben uns die Elfen heute zu sagen?
Was alte Erzählungen uns heute zu sagen haben, kann man an der Lebensgemeinschaft Findhorn im Nordosten Schottlands erahnen. Dort hat man sich den friedvollen Umgang mit der Natur und untereinander auf die Fahnen geschrieben. Man sieht die Pflanzen nicht nur als Nahrungsmittel, sondern als eigene Wesen, mit denen man sprechen, die man ehren und gut behandeln kann. Das führte dazu, dass selbst auf ertragsarmen Böden die Pflanzen sensationell wuchsen und gediehen.

Die Natur ist lichtvoll, sie ist geschickt am Werke, sie ist riesig und kraftvoll. Foto: Hog’n-Archiv
Es sollte heute nicht mehr so sehr darum gehen, ob man die alten Geschichten glauben soll oder nicht, ob sich das alles so zugetragen hat oder nicht. Die Elfe steht wie der Zwerg oder der Riese oder die Fee für einen Aspekt der Natur: die Natur ist lichtvoll, sie ist geschickt am Werke, sie ist riesig und kraftvoll – und an vielen Stellen zauberhaft. Wenn wir die Natur sehen, können wir sie als lebendig wahrnehmen und achten.
Es ist doch ein und dasselbe Leben, das auch durch unsere Adern fließt. Wir sind selbst ein Teil des großen ‚Lebensbaumes‘. Weil wir auch Natur sind, wundert es nicht mehr so sehr, dass auch andere Formen des Lebens – wie wir – entstehen, atmen, sich nähren, kämpfen, arbeiten, sich entwickeln, sich vermehren, altern und sterben. Pflanzen und Tiere sind nur nicht so bewusst wie wir.
Es besteht noch Hoffnung…
Alle Naturgeister sind magische Bilder der Schönheit und Einzigkeit der Erde. Die Natur hilft uns, wenn wir ihr helfen. Sie hat ihre Magie und ihre Kraft, aber auch ihren Fluch und ihr Verderben, wenn wir uns dumm und respektlos verhalten. Solange sich das Licht noch zauberhaft im Moos des Waldes spiegeln kann, so lange der Fluss noch in seinen eigenen Windungen ungetrübt durch die Landschaft schlängeln darf, solange die Berge noch Berge und die Hügel noch Hügel sind, besteht noch Hoffnung, auch für uns Menschen.
Dr. Jürgen Wagner