Passau/Wien. Imposante Bauwerke, eine Orgel mit 17.774 Pfeifen, saure Lüngerl und “ein Hauch von Italien” machten Passau zu einem der beliebtesten Kreuzfahrtziele entlang der Donau, schwärmte 2009 ein Reporter des SPIEGEL. Knapp 2.000 Schiffe legten damals jährlich in Passau an. Mittlerweile ist deren Zahl gestiegen – denn bis heute hat die Dreiflüssestadt bei Kreuzfahrttouristen nichts an ihrer Attraktivität eingebüßt. Im Gegenteil. Kreuzfahrten boomen – für die Hafenstädte entlang Europas zweitlängstem Fluss ist das ein Millionengeschäft.
Des einen Freud’ ist des andern Leid. Die sprudelnden Einnahmen für Tourismus und Wirtschaft haben ihre Schattenseiten, die sich nicht unbedingt im Ticketpreis widerspiegeln. Den Preis für den Kreuzfahrtboom zahlen Beschäftigte, Umwelt, Steuerzahler und Anwohner.
Verheerende Arbeitsbedingungen
Während an Deck Fünf-Gänge-Captains-Dinner serviert und edle Weine kredenzt werden, ist die Situation unter Deck – also abseits von Luxus und Donau-Romantik – meist weit weniger komfortabel. Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sind teils verheerend, wie etwa ein Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation der UNO (ILO) vom November 2023 zeigt. Darin heißt es, bei stichprobenartigen Kontrollen auf Donau-Kreuzfahrtschiffen hätten Beschäftigte weniger als 2,80 Euro pro Stunde verdient und einen “monatlichen Nettolohn von 800 Euro für 280 Stunden Arbeit” erhalten.
Das Problem: Die rechtliche Lage in der Kreuzfahrtschifffahrt ist komplex und die Strukturen in hohem Maße intransparent. Denn was von außen wie ein Schiff wirken mag, ist in Wirklichkeit oft ein Konglomerat verschiedener Unternehmen. Auch wenn die Kreuzfahrtschiffe die Donau bereisen – ihren Sitz haben sie meist in der Schweiz, ihr Personal kommt häufig aus Osteuropa, Asien oder Afrika und wird über Subunternehmen in Rumänien, Zypern oder Malta beschäftigt. Das heißt, bei Reederei, Schiffsbetreibern, Reisebüros sowie den Arbeitgebern von Kapitänen, Mechanikern, Hotelcrew, Restaurantpersonal etc. handelt es sich oftmals um unterschiedliche Firmen – was es Gewerkschaften und Behörden erschwert, gegen Gesetzesverstöße vorzugehen.
Laut Landeskriminalamt Bayern öffnen derlei Konstrukte Steuervermeidung und illegalen Beschäftigungspraktiken Tür und Tor. 2017 überprüfte das bayerische LKA 1.000 Beschäftigte auf 63 Flusskreuzfahrtschiffen – auf allen konnten Verstöße oder rechtlich fragwürdige Praktiken festgestellt werden, der Zoll leitete in 150 Fällen Ermittlungen ein.
Umweltbelastungen
Auch die Umwelt leidet unter dem steigenden Flussverkehrsaufkommen. Zwar werden Flusskreuzer – anders als ihr hochseetaugliches Pendant – nicht mit Schweröl, sondern mit Diesel betrieben, doch meist ohne Feinstaubpartikelfilter oder Stickoxidkatalysator. Laut einer Anfrage im Linzer Gemeinderat braucht ein Kreuzfahrtschiff bei Vollauslastung rund 63 Liter Diesel pro Stunde, maximal 1.500 Liter pro Tag. Die wenigsten Schiffe behandeln Abgase nach oder reinigen sie. Dementsprechende Mengen an Stickoxiden und Feinstaub landen in der Luft.
Das Land Oberösterreich zeigte in einer Immissionsstudie 2018, dass der Schiffsverkehr in Engelhartszell (unweit der deutschen Grenze) 128 Tonnen Stickoxid verursacht – zehnmal mehr als der rollende Verkehr. Seither ist die Zahl der Schiffe, die von Passau Richtung Wien, Budapest oder bis ans Schwarze Meer fahren – mit Ausnahme der Corona-Jahre – kontinuierlich gestiegen. Und Branchenkenner rechnen mit einem weiteren Anstieg.
Anwohnerbelastungen
Auch die Anwohner in Passau stöhnen angesichts der steigenden Passagierzahlen. Regelmäßig würden Abwasser und Fäkalien in die Donau geleitet, der Lärm der Schiffsmotoren störe und dessen Emissionen sorgten für stickige Luft in der Innenstadt. 2017 brachten 2.482 Schiffe rund 300.000 Touristen nach Passau. Wilhelm Fritz, damaliger Betriebsleiter Verkehr der Stadtwerke Passau, wird in der Bayerischen Staatszeitung damals so zitiert: “Unsere Kapazitäten sind komplett ausgeschöpft.” Weniger besorgt schien Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD): Er bezeichnete die Entwicklung als “sehr erfreulich”.
Vergangenes Jahr bewegten sich die Passagierzahlen auf ähnlich hohem Niveau, bei den Anlegungen konnte die Stadt in den vergangenen Jahren insgesamt ein Plus von 25 Prozent erzielen. Und wie zufrieden ist der Bürgermeister heute? In einem knapp gehaltenen Statement auf Nachfrage heißt es, Beschwerden seitens der Anwohner über Lärm und Umweltbelastungen kämen nur “sehr vereinzelt vor”, als Stadt Passau aber nimmt man die “Kritikpunkte ernst und wir versuchen in Gesprächen die Ursachen von Konflikten oder Missverständnissen zu klären”.
Konkret können Schiffe während ihres Aufenthalts im Passauer Hafen nun etwa Landstrom beziehen, was Lärm und Umweltbelastungen eines Dieselaggregates vermeidet. Außerdem finden laut einem Sprecher Duppers tägliche Kontrollgänge an den Anlegestellen statt, um “explizit auf die Einhaltung der Nutzungsbedingungen hinzuweisen”. Zu den mutmaßlich problematischen Arbeitsbedingungen auf den Kreuzern, die der Stadt stattliche Einnahmen bescheren, äußerte sich der Sprecher nicht.
Dicke Luft statt „Hauch von Italien“?
Kein Zweifel, die Kreuzfahrt ist für Passaus Wirtschaft ein Segen: “Da Kreuzfahrtpassagiere auch an Land meist einen nicht unerheblichen Betrag an Geld ausgeben, generieren diese Besucher nicht nur eine Wertschöpfung für Unterkunfts- und Gastronomiebetriebe, sondern auch für den ansässigen Einzelhandel, für Zulieferer und für Transportunternehmen”, heißt es in einer Mitteilung der Stadt Passau. Ob der “Hauch von Italien” in Passau beim anhaltenden Kreuzfahrt-Boom zunehmend dicker Luft weichen muss? Ein Blick in andere Tourismus-Hotspots entlang der Donau hält für die Dreiflüssestadt keine verheißungsvollen Aussichten parat. Als sicher gilt: Das Geschäft der Schifffahrtsunternehmen wird auch in den nächsten Jahren florieren.
Johannes Greß & Christof Mackinger
Die Recherche wurde gefördert von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt sowie von Netzwerk Recherche/Olin gGmbH. Der Artikel wurde zuerst im Passauer Magazin „Bürgerblick“ veröffentlicht.