Kirchberg im Wald. Im südlichen Landkreis Regen, im kleinen Dorf Hintberg bei Kirchberg im Wald, ist es beheimatet, „dieses verkackte Hirn“ . Genauer gesagt: einer der Macher des gleichnamigen Podcasts. Seit einigen Wochen senden Florian Ehrnböck (41) und seine Kollegin Helga Kausel, die in Niederösterreich lebt, in regelmäßigen Abständen selbst produzierte Hörstücke rund um ein Thema, das sie beide vereint und das ihnen auf den Nägeln brennt: Es geht um Depression, dem „Schatten auf der Seele“.
Depressionen zählen zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen, berichtet die „Stiftung Deutsche Depressionshilfe“. 5,3 Millionen der erwachsenen Deutschen im Alter von 18 bis 79 Jahren erkranken im Laufe eines Jahres an einer unipolaren oder anhaltenden depressiven Störung. Jeder fünfte Beschäftigte war im Jahr 2021 von jener psychischen Störung betroffen. Florian Ehrnböck, von uns einst als „Botschafter des Bayerischen Waldes“ porträtiert, spricht im Interview über den Podcast, seine Erkrankung und die Frage, wie er damit umgeht.
„Es muss aufhören, dass dieses Thema belächelt wird“
Flo: Wie bist du und deine Mitstreiterin auf die Idee zum Podcast „Dieses verkackte Hirn“ gekommen? Und warum dieser Titel?
Helga und ich haben uns über Instagram ausgetauscht. Sie sagte: Jetzt wird’s mal Zeit, dass ihr uns besuchen kommt. Darauf hab ich geantwortet, dass es momentan etwas kompliziert für mich ist, so weit wegzufahren. Da waren wir schnell bei meinem Krankheitsbild – und Helga meinte dann, dass sie auch betroffen sei und gerne einen Podcast über mentale Gesundheit machen würde. Ich war sofort dabei und hab gesagt: Lass uns das machen. ‚Dieses verkackte Hirn‘ heißt der Podcast deswegen, weil es eben oft schwer ist, damit umzugehen…
Was erwartet die Hörer und Hörerinnen, wenn sie „Dieses verkackte Hirn“ aktivieren? Wer ist eure Zielgruppe?
Offene Gespräche mit einhundertprozentiger Ehrlichkeit über alles, was das Thema Depression, Angststörung, Panikattacken und Co. betrifft. Helga und ich werden viele Gespräche zu zweit führen – und uns auch immer wieder Gäste mit dazu holen.
Als Selbstbetroffener: Wie wichtig war es dir persönlich, mit dem Podcast einen öffentlichen Raum für das leider immer noch recht tabuisierte Thema „Depression“ zu schaffen?
Sehr, sehr wichtig. Es muss aufhören, dass dieses Thema belächelt oder als Einbildung bewertet wird. Depression ist eine sehr schwere Erkrankung, die potenziell tödlich sein kann. Der Podcast soll sowohl für Betroffene als auch für Angehörige sein. Generell für jeden, den dieses Thema interessiert. Es geht uns darum, das Thema Depression und Co. zu enttabuisieren und für alle etwas besser verständlich zu machen – und Betroffenen dabei zu helfen, besser damit leben zu können. Auch Aussagen wie: ‚Hab dich doch nicht so‘, ‚Geh doch mal raus‘, ‚Denk nicht so viel nach, dann wird’s schon wieder‘ etc. sind keinerlei Hilfe. Sie geben dem Betroffenen das Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden.
„Man lernt früh, ein guter Schauspieler zu sein“
Kannst du dir aus heutiger Sicht erklären, warum du depressiv geworden bist? Was war(en) dein(e) Auslöser?
Es gibt bei mir keinen speziellen Auslöser für meine Depression. Die Welt und die Menschen darauf haben mich depressiv gemacht. Schon sehr früh. Ich kann bis heute nicht damit umgehen, dass der Mensch an sich ein sehr dummes und egoistisches Lebewesen ist. Das passt einfach nicht in mein Weltbild. Es ist nicht so, dass ich die Welt an sich nicht mag. Ich bin gerne hier. Nur stelle ich mir das Zusammenleben auf dieser Kugel einfach anders vor. Doch das kann mir leider auch keiner verschönern, erleichtern oder abnehmen.
Wie äußert sich die Depression bei dir? Wirst du traurig, still, trübsinnig? Oder ist die Erkrankung für einen Außenstehenden gar nicht sofort erkennbar?
Als depressiver Mensch lernt man früh, ein guter Schauspieler zu sein, um es andere nicht merken zu lassen, was mit einem los ist. Das heißt: Wenn ich nicht möchte, dass es auffällt, dann wäre bzw. war ich in der Lage, es für den geforderten Moment sehr gut zu überspielen. Mich macht die Depression schwarz-weiß. Keinerlei Gefühle mehr. Weder Schmerz noch Freude werden empfunden – und ich kann keine Gedanken fassen und mich schlecht fokussieren. Ich werde sehr, sehr still und zurückgezogen. Man möchte natürlich auch niemanden damit belasten.
„Echt, dir geht’s nicht gut? Aber du lachst doch eh wenn ich dich sehe!“
Wie schwierig ist es für dich, deinen Alltag zu bestreiten, zu „funktionieren“? Mit welchen Problemen hast du zu kämpfen?
Momentan ist es ganz okay – und es geht in die richtige Richtung. Vor einem Jahr ging gar nichts mehr. Kein Autofahren, kein Rausgehen. Maximal in den Garten. Mehrere Panikattacken am Tag – und die Akkus komplett leer. Zu den Problemen gehört, dass es einem nicht möglich ist, am sozialen Leben teilzunehmen. Es sind keine Arztbesuche möglich. Kein Einkaufen. Keine wichtigen Termine im Leben meines Sohnes. Letzter Kindergartentag: Papa konnte nicht kommen. Erster Schultag: Papa konnte nicht kommen. Erstes Theaterstück: Papa konnte nicht kommen. Erstes Fußballspiel: Papa konnte nicht kommen. Das schmerzt sehr – und macht nicht nur mich traurig.
„Es entscheiden oft nur Sekunden“
Auch Panikattacken, wie du beschreibst, gehen mit deiner Depression immer wieder einher. Was passiert da genau? Wie fühlst du dich dabei? Und: Hast du dir eine Strategie zurechtgelegt, um diese zu vermeiden?
Es gibt viele Punkte, die bei den meisten Menschen gleich sind. Wenn man sie das erste Mal hat, denkt man, dass man sterben könnte. Atemnot, schneller Herzschlag, Schweißausbrüche etc. Bei mir kommt hinzu, dass ich fast nichts mehr höre und meine Feinmotorik verliere – und somit meine Sicherheit. Die Atmung komplett zu beruhigen, hilft meiner Meinung nach am besten. Sich zu fokussieren und die Atmung runterzufahren. Langsame, bewusste Atmung – dann hat die Attacke keine Chance mehr.
Depressionen enden bei nicht wenigen Menschen in Gedanken an Suizid. Welchen Rat hast du für diejenigen, die in eine derartige Situation geraten?
Sich sofort an jemanden wenden. SOFORT. Es entscheiden oft nur Sekunden darüber, ob man am leben bleibt oder ob man stirbt. Im Schnitt entscheiden sich solche Situationen in ein paar Minuten. Das heißt: Wenn man versucht, jemanden anzurufen, diese Person aber nicht rangeht, dann kann es das schon gewesen sein. Die Devise lautet: ruhig bleiben, mit jemandem darüber reden. Wenn niemand da ist, den Notruf wählen. Die, die zurückbleiben, müssen den Schmerz ihr Leben lang ertragen.
Du befindest dich in Therapie. Wie wichtig ist sie für dich? Und vor allem: Wie wirksam?
Eine Therapie ist unverzichtbar. Es ist mein Sicherheitsnetz. Ich habe fundiertes Wissen über meine Krankheit. Deswegen läuft das bei mir etwas anders als bei anderen. Es ist ein Austausch auf Augenhöhe, der mir die absolute Sicherheit gibt, verstanden zu werden. Mir persönlich hilft das sehr. Leider ist es nicht leicht, einen Platz zu bekommen. Die Wartezeiten liegen bei etwa sechs Monaten. Das ist ein sehr großes Problem.
„Raus aus dem dunklen Loch“
Wie schaffst du’s persönlich, aus deinen depressiven Phasen wieder herauszukommen? Gibt es da irgendwelche „Kniffe“, die du für dich entwickelt hast?
Gar nicht. Ich akzeptiere sie und habe gelernt, mit ihnen zu leben. Das ist auch der Punkt. Zu akzeptieren, dass man krank ist. Sich Ruhe gönnen, sich Zeit nehmen – und den Stress, Alkohol usw. aus dem Alltag streichen. Egal, was andere sagen. Das ist der erste Schritt raus aus dem dunklen Loch. Wenn man zu tief sitzt, dann schafft man es nicht allein. Das darf man sich auch in keinem Falle einreden. Man verliert wertvolle Lebenszeit. Man muss mit sehr kleinen Schritten durch die Hölle gehen. Nur dann kommt man durch. Versucht man außen rum zu gehen, dann verliert man sich. Das ist gefährlich.
Was wünschst du dir für die Zukunft? „Geheilt“ zu werden? Einen besseren Weg zu finden, mit der Erkrankung klar zu kommen?
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass ich anderen Betroffenen den Weg leichter machen kann, als der, den ich gehen musste. Ich werde klarkommen. Auch wenn es mich mein Leben lang begleiten wird. Aber ich kann Betroffenen einiges an Arbeit abnehmen, um Hilfe zu finden. Wer nicht aus dem Bett kommt, von dem kann man nicht verlangen und erwarten, all die komplizierten Wege zu beschreiten, die nötig sind, um ‚geheilt‘ zu werden. Der Podcast, die Website, Facebook und Instagram sind erst der Anfang. Ich hoffe, dass sich etwas Größeres daraus ergibt. Ich bin guter Dinge – und Helga und ich werden unser Bestes geben, das alles möglich zu machen.
Vielen Dank für deine offenen und ehrlichen Worte. Alles Gute!
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer