Wegscheid. Ist es einfach nur ein Nachbarschaftsstreit, wie er immer wieder einmal vorkommt? Bei dem ein (beleidigendes) Wort aufs andere folgt, bis die Fronten so verhärtet sind, dass der Gang zur Polizei oder zum Anwalt der einzige Ausweg ist? Oder bekommt jener Zwist zwischen zwei Gewerbetreibenden in der Marktstraße von Wegscheid eine pikante Note dadurch, dass Rassismus mit im Spiel ist?
Auf der einen Seite: Nadine und Werner Baumüller, die in der Marktgemeinde einen Friseursalon betreiben. Auf der anderen: Tekoshin Arif, der einen Dönerladen in unmittelbarer Nähe führt. Und irgendwie sind auch Bürgermeister Christian Escherich sowie der Großteil der Bevölkerung im deutsch-österreichischen Grenzort mit involviert. Ein Fall, bei dem – wie so oft – Aussage gegen Aussage steht.
„Du bist kein deutscher Mensch“
Mittlerweile sind Emotionen im Spiel. Nicht gerade wenige. Der Streit eskaliert. Und dennoch gibt es eine große Gemeinsamkeit. Sowohl die Baumüllers als auch Tekoshin Arif zeigen sich gegenüber dem Onlinemagazin da Hog’n zunächst redselig. Beide Parteien sind darauf bedacht, ihre Sicht der Dinge in aller Ausführlichkeit zu erklären – und sich als Opfer des jeweiligen Gegenübers darzustellen. Dann folgt plötzlich der Rückzieher. Das Friseur-Ehepaar wollte zunächst das Video, das in diesem Fall maßgeblich ist, sehen, ehe es sich zur Sache offiziell äußert. Und auch der Gastronom wollte auf einmal keine Auskunft mehr geben – und seine Ruhe haben. Aber dann will man doch reden.
Die Geschichte beginnt mit jenem Video, das am Abend des 24. September von Tekoshin Arif aufgenommen worden ist, via WhatsApp seine Runden machte – und auch der Hog’n-Redaktion zugespielt worden ist. Die „Hauptrolle“ in diesem Film nimmt Werner Baumüller ein. „Weist du was, ich stehe dazu: Du hast kein Benehmen hier in unserem Land. (…) Du nennst meine Frau Hure“, startet der Friseurmeister darin seinen Monolog. Im weiteren Verlauf poltert er: „Du bist kein deutscher Mensch. Du bist nicht deutsch. Du hast keinen deutschen Ausweis. Du hast keinen deutschen Führerschein (…)“
Ist das Rassismus? Ist das Ausländerfeindlichkeit? Aus Sicht von Tekoshin Arif ist die Antwort auf diese Fragen eindeutig: Ja. Der 30-jährige kurdische Kriegsflüchtling spricht davon, dass sein Widersacher seit der Eröffnung des Friseurladens im April dieses Jahres mit der gesamten Marktstraße den Streit sucht. Vor allem auf ihn hätte er es abgesehen, weil er Ausländer sei. „Im Video ist er sehr schlau vorgegangen und war sehr höflich“, macht der Dönerladen-Betreiber deutlich.
Tekoshin Arif weiß aus eigener Erfahrung: „Er hat auch noch ein anderes Gesicht. Ich habe Angst. Dieser Mann ist eine Gefahr für die Gesellschaft, also für uns alle!“ Gegenüber dem Hog’n versichert Arif, dass er Sabine Baumüller nie beschimpft habe: „Warum soll ich eine Frau beleidigen?“ Genauso sei es nie seine Absicht gewesen, die Baumüllers aus ihrem Friseurgeschäft zu drängen, um dort einen Barbershop zu eröffnen, wie das Ehepaar ihm vorwirft.
„Auf inakzeptable Weise rassistisch persönlich beleidigt“
Der 30-Jährige steht mit seiner Meinung nicht alleine da. Ein dem Hog’n namentlich bekannter Insider stellt die Sache ähnlich dar. Auch Bürgermeister Christian Escherich (CSU), der sich auf Anfrage nicht weiter zu dieser Angelegenheit äußern möchte, schlägt in dieselbe Kerbe: Mit einer offiziellen Stellungnahme, die er zunächst auf seinem privaten Facebook-Profil veröffentlicht hat – und dann über den offiziellen FB-Account der Marktgemeinde Wegscheid geteilt worden ist. Der Beitrag im Wortlaut:
„Liebe Bürgerinnen und Bürger,
es ist mir ein persönliches Anliegen, mich zu einem Vorfall zu äußern, der in unserer Gemeinde jüngst für Aufsehen gesorgt hat. Der Betreiber eines Döner-Imbisses wurde auf inakzeptabler Weise rassistisch persönlich beleidigt. Solche Vorfälle schaden nicht nur dem Zusammenleben in unserer Gemeinde und schaden unserem Ansehen, sondern widersprechen zutiefst den Werten, für die wir hier in Wegscheid stehen.
Wegscheid ist ein Ort, der von gegenseitigem Respekt und Zusammenhalt geprägt ist. Ein respektvoller und wertschätzender Umgang miteinander ist die Basis unseres friedlichen Zusammenlebens. Ich verurteile diese rassistische Beleidigung auf das Schärfste. Hass und Diskriminierung haben in unserer Gemeinde keinen Platz
Wir sind eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützt und füreinander einsteht, unabhängig von Herkunft, Religion und Hautfarbe. Lassen Sie uns weiterhin an einem respektvollen Umgang miteinander festhalten und uns gegen jede Form von Rassismus und Intoleranz stellen.
Lassen Sie uns alle gemeinsam dafür sorgen, dass solche Vorfälle in Zukunft nicht mehr vorkommen und unsere Gemeinde weiterhin ein Ort des Friedens und der Toleranz bleibt.“
Überwachungskamera installiert, „um Gewerbe zu schützen“
Nach – wie das Friseurpaar betont – Rücksprache mit ihrem Anwalt, gibt Werner Baumüller eine schriftliche Stellungnahme (im Wortlaut bei Klick) zu den jüngsten Geschehnissen in der Wegscheider Marktstraße ab. Dabei berichtet der Friseurmeister u.a. davon, dass er vom „Leiter des orientalischen Imbiss“ regelmäßig zu hören bekam, dass „er uns pleite macht“ und dass er im Laden der Baumüllers einen Barbershop „reinmachen“ will. Die Situation habe sich immer mehr zugespitzt, sodass „wir auch eine Überwachungskamera installieren mussten, um unser Gewerbe zu schützen“. Es hätte verstärkt Beleidigungen und Verleumdungen durch die Gegenseite gegeben, beteuert das bekennende AfD-Mitglied in dem detaillierten Schreiben.
Baumüllers haben folgendes Video veröffentlicht, um „offen und ungeniert über das Thema zu sprechen“:
Und auch Anzeigen. Gegen den Stylisten von Seiten des Kontrahenten wegen „Volksverhetzung“. In Folge des genannten Videos, unmittelbar vor dessen Entstehen Tekoshin Arif zu Nadine Baumüller „Ihr seid eh bald weg und du bist eine deutsche Hure“ gesagt haben soll, in die andere Richtung wegen „sexueller Belästigung“ und „Beleidigung“. Die zuständige Polizeiinspektion Hauzenberg konnte den Eingang der Anzeigen auf Hog’n-Nachfrage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung weder bestätigen noch dementieren.
Zudem hätte Nadine Baumüller aufgrund dieser Angelegenheit das Gespräch mit Bürgermeister Escherich gesucht – mit dem Ergebnis: „Er hält sich raus. Wir sollen das selber klären.“ Es gab also nicht die gewünschte Unterstützung des Marktoberhauptes, vielmehr besagten Facebook-Post. „Gleichzeitig hat die Hetze gegen uns angefangen – und uns wollte keiner anhören.“
„Wir distanzieren uns von Gewalt – und sind keine Rassisten“
Insgesamt stellt Werner Baumüller abschließend folgendes fest:
„Wir distanzieren uns von jeglicher Gewalt und wir sind auch keine Rassisten und diskriminieren auch niemand. Nur man muss auch mal sehen, dass wir auch permanent diese Schikanen erdulden mussten, ohne dass uns jemand geholfen oder geglaubt hat. Wir stehen immer noch unter Schock, welchen Hass wir abbekommen wegen einem Video, was juristisch gesehen nicht im geringsten etwas mit Rassismus zu tun hat, aber mit einem gewissen Anstand und mit einem gewissen Ehrenpotenzial, Frauen vor sexuellen Belästigungen zu schützen.“
Es steht Aussage gegen Aussage. Ist es nur ein Nachbarschaftsstreit, der Wegscheid da derzeit beschäftigt? Oder ein Fall von Rassismus? Interpretationen erlaubt.
Helmut Weigerstorfer
Redaktioneller Nachtrag vom 4. Oktober 2024: Auf Hog’n-Nachfrage bzgl. gegenseitiger Anzeigen teilt die Pressestelle der Polizei Niederbayern folgendes mit: „Der benannte Sachverhalt ist der Polizei bekannt und wird geprüft. Entsprechende Ermittlungen laufen und dauern an. Weitere Informationen können aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens nicht gegeben werden.“