Schergengrub/Rattenberg/Straubing-Bogen. „I mog des scho do. I mog de Landschaft, de Leid, de Mentalität, den Dialekt, des Bier. I mog des Essen do.“ Ludwig „Lucki“ Maurer hat seine Herkunft, den Woid – genauer: den abgelegenen Hof seiner Großeltern im winzigen Weiler Schergengrub – zu seiner Wahlheimat gemacht. Als Kind wollte er damals aber einfach nur weg. Besuch bei einem Bayerwald-Patrioten.

Der alte Holzofen der Oma wie auch die 150 Jahre alte Wanduhr, die mit ihrem „Klack klack“ an vergangene Zeiten erinnert, sind nicht wegzudenken aus der Bauernstube. Früher essen hier alle gemeinsam, mittlerweile wird sie unter anderem für Besprechungen genutzt.
Jahrelang war der deutschlandweit und international bekannte Profikoch, außerdem Bauer und passionierter Metal-Musiker, in der ganzen Welt unterwegs – und das sehr gerne. Jetzt ist ihm nichts lieber, als so schnell wie möglich wieder „dahoam“ zu sein. Seit 2007 betreibt der 43-Jährige gemeinsam mit seiner Frau Stephanie auf dem Anwesen nahe Rattenberg im Landkreis Straubing-Bogen mit großer Leidenschaft eine Bio-Zucht der Nobel-Rinderrasse Wagyū, mittlerweile auch einen Laden mit eigenen Produkten. Der Hof gilt zusätzlich als „kulinarischer Hotspot“: Im STOI, einem PopUp-Restaurant mit Kochschule im über 300 Jahre alten Bauernhaus, finden Veranstaltungen mit Promi-Gästen und Besuchern von überall her statt.
„Fluch und Segen“ der Kindheit
Lucki Maurer nimmt in der Bauernstube mit dem alten Holzofen der Großmutter am imposanten Tisch Platz. Der wird mittlerweile unter anderem für Besprechungen genutzt. An einer Wand hängt eine 150 Jahre alte Wanduhr, ein Regulator. An der anderen ein großes Glasbild vom ursprünglichen Gehöft, davor die Vorfahren der Familie. „Genau do, wo wir jetz sitz’n, hat mei Oma damals a Reine mit Kartoffelsterz in d’Mitte g’stellt, zu fünft hama draus g’essn“ – Foodsharing anno dazumal. Er erinnert sich lachend zurück, der große, rotbärtige Mann mit den vielen Piercings, Pferdeschwanz und Cappy. Der mit seinem rockigen Metal-Look auf den ersten Blick nicht der Urtypus eines „Waidlers“ und Landwirts zu sein scheint. Und doch, man sieht – und hört es: Hier ist er „dahoam“.

Sesshaft werden im Woid: Lucki Maurer und seine Frau Stephanie renovieren das alte Bauernhaus und den Hof. Mittlerweile beherbergt das Anwesen unter anderem eine Bio-Wagyu-Zucht, ein PopUp-Restaurant für Kochkurse und Veranstaltungen sowie einen Laden mit eigenen Produkten.
Das weiß auch er jetzt. Doch früher sah das anders aus. Lucki Maurer spricht schmunzelnd von jugendlicher „Hass-Liebe“ zum Bayerischen Wald: Aufgewachsen auf der „Höllhöhe“ in der Nähe von Neukirchen b. Hl. Blut will er damals oft einfach nur weg, raus in die Welt. Er hat sich regelrecht „gefangen im Woid“ gefühlt. Aber als Heranwachsender wisse man vieles in der Heimat nicht zu schätzen. So auch seine Kindheit, die er rückblickend als „Fluch und Segen“ bezeichnet, im Wirtshaus und Hotel „Waldschlößl“ auf dem abgeschiedenen Berg.
„Do zieht’s, do is koid, do scheint koa Sonne hi – richtig duster“, beschreibt er seine Erinnerungen an die Kindheit. Sechs Häuser, ein Hotel, ein Skilift und viel Wald. Zahlreiche Urlaubsgäste aus ganz Deutschland und anderen Ländern wissen die Romantik des Hotels im Woid durchaus schon damals zu schätzen – und liefern dem Buben den Kontrast zu den eher „grantigen, introvertierten, kauzigen“ Waidlern. Etwas nachdenklich amüsiert blickt der Lucki aus dem Fenster und erinnert sich an einen Lichtblick von damals, „den am sehnlichsten herbei gesehnten Dog“: sein 15. Geburtstag. Freiheit durch den Mofa-Führerschein.
Zuerst raus in die Welt, dann zurück in den Woid
Mit seiner Ausbildung zum Koch und einer Anstellung bei Fernsehkoch Stefan Marquard bietet sich im Jahr 2003 für ihn plötzlich die Möglichkeit, die ganze Welt zu bereisen. Griechenland, Australien, alle zwei Tage woanders, mit Begeisterung ist der damals 22-Jährige für verschiedene Jobs unterwegs. „Hinter mir der Woid, vor mir die Welt!“, denkt er. Doch irgendwann ist er einfach nur froh, wenn auf der A92 von München nach Deggendorf die Wolke des Kernkraftwerks auf der rechten Seite sichtbar wird: „So schnell wie möglich hoam – wie a imaginärer Schalter“. Von der Autobahn aus rein in den Tunnel, die Straße wird schmaler, steigt an, links und rechts Bäume, es wird duster, neblig. Der Gedanke: „Boah geil, etz kimmt da Woid!“
In dieser Zeit trifft Lucki Maurer gemeinsam mit seiner Jugendliebe und Frau Stephanie die Entscheidung, den Hof in Schergengrub zu übernehmen und im Woid sesshaft zu werden. Schon als Bub sei er gern bei Oma und Opa gewesen, erzählt er. Viele Erinnerungen verbinden ihn mit dem alten Anwesen, das nun renoviert und durch ein neues Wohnhaus und einen Laden ergänzt ist. Einige alte Dinge von damals hat er konserviert. „Des Knistern vom Holzofen is a vertrautes Gefühl seit i denken kann“, genauso das „Klack-klack“ der Wanduhr.
Von der „Fletz“ aus – dem Flur – führt eine enge Stiege nach oben in den ersten Stock. Im Büro ertönt ein Geräusch, das dem dem 43-Jährigen durch und durch geht: das Knarzen eines Türgriffes aus vergangenen, geliebten Zeiten. Die Tür bleibt, das Gedenken an die Oma, die sie schließt, ebenso.
Eine andere Tür öffnet sich. Plötzlich steht man im Schuppen, beim alten Bulldog vom Opa, frisch restauriert, versteht sich. „S’Nascheste, wos fia mi geb’n hod, Bulldogfahren!“, sagt Lucki Maurer, lacht, nimmt Schwung und sitzt schon auf dem Fahrersitz des Kramer KL 22. „Der Knecht hod mir immer den Schlüssel versteckt, weil i nur g’fohn bin.“ Draußen überdacht ein weiteres Relikt aus der Vergangenheit den Garten des Wohnhauses, der Abenteuerspielplatz seiner Kindheit: Eine 400 Jahre alte, riesige Linde – „ideal zum Kraxeln“ – breitet schützend ihre Äste aus.
Dialekt bedeutet Heimat
Die Düfte, Gerüche – vor allem der Kuhstall – die Geräusche, alles Retrospektiven, die für ihn Heimat bedeuten. Ebenso wie die „grantige, introvertierte, kauzige und doch ehrliche und liebenswerte“ Waidler-Mentalität. Und der Dialekt. Höre er auf Reisen durch Deutschland Waidlerisch, fühle er sich direkt wohl. Vom „mystischen, magischen Woid“ ist schon der junge Ludwig angetan. Allem voran: der Gipfel des großen Osser. Der Anfrage, bei der Fernsehsendung „Gipfeltreffen“ des Bayerischen Rundfunks mitzumachen, stimmte Lucki Maurer vor ein paar Jahren nur unter der Bedingung zu, seinen Lieblingsberg zu besteigen. Nach anfänglichen Einwänden seitens des BR – das sei ja kein richtiger Berg – waren schlussendlich alle Mitwirkenden begeistert von Wanderung und Ausblick, wie er stolz erzählt.

Das Knarzen des Türgriffes bedeutet für Lucki Maurer Heimat und Geborgenheit, die alte Tür bleibt in seinem Büro, ebenso wie die Erinnerung an die Oma, die sie schließt.
Viele Einheimische wüssten nicht, wie schön der Woid sei. Man nehme sich nicht die Zeit, innezuhalten. „Steh bleim, staad hoid’n und einfach schau’n. Man segt vor lauter Baam den Woid ned“. Er grinst und erinnert sich an ein Beispiel aus seiner eigenen Erfahrung: Kanufahren in „Bayerisch Kanada“, im zwischen Teisnach und Viechtach gelegenen Regental. „Do hob i 35 Jahre alt werden müssen. Du fohsd jeden Dog an de ganzen Urlauber vorbei, de do bootswandern – oba kimmst selber goa ned auf de Idee, dass’d de moi einehockst in so a Kajak“, berichtet er begeistert von einer Tour, die spontan zu Stande kommt, als er „Preiss’n bespaßen“ soll mit dem „Native Bavarian Woid“.
Bei Motorrad- oder Autotouren über den Arber fungiert er mittlerweile als Guide und bringt Gästen die wunderbare Landschaft näher. Dass Cham der einzige Landkreis in Deutschland ohne Autobahn ist, findet er „cool“ – und nicht etwa einschränkend in Sachen Mobilität.
Waidler-Kulinarik: Einfach und trotzdem besonders
Kulinarisch sei der Bayerische Wald mit vorwiegend Mehlspeisen und „Arme-Leute-Essen“ kein Hotspot: „Letztendlich kimmst immer wieder beim Hirschgulasch, da Schwamma-Briah und dem Hoiwa-Dotsch aussa. Beim Thema Seafood is ned viel nach Forelle und Karpfen.“ Doch die traditionellen Gerichte und vor allem der Umgang mit Lebensmitteln hätten ihn durchaus beeinflusst: reduzierte Küche, ein Lebensmittel im Fokus: „Da Woid hod scho sein Geschmack“. Aus wenigen Grundzutaten – Mehl, Eier, Milch, Kartoffeln – zauberte seine Oma 50 verschiedene Gerichte – „a Kunst“, die der laut eigener Aussage „kulinarisch verzogene“, im Wirtshaus aufgewachsene Bub auch damals schon zu schätzen wusste. „Des war sowos B’sonderes für mi!“

Idyllisch und abgelegen: Profikoch Lucki Maurer macht den Hof seiner Großeltern in Schergengrub bei Rattenberg im Landkreis Straubing-Bogen zu seiner Wahlheimat, zum „kulinarischen Hotspot“ und zur Bio-Wagyu-Zucht.
Daheim im Hotel gab’s jeden Tag ein Frühstücksbuffet, Schnitzel, Schweinsbraten – ein Schlaraffenland. Trotzdem waren die gemeinsamen Mahlzeiten am großen Tisch bei den Großeltern Höhepunkte, die den heutigen Profikoch nachhaltig geprägt haben. Regionalität, Einfachheit – und Wertschätzung der Lebensmittel.
„Kulinarik, Essen und Kochen is neben Musik des oanzige, des grenzenlos tolerant is“ – und das fasziniert ihn bis heute. „Griechisch, italienisch, asiatisch – in Amerika mochan’s a Oktoberfest, in Cham gibt’s an Inder.“ Die ganze Welt sei „kulinarisch verschmolzen und unrassistisch – des host woanders ned und des is eigentlich scho brutal“.
Die Liebe zu den Waidler-Wurzeln
Die Leidenschaft zum Kochen entwickelt der Lucki aber erst während seiner Ausbildung. Die beginnt er wegen der Eltern – beide Söhne sollen mit Hof und Hotel für die Zukunft versorgt sein – und, weil er „stinkfaul“ in der Schule war. Im Nachhinein ist das sein Türöffner, die Welt erst zu sehen und dann die Liebe zum Woid und den Waidler-Wurzeln zu erkennen. Und mittlerweile bringt er durch Bücher, Fernsehauftritte und Jobs nicht nur den Woid in die Welt, sondern durch Koch- und Musikfestivals auf seinem Gehöft in Schergengrub auch die Welt in den Woid – und ist stolz darauf.
Lisa Brem