Schnellenzipf/Schwarzenthal. Es ist die Introvertiertheit, die den Waidlern oft nachgesagt wird – vor allem dem „alten Schlag“. Man spürt regelrecht, dass sich Leo Kornegger sehr freut. So richtig preisgeben will es der 84-Jährige jedoch nicht, weil er es vielleicht auch gar nicht kann. Der Ur-Bischofsreuter ist in einer Zeit aufgewachsen, in der es schlichtweg nicht üblich war, seine Gefühle zu zeigen. Erst als ihn Gudula Lermer, die wohl ähnliche Schwingungen wahrgenommen hat, unmittelbar darauf anspricht, gewährt der Senior einen Einblick in sein Inneres. „Ja“, bestätigt er, „des g’freid me so richtig.“
„…den kennt im Dorf jeda“
Dass Vergangenes im positiven Sinne längst nicht vergangen und sogar vergessen ist, wird immer wieder deutlich. Der Jägersteig – auch „Zwicklsteig“ genannt – ist ein Beispiel dafür. Einst nutzten den Trampelpfad, dessen Ursprünge Leo Kornegger zufolge sogar bis ins 18. Jahrhundert zurückgehen, einheimische Waidler, um von Schnellenzipf nach Schwarzenthal zu kommen. Gänzlich überliefert ist von der Geschichte des Weges durch dichtesten Wald samt Querung des Schwarzbaches jedoch nichts, wie der 84-Jährige berichtet. Über Jahre hinweg hatte er recherchiert – ohne Erfolg. Dass die kleine Verkehrsader aber zu Bischofsreut gehört wie die Kirche St. Valentin, ist bestätigt.
„Mia song ma Zwicklsteig dazua, weil er in da Zwicklau is – und den kennt im Dorf jeda“, macht Leo Kornegger deutlich. Egal, ob Kaiserreich, Nazi-Zeit, Kalter Krieg oder Bundesrepublik. Ob Alltagspfad oder Wanderweg. Ob zugewachsen oder frisch hergerichtet. Der Jägersteig war irgendwie immer präsent. Und obwohl ihn sich die Natur in den vergangenen Jahren mehr und mehr zurückgeholt hat, sind Zeitzeugen noch heute sichtbar – beispielsweise in Form sog. Ochsenklaviere. Darunter versteht man Holzbohlen (im Dialekt: „Pfosch’n“), die auf moorigen Untergrund gelegt worden sind, um diesen begehbar zu machen.
Geld aus dem Fördertopf „besondere Gemeinwohlleistungen“
Während seiner Zeit als Holzhauer im Staatsdienst von 1955 an war Leo Kornegger über Jahrzehnte hinweg regelmäßig dafür zuständig, Pfade wie den Zwicklsteig zu pflegen. Gerne erinnert er sich daran, als er selbst zwischen Schnellenzipf und Schwarzenthal im Einsatz war. Manch Ochsenklavier könnte durchaus vom 84-Jährigen „bespielbar“ gemacht worden sein. Schon lange hat er sich vorgenommen, wieder einmal vorbeizuschauen – und auf dem Jägersteig frühere Zeiten wieder aufleben zu lassen. Doch erst im Rahmen des gemeinsamen Hog’n-Termins mit Gudula Lermer – in ihrer Funktion als Leiterin des Forstbetriebes Neureichenau eine Art Hausherrin – wandelt der Bischofsreuter neuerlich auf dem Jägersteig, was ihm sichtlich Freude bereitet.
„Zahlreiche Sturmereignisse und deren Aufarbeitung haben dafür gesorgt, dass der Weg in den vergangenen Jahren mehr und mehr verschwunden ist“, resümiert Gudula Lermer. Aus einem speziellen Fördertopf des Freistaates, der „besondere Gemeinwohlleistungen“ unterstützt, konnte die 65-Jährige Mittel ergattern, die eine Sanierung des Jägersteigs möglich gemacht haben. Diese begann Anfang des Jahres und ist inzwischen – bis auf ein paar Kleinigkeiten – abgeschlossen. „Unsere Auszubildenden haben das federführend gemacht – tüchtige, gut erzogene und hilfsbereite junge Menschen“, lobt die Försterin.
Konkret wurden auf dem gut 1,8 Kilometer langen Jägersteig entlang der deutsch-tschechischen Grenze unzählige Äste gekürzt oder gar komplett entfernt, der Untergrund mit schwerem Gerät begradigt, ein zirka 300 Meter langer Holzsteg durch ein Moor errichtet, ein Schutzhäuschen aufgestellt und der Schwarzbach passierbar gemacht. Insgesamt dürfte der Aufwand einen vierstelligen Betrag erfordert haben. Geld, das gut eingesetzt ist, wie die Forstbetriebsleiterin findet – und Leo Kornegger erst recht. „Schaut guad aus“, sagt er während der kleinen Wanderung mehr zu sich selbst. Ab und an streut der Senior auch ein „sehr schön“ ein.
Einfaches Borkenkäfer-Jahr macht die Sanierung möglich
„Dieses Projekt ging mir schon seit Jahren im Kopf um“, erzählt Lermer. „Diesen Sommer hat es endlich geklappt.“ Das milde Frühjahr machte es möglich, dass „Borkenkäfer-Opfer“ schnell aufgearbeitet werden konnten. Nasse Folgemonate verhinderten zudem, dass sich der Schädling neuerdings ausbreiten konnte. Es blieb, als die Pflicht erledigt war, also Zeit für die Kür. Augenzwinkernd macht die Forstbetriebsleiterin deutlich: „Ja, wir holen nicht nur Geld aus den Wäldern, wir stecken auch eins rein. Und ja, wir sperren die Bevölkerung nicht aus, sondern ziehen sie sogar an.“
Von nun an ist der Jäger- bzw. Zwicklsteig also wieder ein Wanderweg, der seinem Namen auch gerecht wird. Von den Parkplätzen in Schwarzenthal aus, direkt neben dem Nasslager und dem bekannten Wasserrad, startet die Route in Richtung Grenzübergang Philippsreut. Leo Kornegger kennt diese Strecke bestens. Als Bischofsreuter sowieso, als ehemaliger Forstwirt und „Hausmeister“ des Pfades noch mehr. Das Revival des historischen Weges lässt den 84-Jährigen regelrecht aufblühen. Und auch, wenn er es nicht unbedingt zeigen kann, steht fest, dass diese Gefühle echt sind…
Helmut Weigerstorfer