Bayerischer Wald. Alles nur Protest gegen die Ampel-Regierung? Wie viel Anteil hat rechtes Gedankengut? Und: Gibt es auch kulturelle Hintergründe für das Abstimmungsverhalten der Wählerschaft? Fakt ist: Nirgendwo sonst in Bayern hat die AfD bei den vergangenen Europawahlen mehr Stimmen erhalten als im Bayerischen Wald.
Nachdem sich lediglich ein Bürgermeister der fünf hiesigen AfD-Hochburgen dazu bereit erklärte, unsere Fragen zum Thema „AfD im Woid“ zu beantworten, und nachdem die für den Bayerwald zuständigen (demokratischen) Landtagsabgeordneten sich unserem ersten und auch zweiten AfD-Fragenkanon stellten, läuten wir nun die dritte und letzte Runde ein für Martin Behringer (Freie Wähler), Toni Schuberl (Die Grünen), Josef Heisl und Stefan Ebner (beide CSU). Wie bereits erwähnt, sah sich Roswitha Toso (Freie Wähler) aufgrund einer Auslandsreise und ihres Urlaubs außerstande, sich mit unserem Anliegen zu beschäftigen.
„… AfD-Wähler automatisch der rechten Ecke zuzuordnen“
Für den hohen AfD-Wähleranteil wird immer wieder das „Protest-Argument“ ins Feld geführt: Protest gegen die Ampel-Koalition, die sich mit ihren Entscheidungen immer mehr von der Bevölkerung entfernt und das Land „gegen die Wand fährt“. Wie sehen Sie das: Sind Unzufriedenheit und Protest der Hauptgrund? Oder gibt es einen anderen Hauptgrund?
Schuberl: Die Klimaerhitzung ist die größte Herausforderung, vor der die Menschheit in ihrer Geschichte jemals gestanden ist. Und diese Bundesregierung hat trotz aller Widrigkeiten gerade in diesem Bereich große Erfolge zu verbuchen. Wir haben die geringste Kohleverbrennung seit den 60er Jahren, den geringsten CO2-Ausstoß seit den 50er Jahren, Windkraft ist zur wichtigsten Stromquelle geworden, wir konnten die gefährliche Atomkraft endgültig beenden, bei Solarenergie sind wir mit Abstand die Nummer eins in Europa, die Speicherkapazitäten haben sich innerhalb eines Jahres verdoppelt, der Leitungsbau kommt voran, der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft wurde begonnen usw. Die Entscheidungen auf Bundesebene sind objektiv gesehen gut und wichtig. Die Kommunikation dieser Erfolge ist schlecht.
Heisl: Ich bin überzeugt davon, dass der Großteil der AfD-Wähler nach wie vor Protestwähler ist. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen, AfD-Wähler automatisch der rechten Ecke zuzuordnen. Wenn wir es schaffen, selbst wieder Teil der Bundesregierung zu sein und wieder besser den ländlichen Raum im Blick haben, werden sicherlich viele derzeitige AfD-Wähler den Weg zurückfinden.
Behringer: Das Protest-Argument ist in der Tat ein zentraler Aspekt, wenn es darum geht, den hohen AfD-Wähleranteil zu erklären: Unzufriedenheit und Protest gegen die aktuellen politischen Entscheidungen, insbesondere der Ampel-Koalition, die von Teilen der Bevölkerung als abgehoben und fern der Lebensrealität wahrgenommen werden. Themen wie Migrationspolitik, Klimaschutzmaßnahmen und wirtschaftliche Entscheidungen werden oft als Hauptursachen für die Abwanderung zur AfD genannt.
Ein weiterer wichtiger Grund ist das allgemeine Misstrauen gegenüber den etablierten Parteien, vor allem nach den Entscheidungen in der Corona-Pandemie. Viele Wähler haben das Gefühl, dass ihre Sorgen und Nöte nicht ernst genommen werden. Die AfD spricht gezielt Ängste an, die mit kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen verbunden sind. In Regionen wie dem Bayerischen Wald, in denen traditionelle Werte und eine starke regionale Identität eine wichtige Rolle spielen, ist die Angst vor dem Verlust dieser Werte und der eigenen Identität besonders ausgeprägt. Wir sind stolz auf unsere Kultur – und die AfD nutzt diese Ängste, um Unterstützer zu gewinnen.
Sie positioniert sich als Anwalt der kleinen Leute und stellt sich gegen die als elitär wahrgenommenen Entscheidungen der Regierung, die oft als Belastung für die wirtschaftlich schwächeren Schichten empfunden werden. Eine Kombination dieser Faktoren schafft ein Umfeld, in dem die AfD erfolgreich für ihre Sache mobilisieren kann, indem sie sich als Alternative und Sprachrohr der Unzufriedenen positioniert.
Ebner: Aktuell sagen 30 Prozent der AfD-Wähler, dass sie aus Protest wählen. 70 Prozent haben also andere Gründe. Früher war das umgekehrt. Deshalb wäre es zu einfach, das nur als Protestwahl zu sehen. Es muss also noch viele andere Gründe geben. Die Unzufriedenheit mit der Politik in Berlin, Brüssel, der Unmut gegen „die da oben“ – das sind sicher ganz entscheidende Treiber.
Was auch auffällig ist: AfD-Wähler beurteilen in Umfragen ihre eigene wirtschaftliche Situation schlechter als die Wähler anderer Parteien, sie blicken auch pessimistischer in die Zukunft und sorgen sich mehr als andere um den Erhalt ihres Lebensstandards. Aber auch das ist nur ein Aspekt von vielen.
„Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme“
Das Erstarken der AfD und deren Zuspruch in der Wählerschaft war bereits deutlich spürbar, als die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD die Bundesregierung stellte. Das Argument, dass unter einer Regierung mit CDU/CSU-Beteiligung die AfD nicht weiter erstarkt wäre, scheint demnach nicht ganz stichhaltig. Wie sehen Sie das?
Schuberl: Die GroKo war zuletzt die schlechteste Regierung, die wir hatten. Sie hat dermaßen viele Baustellen und Versäumnisse hinterlassen, dass eine Legislaturperiode von vier Jahren viel zu kurz ist, um all das zu reparieren. Die Opposition war damals aber konstruktiver, als sie es heute ist. Während wir Grünen in der Corona-Pandemie eigene Vorschläge eingebracht und die grundsätzliche Linie der Regierung gestützt haben, ist die CSU nun eine fanatische Totalopposition, die alles ablehnt, was von der Ampel kommt, selbst wenn es ihren eigenen bisherigen Zielen entspricht. Die Grundlage für die AfD wurde durch die GroKo während Finanzkrise, Griechenlandkrise und Coronakrise gelegt.
Heisl: Ich verweise auf Umfragezahlen der Landtagswahlen im Osten Deutschlands – hier hat die AfD gerade in den letzten Jahren der Ampel-Koalition deutlich zugelegt.
Behringer: Ich denke, dass es eine gute Entscheidung der CDU/CSU war, in die Opposition zu gehen und sich neu aufzustellen. Die CDU ist heute eine andere Partei als unter Merkel. Sollte die CDU/CSU nach der nächsten Bundestagswahl den Regierungsauftrag erhalten, müssen den Worten schnell Taten folgen, um die Probleme unserer Zeit zu lösen. Nur so kann das Vertrauen wiederhergestellt und das weitere Erstarken der AfD verhindert werden. Die entscheidende Frage ist, ob es ihnen gelingt, diese Herausforderungen anzugehen und ob auch die Koalitionspartner bereit sind, diesen Weg mitzugehen.
Ebner: Die Migrationspolitik von Angela Merkel war ein historischer Fehler. Ich war immer gegen diese Politik und halte es mit Horst Seehofer: Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme. Und nach meiner festen Überzeugung auch der Hauptgrund für das Erstarken der AfD. Die CSU hat schon damals auf eine ganz andere Migrationspolitik mit Begrenzung gepocht. Insofern bin ich überzeugt: Wenn die Union bei der Bundestagswahl 2025 ein sehr starkes Ergebnis bekommt und damit einen echten Politikwechsel einleiten kann, wird auch die AfD schwächer werden.
„Das ist ein Nährboden für Vorurteile“
Der Ausländeranteil im Bayerischen Wald ist im Vergleich zu anderen Regionen Bayerns relativ gering. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass gerade hierzulande, wo sich nur ein verschwindend geringer Anteil an Menschen ausländischer Herkunft in der Öffentlichkeit bewegt, die sich klar gegen Zuwanderung positionierende AfD (Stichwort: Remigration) derart großen Zuspruch erfährt?
Schuberl: Bei uns im Wald gibt es wenige Ausländer, so dass viele Leute nur durch Nachrichtenschlagzeilen von Ausländern hören, aber keine persönlich kennengelernt haben. Das ist ein Nährboden für Vorurteile. Das deckt sich mit den bundesweiten Zahlen. Überall dort, wo viele Ausländer leben, ist die AfD schwach – und umgekehrt.
Heisl: Gerade bei uns im Grenzgebiet ist die illegale Einwanderung geballt aufgeschlagen und die Menschen vor Ort haben dies direkt miterlebt. Wenn man sich die Bilder nochmals vor Augen führt, wo tausende Menschen, teils an einem Tag, über die Grenze gekommen sind – das prägt sicherlich.
Behringer: Es gibt mehrere Gründe, warum die AfD im Bayerischen Wald trotz des relativ geringen Anteils an Menschen ausländischer Herkunft großen Zuspruch erfährt. Zum einen spielt die Wahrnehmung und Angst vor Veränderungen eine wichtige Rolle. In ländlichen Gebieten wie dem Bayerischen Wald sind die Bevölkerungsstrukturen oft homogener – und selbst geringe Veränderungen können als Bedrohung empfunden werden. Zum anderen nutzt die AfD gezielt Ängste und Unsicherheiten, um Wähler zu mobilisieren. Das Thema Zuwanderung wird dabei oft sehr emotional diskutiert.
Die AfD nutzt auch geschickt Vorfälle mit straffälligen Ausländern, um die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu verstärken. Seitens des Bundes gibt es oft viele Worte, aber leider werden diese nicht in Taten umgesetzt. Wenn ein Ausländer kein Bleiberecht hat, dauert die Abschiebung häufig Monate, was in der Bevölkerung zunehmend auf Unverständnis stößt. Die AfD profitiert von diesem Frust, indem sie einfache Lösungen verspricht und das Vertrauen in die etablierte Politik untergräbt.
Ebner: Dem würde ich zumindest teilweise widersprechen. Wenn in kleinen Dörfern Asylunterkünfte sind, ist der Anteil an Menschen ausländischer Herkunft nicht verschwindend gering, sondern im Verhältnis zu den Einheimischen überproportional groß. Dafür gibt’s Beispiele in der Region. Korrekt ist aber auch, dass die AfD vielfach in denjenigen Gemeinden ihre besten Ergebnisse hat, wo keine oder wenig Asylbewerber leben. Das ist tatsächlich paradox.
Trotzdem gilt: Auch im Bayerischen Wald ist das Thema Migration im konkreten Alltag der Menschen angekommen. Wenn in manchen Schulklassen viele Kinder nicht deutsch sprechen, dadurch mehr Betreuung benötigen und als Folge der ganze Unterricht verlangsamt wird, regt sich Widerstand. Bürgermeister und Eltern kommen mit diesem Thema immer wieder auf mich zu.
„Den Worten müssen Taten folgen“
Wenn Sie ein paar Jahre vorausdenken: Was glauben Sie, wohin sich die AfD entwickeln wird? Welche AfD haben wir in fünf, zehn Jahren hier im Bayerischen Wald?
Schuberl: In fünf, zehn Jahren haben wir hoffentlich eine verbotene AfD.
Heisl: Wenn wir es schaffen die großen politischen Themen für die Menschen zu lösen, dann wird die AfD an Zustimmung verlieren.
Behringer: Um dies vorherzusehen, bräuchte man wahrscheinlich eine Glaskugel, denn vor zehn Jahren war die AfD noch nicht einmal in einem Parlament vertreten. Wie bereits erwähnt, müssen den Worten auf Landes-, Bundes- und Europaebene schnell Taten folgen, um die Probleme unserer Zeit zu lösen. Nur so kann das Vertrauen wiederhergestellt und die AfD zurückgedrängt werden.
Ebner: Wenn insbesondere in Berlin wieder Politik nach dem gesunden Menschenverstand gemacht wird, wird auch die AfD wieder weniger Zuspruch bekommen. Damit meine ich vor allem eine deutliche Reduktion der Migration, besonders der illegalen Migration nach Europa und Deutschland. Und einen Sozialstaat, der sich um die wirklich Bedürftigen kümmert und die Fleißigen belohnt.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer