Bayerischer Wald/ Šumava. Die Schönheit der Natur des Bayerischen Waldes und des Böhmerwaldes ist über Grenzen hinweg bekannt. Immer mehr Menschen suchen dort Erholung vom Alltagsstress und versuchen, sich im Rahmen einer Wanderung oder eines mehrtägigen Ausflugs wieder zu zentrieren und auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Wildnis der beiden Nationalparks erlebbar macht seit vielen Jahren der gemeinnützig anerkannte Verein WaldZeit.
WaldZeit bietet seit 1998 Reisen und Workshops im Nationalpark Bayerischer Wald an. Seit 2007 gibt es auch grenzüberschreitende Angebote in den Nationalpark Šumava sowie auch vereinzelte Angebote außerhalb der Nationalparks, etwa im Naturpark Bayerischer Wald oder Schutzgebieten in Oberbayern. Gemeinsam mit unserem tschechischen Partnerportal sumava.eu haben wir uns mit der Wald- und Natur-Pädagogin Hanni Reischl über das facettenreiche WaldZeit-Angebot unterhalten.
Wanderungen, Radtouren, Workshops, Seminare
Frau Reischl: Können Sie uns einen Überblick über die Aktivitäten und Angebote von WaldZeit geben?
Wir bieten mehrtägige – manche davon auch grenzüberschreitende – Wanderungen in den Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava an, ebenso im Naturpark Bayerischer Wald. Übernachtet wird in kleinen Pensionen und Berghütten. Seit ein paar Jahren haben wir auch mehrtägige Radtouren im Nationalpark Šumava im Angebot. Zudem führen wir mehrtägige Wanderungen im Auftrag der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald durch, meist zu einem bestimmten Thema: z. B. Ornithologie, Hirschbrunft oder auch eine Wanderung mit Übernachtung im eigenen Zelt.
Weitere Angebote sind Familienwochenenden, Workshops und Fotoseminare mit Naturfotografen. Gruppen ab 15 Personen können auch ein eigens für sie zusammengestelltes Programm über uns buchen.
Seit 2018 bieten wir im Wildniscamp Weiterbildungen zu Natur- und Waldpädagogik an. Zielgruppe sind in erster Linie pädagogische Fach- und Ergänzungskräfte aus Wald- und Naturkindergärten. Die Weiterbildungswochenenden haben jeweils ein bestimmtes Schwerpunktthema. Seit 2020 haben wir nun auch eine einjährige Weiterbildung zu Wald- und Naturpädagogik mit fünf Modulen in unserem Programm.
Was macht die mehrtägigen Wanderungen im Nationalpark Bayerischer Wald und Šumava so besonders?
Im Nationalpark Bayerischer Wald entwickelt sich eine Waldwildnis, die in Mitteleuropa einzigartig ist. Bei einer mehrstündigen Wanderung kann man einzelne Bereiche des Parks erleben, doch gerade bei einer mehrtägigen Wanderung bekommt man einen tieferen Einblick in die Entwicklung der Nationalparks. Dabei werden die Teilnehmenden von WaldZeit-Waldführern und -Fachleuten begleitet, die neben naturwissenschaftlichen Erläuterungen auch einen Einblick in die Kultur und Geschichte der Region geben.
Kostenfrage bei Familienangeboten
Welche speziellen Angebote haben Sie für Familien? Und wie wurden diese bisher angenommen?
Ein großer Schwerpunkt sind unsere Familienangebote. Die meisten davon finden einstweilen im Wildniscamp am Falkenstein statt. Sehr beliebt ist dabei das Schnupperwochenende, das für Familien mit Kindern jeglichen Alters geeignet ist. Aber auch die Motto-Wochenenden namens „Gespannt wie ein Bogen“ – hier wird unter Anleitung eines Bogenbauers ein Bogen aus Rattan gebaut – oder „Zurück zu den Wurzeln“, bei dem die Wildnis wie zu Zeiten unserer Vorfahren erlebbar gemacht wird, erfreuen sich großer Beliebtheit.
Speziell für Väter und Kinder haben wir ein Vater-Kind-Wochenende im Keltendorf Gabreta im Angebot. In den vergangenen Jahren haben wir auch für Familien mehrtägige Wanderungen angeboten, z.B. eine Vater-Kind-Wanderung sowie Wanderungen mit Esel oder auch Märchen-Wochenenden. Nachdem diese Angebote nicht mehr so gut angenommen wurden, haben wir sie derzeit nicht mehr im Programm.
Generell sind aber gerade bei Familienangeboten die Kosten oft ein Grund, dass sie nicht zustande kommen. Für manche ist es einfach schwierig, ein Wochenende oder mehrere Tage zu finanzieren. Hier würden wir uns wünschen, dass wir die Möglichkeit hätten – z.B. durch Sponsoren – einkommensschwächere Familien zu unterstützen.
Das Workshop-Angebot
Welche Workshops werden im Wildniscamp am Falkenstein angeboten? Wer sind die Zielgruppen?
Bei den Workshops sind die Zielgruppen in erster Linie Erwachsene, bestimmte sind aber auch für Teenager geeignet. Wir haben aktuell folgende Workshops im Programm, die allesamt im Wildniscamp stattfinden:
- Körper, Geist und Seele: Ein Wochenende mit kleinen Wanderungen und insgesamt drei Yoga-Einheiten .
- Heilkräfte aus der Natur: Ein Wochenende zum Thema Heilkräuter, deren Bestimmung und Verwendung, einschl. der Herstellung von Salben, Tinkturen und Tees.
- Das Lebendige ist das Wilde: Nachdem WaldZeit im Zuge der Erweiterung des Wildniscamps die Hütte des Wildnisphilosophen Henry David Thoreau nachgebaut hat, lassen wir uns an einem Wochenende im Wildniscamp auf Streifzügen von den Ideen und Gedanken Thoreaus inspirieren.
- Fadenwesen: Pilze sind ein wichtiges Thema im Nationalpark. Hierzu bieten wir zusammen mit dem Mykologen Peter Karasch ein Wochenende an.
- Achtsamkeit im stillen Wald: Die Hektik des Alltags hinter sich lassen und wieder stärker in sich hineinhorchen. Ein Wochenende lang Entspannung und Natur erleben im Wildniscamp.
- Die Werkstatt in der Hosentasche: Ein kreativer Workshop. Unter Anleitung einer Holzbildhauerin, ausgestattet mit einem Schnitzmesser, verwandeln sich einfache Äste in bezaubernde Wesen.
Eine Vielzahl von Fotomotiven
Können Sie uns mehr über die Fotoworkshops mit bekannten Naturfotografen erzählen?
Fotoworkshops im Nationalpark bieten wir seit mittlerweile 20 Jahren an. Alles begann mit Sven Zellner, der seinen Zivildienst im Nationalpark geleistet hat. Mittlerweise ist er ein bekannter Fotograf, Kameramann und Dokumentarfilmer. Über ihn kamen wir in Kontakt mit Florian Möllers und Markus Botzek, ebenfalls bekannte Naturfotografen. Später kamen noch Ferry Böhme und Steffen Krieger hinzu.
Der Nationalpark bietet eine unglaubliche Vielfalt an unterschiedlichen Lebensräumen wie Bäche, Moore und Schachten. Die Waldbilder wechseln ständig und bieten mit ihrem hohen Totholzanteil eine Vielzahl von Fotomotiven. Eine Besonderheit sind auch urtümliche Waldschluchten wie das Höllbachgspreng. Durch die Fotografie setzen sich die Teilnehmenden der Fotoworkshops intensiv mit ihren Motiven auseinander und bekommen von den Naturfotografen Tipps, wie sie die wilde Natur des Nationalparks am besten in Szene setzen können. Unsere Fotoworkshops finden immer in kleinen Gruppen statt.
Was sind Ihre Pläne für zukünftige deutsch-tschechische Programme, insbesondere für Jugendliche?
Gerne möchten wir in Zukunft – vielleicht in direkter Zusammenarbeit mit den beiden Nationalparkverwaltungen – deutsch-tschechische Angebote in unser Programm aufnehmen. Bis dato wissen wir noch nicht, wie wir die Jugendlichen am besten erreichen. Außerdem benötigen wir hierfür geeignete Förderprogramme, so dass es für die Jugendlichen auch finanziell leistbar ist.
Noch Nachholarbeit bei deutsch-tschechischer Zusammenarbeit
Wie wichtig ist Ihnen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit – und welche Vorteile sehen Sie darin?
Die beiden Nationalparks befinden sich in einem gemeinsamen Naturraum, sie grenzen aneinander an und bilden das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas. Früher war hier der „Eiserne Vorhang“, jetzt sind Tschechien und Deutschland seit mittlerweile 20 Jahren gemeinsam in der EU. Doch bei einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit können beide Länder noch einiges nachholen. Dieses Zusammenwachsen zu fördern ist uns ein wichtiges Anliegen.
Mit unseren Touren tragen wir dazu bei, dass unsere Teilnehmenden mehr über die deutsch-tschechische Geschichte und Kultur sowie den dortigen Naturraum erfahren. In Zukunft könnten wir uns gut vorstellen, gemeinsame Touren mit deutschen und tschechischen Teilnehmenden in Kooperation mit tschechischen Kollegen durchzuführen.
Welche besonderen Erlebnisse und Aktivitäten können Gruppen ab 15 Personen im Wildniscamp erwarten?
Das Wildniscamp ist als Einrichtung für sich bereits ein ganz besonderer Ort – Übernachtungen in Hütten ohne Strom und Heizung an einem Platz, an dem es nachts wirklich dunkel ist und wo der Sternenhimmel noch klar zu sehen ist. Hinzu kommt die Besonderheit jeder einzelnen Hütte: Jede hat ihren eigenen Flair und eine besondere Ausstrahlung – egal, ob Erdhütte, Wiesenbett, Baumhaus, Wasserhütte, Waldzelt, Lichtstern oder die Länderhütten, die weltweit aus ganz unterschiedlichen Schutzgebieten kommen.
Das Programm für die Gruppen sprechen wir vorab mit ihnen ab, wobei wir uns auf die jeweiligen Interessen und Alterszusammensetzungen einstellen. Mit dabei ist fast immer eine Nachtwanderung samt Lagerfeuer sowie kleine oder größere Wanderungen im Umfeld des Wildniscamps mit Naturerlebnisaktivitäten und –spielen. Dies wird je nach Wunsch und Bedarf auch mal durch eine Naturrallye, LandArt, Naturwahrnehmungsübungen oder Aktivitäten zum Teambuilding ergänzt.
Kontakte, die sehr nett und herzlich sind
Wie hat sich Ihr Programmangebot im Laufe der Jahre entwickelt?
Wir haben 1998 mit fünf Veranstaltungen angefangen und bereits damals schon Wanderungen in der Wildnis des Nationalparks angeboten. Mittlerweile bietet WaldZeit mehr als 30 unterschiedliche Reisen und Workshops an, die im Nationalpark, grenzüberschreitend in Bayern und Tschechien sowie im Wildniscamp am Falkenstein stattfinden. Die Zielgruppen sind weiterhin Familien mit Kindern und Menschen, die die Wildnis des Nationalparks intensiv erleben möchten.
Aber wir haben auch Angebote für Pilz- und Kräuterliebhaber, für diejenigen, die etwa beim Yoga Achtsamkeit in der Natur erleben möchten oder auch gerne kreativ tätig sind. Nach wie vor kann man bei uns seinen Rucksack schultern, eine geführte Reise mehrere Tage durch die Natur der Nationalparks unternehmen und dabei Natur und Kultur der Grenzregion erleben.
Welche Herausforderungen und Erfolge haben Sie bei der Organisation von grenzüberschreitenden Wanderungen erlebt?
Die Organisation insbesondere von Quartieren auf der tschechischen Seite stellt uns immer wieder vor Herausforderungen. Was manchmal auch an den relativ häufig auftretenden Besitzerwechseln liegt und daran, dass gerade auf tschechischer Seite einige Unterkünfte erst ab mindestens zwei Nächten vermietet werden. Wir haben aber über die Jahre hinweg einige Kontakte geknüpft, die sehr nett und herzlich sind und die uns in vielem entgegen kommen. Schwierig ist bei der Organisation natürlich auch die Sprachbarriere, was in erster Linie daran liegt, dass wir leider kein tschechisch sprechen – hier besteht noch Handlungsbedarf von unserer Seite.
Die Landschaft auf der tschechischen Seite ist mit ihrer Weite, ihren großen Moorgebieten, kleinen Ortschaften und flachen, dunklen Bächen sowie ihren Tälern ganz anders als auf der deutschen Seite – und überrascht sehr positiv auch die Teilnehmenden bei unseren Touren. Gerade der Unterschied der beiden Nationalparks macht den besonderen Reiz bei den grenzüberschreitenden Wanderungen aus.
„Teilnehmende legen auf solche Aspekte großen Wert“
Wie können Interessierte an Ihren Angeboten teilnehmen und welche Voraussetzungen gibt es?
Jedes Jahr erscheint von WaldZeit eine Jahresbroschüre namens „Reisen und Workshops in den Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava“. Diese liegt in den Nationalparkeinrichtungen, Touristinfos, Unterkünften, Hütten und sonstigen Einrichtungen aus. Sie kann auch jederzeit bei uns bestellt werden. Wir verschicken jährlich ca. 1.000 Stück an Interessierte.
Zudem hat WaldZeit eine aktuelle Homepage, auf der unser gesamtes Programm und die Kontaktdaten von uns zu finden sind. Direkt über die Homepage kann man sich zu unseren Wanderungen und Workshops anmelden. Wer gerne als eigenständige Gruppe kommt, kann entweder per Mail oder telefonisch mit uns Kontakt aufnehmen.
Bei all unseren Angeboten findet sich ein Punkt „Anforderungen“. Dort ist aufgeführt, ob es zu der jeweiligen Veranstaltung bestimmte Grundvoraussetzungen gibt. Das Wildniscamp ist barrierearm, so dass teilweise auch mit Beeinträchtigungen an unseren Programmen teilgenommen werden kann. Eine vorherige Absprache ist hier aber notwendig, da das Programm dann dementsprechend zusammengestellt wird.
Welche Rolle spielt die Naturverbundenheit in Ihren Programmen und welche positiven Effekte haben Sie bei den Teilnehmern beobachtet?
Wir konzipieren unsere Angebote bereits seit vielen Jahren so, dass die Teilnehmenden mit Bahn und Bus anreisen können und dass auch während des Aufenthalts in der Grenzregion kein Auto erforderlich ist. Wir arbeiten mit örtlichen Unternehmen zusammen, unsere Verpflegung ist – soweit möglich – von regionalen Erzeugern und aus Bio-Qualität. Das kommt den Ansprüchen unserer Teilnehmenden sehr entgegen. Sie kommen wegen der Naturverbundenheit in die Grenzregion und legen auf solche Aspekte großen Wert. Unser Name ist Konzept: Wir wollen unseren Besuchern Zeit geben, um sich auf die Natur und die kleinen Details am Wegesrand einzulassen. Daher bekommen wir auch sehr gute Rückmeldungen von unseren Teilnehmenden.
„Unterstützen die Bildungsarbeit des Nationalparks“
Wie ist WaldZeit in der Region vernetzt?
WaldZeit ist ein langjähriger Kooperationspartner der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald. Mit unseren Veranstaltungen unterstützen wir die Bildungsarbeit des Nationalparks. Seit 2002 sind wir Träger der Dachmarke „Umweltbildung Bayern“ des Bayerischen Umweltministeriums. Wir arbeiten mit den Touristikern vor Ort zusammen und haben Kooperationen mit verschiedenen Organisationen, z. B. der Integrierten Ländlichen Entwicklung (ILE).
Mit unseren mehrtägigen Touren unterstützen wir nachhaltig wirtschaftende Betriebe in der Region und arbeiten mit ihnen zusammen. All unsere Angebote sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar und wir nutzen diese – sofern erforderlich – auch bei unseren Touren.
Vielen Dank für die ausführlichen Informationen – und weiterhin alles Gute!
die Fragen stellte: Marek Matoušek von sumava.eu
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–> hier geht’s zur tschechischen Version des Interviews: Rozhovor : Organizace WaldZeit