Bayerischer Wald. Warum hat die AfD gerade im Bayerischen Wald so viele Unterstützer? Warum wählt Sepp aus Neuschönau (dort haben insgesamt 25 Prozent der Wählerschaft bei der Europawahl im Juni der AfD ihre Stimme gegeben), Hubert aus Gotteszell (24,5 Prozent), Erika aus Haidmühle (26,3 Prozent), Ernst aus Rinchnach (24,8 Prozent) und Helga aus Eppenschlag (25 Prozent) eine Partei, die in Bayern vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet wird?
Fragen, die es zu ergründen gilt. Fragen, auf die es bis dato sehr unterschiedliche Antworten gibt, wie die Reaktionen auf den ersten Teil unserer großen AfD-Umfrage unter den heimischen Landtagsabgeordneten gezeigt hat. „Die Waidler sind quasi hinterwäldlerisch, naiv und fallen deshalb auf die AfD herein“, war da unter anderem auf unserem Facebook-Kanal zu lesen. Oder: „Ich glaube, es haben in unserer Bevölkerung zu wenig kapiert, dass wir in der größten globalen Krise sind, die es jemals gab.“ Und: „Ich glaube die vier Herren haben sich mit ihren Statements ein super Eigentor geschossen.“
Im zweiten Teil haben wir die Abgeordneten Martin Behringer (Freie Wähler), Toni Schuberl (Die Grünen), Josef Heisl und Stefan Ebner (beide CSU) nach ihrer generellen Einstellung zu den „Blauen“ gefragt, wollten wissen, wie sie die an die AfD verlorene gegangene Wählerschaft wieder ins eigene Lager zurück zu holen gedenken – und ob der hohe AfD-Wähleranteil auch regionalpolitische Ursachen hat.
„Die AfD ist gesichert rechtsextrem“
Wie stehen Sie zur AfD: Betrachten Sie die Partei als demokratische Partei? Oder sehen Sie die AfD als einen in Bayern zurecht vom Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremen Verdachtsfall?
Schuberl: Es ist völlig legitim, konservative oder rechte Ansichten zu haben. Wenn jemand sagt, er möchte, dass die Grenzen alle wieder geschlossen werden, dass die Zuwanderung begrenzt wird, dass wir aus der EU austreten, die D-Mark wieder einführen sollen usw., dann ist dies aus meiner Sicht politisch dumm – und dies würde von mir politisch bekämpft werden. Aber es wäre eine legitime Position innerhalb des demokratischen Spektrums. Das darf man wollen.
Die AfD ist aus meiner Sicht jedoch gesichert rechtsextrem. Sie geht weit über rechts-konservative Positionen hinaus. Dies zeigen insbesondere die Aussagen der AfD-Abgeordneten im Landtag. Da werden Ausländer pauschal als kriminell abgestempelt und ihnen die gleichen Rechte abgesprochen. Es wird Deutschen, die Migrationshintergrund haben, die Fähigkeit abgesprochen, deutsch sein zu können.
Die AfD sagt ganz offen, was sie mit uns und unseren Mitbürgern tun wird, wenn sie an die Macht käme. Den demokratischen Politikern würde der Prozess als Volksverräter gemacht, Flüchtlinge würden an der Grenze von der Bundeswehr erschossen und unsere Freunde aus ihren Häusern geholt und deportiert, weil sie die falsche Abstammung haben. Das ist alles in den Landtags-Protokollen dokumentiert und wurde nie zurückgenommen. Es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass sie umsetzen, was sie versprechen.
„… dass wir einen Umbau des Staates erleben werden“
Heisl: Die Partei wurde zwar im Rahmen einer demokratischen Wahl gewählt, aber viele von den AfD’lern, die im Anschluss ins Parlament eingezogen sind, äußern und verhalten sich dem Anschein nach teils massiv rechtsradikal, was ich aus erster Hand aus dem Landtag heraus berichten kann. Ich kann jedem Bürger nur empfehlen, eine Plenarsitzung selbst zu verfolgen – das geht online – und sich ein eigenes Bild zu machen.
Behringer: Ich sehe bei der AfD eine deutlich andere Qualität als bei den übrigen europäischen Rechten. Die Partei hat mittlerweile mehrfach und eindrucksvoll gezeigt, dass sich innerhalb der Strukturen die rechtsnationalen bis rechtsextremen Strömungen durchgesetzt haben und rhetorisch am Rande des Sagbaren agiert wird. Sofern die AfD jemals zu einem Regierungsauftrag kommt, würde ich damit rechnen, dass wir einen Umbau des Staates erleben werden – ähnlich wie bei der PIS in Polen oder der Fidesz in Ungarn. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz halte ich daher für mehr als gerechtfertigt und notwendig.
Ebner: Ja, die AfD wird zurecht vom Verfassungsschutz beobachtet. Ein Beispiel: Im Landtag sitzt ein Abgeordneter in der AfD-Fraktion, der in Gästebüchern mit „Sieg Heil“ unterschrieben oder seine Studentenbude mit Ausdrucken von Befehlen von Heinrich Himmler „geschmückt“ haben soll. Eigentlich müsste die AfD dieses Hitler-Bürschchen aus ihrer Fraktion werfen. Stattdessen haben ihn seine Kollegen demonstrativ umarmt und ihm einen Sitzplatz ganz vorne im Landtag freigehalten. Unfassbar! Oder: Der stellvertretende Fraktionschef Martin Böhm schwadroniert davon, die Landtagspräsidentin – immerhin nach Bayerischem Grundgesetz die oberste Repräsentantin des Bayerischen Landtags – zu delegitimieren. Und das sind ja leider keine Einzelfälle.
„… weil sie enttäuscht sind von den etablierten Parteien“
Wie wollen Sie als für den Bayerischen Wald zuständiger Abgeordneter versuchen, die AfD-Wählerschaft nun wieder aktiv auf Ihre Seite zu ziehen? Einige ehemalige Wähler Ihrer Partei gingen ja auch an die AfD verloren.
Schuberl: Diejenigen, die von uns Grünen zur AfD gewechselt sind – es waren zum Glück nur wenige – sind wohl in erster Linie wegen der Corona-Politik oder der Unterstützung der Ukraine gewechselt. In beiden Fällen haben wir Grünen es versäumt, unser inneres Ringen, die eigene Zerrissenheit, die wir hatten, offenzulegen.
Es widerstrebt mir als Liberalen zutiefst, Maßnahmen wie zur Corona-Zeit gut zu heißen, oder als Pazifist, Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet zu fordern. Es braucht viele Überlegungen, Abwägungen, Debatten und Gespräche mit Experten, Freunden, Kollegen usw. bis man hierzu eine Position hat, die man vertreten kann. Und manchmal muss man einfach das kleinere Übel wählen, weil es keine gute Lösung gibt. Wir haben aber nur immer das Ergebnis präsentiert und offensiv vertreten, statt die Menschen an unseren Zweifeln und dem Werdegang unserer Position teilhaben zu lassen. Das sollten wir in Zukunft besser machen.
Heisl: Gute Politik machen. Ich bin in meinen Stimmkreis sehr präsent unterwegs und möchte für die Bürgerinnen und Bürger als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Gerade als CSU-Fraktion müssen wir die Probleme lösen – das ist sicherlich das beste Mittel gegen die AfD.
Behringer: Das Wichtigste für mich ist immer, den Leuten zuzuhören und ihre Sorgen und Anliegen auf Landesebene zu thematisieren. Ich suche den Dialog mit den Leuten und bin vor Ort auf den Volksfesten und Veranstaltungen. Außerdem lade ich mir oft Menschen mit Anliegen in mein Büro ein, um ihnen Hilfestellung zu bieten.
Ebner: Ich bin sehr viel im Stimmkreis unterwegs, spreche mit vielen Bürgern, Bürgermeistern, Vereinen. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen die AfD oft deswegen wählen, weil sie enttäuscht sind von den etablierten Parteien. Die Wähler wollen, dass wir ihre Werte teilen und vor allem schützen – Leistungsbereitschaft, Fleiß, Gerechtigkeit, Sicherheit und Wohlstand. Sie wollen, dass die öffentliche Infrastruktur in Ordnung ist, sie und ihre Familien hier gut leben und arbeiten können. Das sind alles Werte, die auch mir persönlich enorm wichtig sind und die ich durch meine politische Arbeit fördern will.
Genauso entscheidend ist, um AfD-Wähler wieder zurückzugewinnen: Das Migrationsproblem muss so schnell wie möglich gelöst werden, die Arbeitswilligen müssen besser belohnt und die Arbeitsverweigerer stärker sanktioniert werden. Wenn wir in Berlin in der nächsten Bundesregierung wieder vertreten sind, muss das Bürgergeld abgeschafft werden. Und wir müssen den ländlichen Raum so stark fördern, wie es nur geht.
„Allgemeine Politikverdrossenheit, die zu verspüren ist“
Was denken Sie: Ist der hohe AfD-Wähleranteil allein den Entscheidungen auf Bundesebene geschuldet? Oder hat dieser auch regionale (in Bayern verankerte) Ursachen?
Schuberl: Entscheidend für das Erstarken der Rechtsextremen ist es, wenn bürgerliche Parteien die Argumente der Rechtsextremen übernehmen und deren Anliegen als legitim darstellen. Dadurch werden sie für konservative Wähler wählbar. Keine rechtsextreme Partei ist jemals allein an die Macht gekommen. Dies klappte immer nur mit Unterstützung durch konservative Kreise. Gerade die Konservativen in Bayern in Form von CSU und Freien Wählern versuchen, die AfD dadurch zu bekämpfen, indem sie ihre Themen thematisieren und ihre Sprache übernehmen. Doch das führt beim Wähler eher dazu, das Original zu wählen.
Heisl: Aus der eigenen Erfahrung heraus würde ich behaupten, dass die Bürgerschaft wenig zwischen Bundes- und Landespolitik unterscheidet – meist ist es eine allgemeine Politikverdrossenheit, die zu verspüren ist. Natürlich macht die Landespolitik nicht immer alles richtig, dennoch sehe ich dafür größtenteils die Bundespolitik der letzten Jahre massiv in der Verantwortung. Deren Entscheidungen sorgen für große Unzufriedenheit bei den Menschen – ich muss nur die aktuelle Gesundheitspolitik als Beispiel anführen.
Behringer: Ich glaube, dass Menschen heute mehr denn je nach Lösungen für die großen Probleme unserer Zeit suchen. Seien es wirtschaftliche Herausforderungen, demografische Veränderungen oder die Herausforderungen durch irreguläre Migration. Viele dieser Probleme erfordern eine umfassende Steuerung auf nationaler und europäischer Ebene. Deshalb ist es für mich wichtig, immer wieder auf die bestehenden Probleme hinzuweisen, insbesondere im ländlichen Raum.
Ebner: Bei meinen Gesprächen mit den Menschen im Stimmkreis höre ich tatsächlich vor allem die Kritik an bundespolitischen Themen: Migration, Bürgergeld, verfehlte Energiepolitik. Dass das Wahlverhalten hauptsächlich bundespolitisch motiviert ist, zeigt sich ja auch am Ergebnis der Landtagswahl in Bayern. Die Ergebnisse der AfD in Bayern waren da deutlich niedriger als auf Bundesebene. Richtig ist aber auch: Die Menschen unterscheiden nicht immer zwischen den politischen Ebenen. Deshalb wirkt sich das bei allen Wahlen aus.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
Im dritten Teil unserer großen Hog’n-Umfrage zum Thema „AfD im Bayerischen Wald“ haben wir die Abgeordneten u.a. gefragt, ob Unzufriedenheit und Protest der Hauptgrund für den hohen AfD-Wähleranteil im Bayerischen Wald sind, warum die AfD gerade in einem Landstrich mit verschwindend geringem Anteil an Menschen ausländischer Herkunft gewählt wird und wohin sich die AfD im Bayerischen Wald in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln wird.
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